Erstellt am: 17. 9. 2014 - 20:38 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 17-09-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Hier nachträglich eine ein paar Wochen später produzierte treffende Satire zum Thema.
#demokratiepolitik #netzpolitik
Die Wiener Taxis kämpfen aktuell mit einer neuartigen Konkurrenz, dem sogenannten Fahrdienstvermittler Uber, dessen Geschäftsmodell in ersten Berichten als technologisch lässige, in weiteren dann als jung-hippe Variante in einer eh schlecht beleumundeten Branche bejubelt wurde. Erst in den letzten Tagen ging es dann ans Eingemachte, derzeit matcht sich gerade die Illegalitäts-Offensive mit der Schlupfloch-Defensive.
Ich weiß noch dass ich beim kurzen Drüberlesen über diesen Konflikt eine schnelle Assoziation hatte - zum aktuellen Launch von Netflix, auch so einer Art Fernsehdienst-Vermittler. Aber dann hat der Kampf der Kulturtechniken, der sich spornengleich in den Konflikt zwischen Gratiskultur und Bezahljournalismus drängt doch auch wieder nichts mit den neuen Geschäftsmodellen zu tun, die alten Industrien das Wasser abgraben.
Dachte ich. Bis heute Vormittag, als Sascha Lobo, der Gottseibeiuns der deutschsprachigen Digital-Beschäftigung, bei den hiesigen Medientagen eine Keynote präsentierte, die mit Medien nur noch am Rande zu tun hat, aber das (Auch-)Medium Internet als Ort einer riesenhaften, vergleichsweise recht unbeachteten Umwälzung beschreibt.
Lobo nennt das, was beschönigend als Sharing-Industry bezeichnet wird, angriffig den Plattform-Kapitalismus. Mit Mechanismen/Schlagworten wie Sharing und dem Einziehen einer Gratis/Billig-Ebene in praktisch jeden Teilbereich der Wirtschaft wird das was der Musikindustrie gestern und der Medienindustrie heute passiert, bei allen anderen Geschäftsmodellen morgen oder spätestens übermorgen aufschlagen.
Diese Zerstörung von funktionierenden Strukturen machen nicht, wie sie durch ihre scheinsoziale Ausrichtung als "Markt" vorgeben, die Mittelsmänner überflüssig, sie schaffen viel mehr eine neue riesenhaft große Gruppe genau davon. Es wird nichts geteilt, es wird - ganz im Gegenteil - jeder Pipifax megakapitalisiert. Wichtigste Hilfsmittel sind die über das mittlerweile perfekt überwachte Internet abgegriffenen Daten jedes Einzelnen. Die großen Player haben somit mit dem Plattform-Kapitalismus eine neue hochaggressive Ausbaustufe erreicht: sie sind Meta-Händler, die zugleich Nachfrage schaffen und Angebote monopolisieren.
Und damit ist man mittendrin im aktuellen Geschehen im Medien-Bereich. Denn das, was dort ganz von selber passiert ist, hält jetzt als Muster für künftig überhaupt alles her: Amateure (Web 2.0) die den Job besser/interessanter machen als Profis (Journalismus 1.0) schaffen eine (Zitat Lobo) Dumping-Hölle. Die Taxler sind erst der Anfang der Übertritts aus dem Medien/Kultur-Bereich in die ordinäre Geschäftswelt. Ein geschickt eingesetzter, womöglich auf den ersten Blick ursympathischer Amateurismus droht ganze gewachsene Branchen-Back-Kataloge, ganze Ausbildungs-Kulturen obsolet zu machen. Und kommt mir jetzt nicht mit dem Professionisten-Ethos und Phrasen wie dass zb ein Arzt oder Anwalt durch nichts zu ersetzen ist. Ist doch schon passiert: längst haben Dr. Google und Co auch dort aufgeschlagen - die gezielteren Business-Modelle liegen startbereit in den Schubladen. Und da die neuen Player (und das sind nicht nur die großen Kraken wie Google, Facebook und Co, das ist/kann jedes Start-Up, das ein bestimmtes Feld algorithmisch beackern lässt) global agieren, sich an keinerlei regionale Codes oder nationale Gesetzgebung halten müssen, drohen sie die gesamte Mittelschicht zu überrollen.
So wie sich im Konsumbereich das Kundeninteresse von der Hardware auf die Software verlagere, schiebt Lobo in seine reinstündigen Angstmach-Rede noch einen nach, so wird das Produkts im Vergleich zum Service abkacken. Die scheinbar sympathische Frühstückssemmel-auf-die-Türschwelle-Lieferei (um jetzt irgendetwas bereits existentes herzunehmen) wird den Bäcker nicht fördern, sondern töten.
Das Prekariat, das sich aktuell von der Unterschicht über den Nachwuchs des Mittelstandes (die Generation Praktikum, die Adaptiv-Pragmatiker) ausbreitet, wird demnächst auch ihn selber, also die Mitte erreichen.
Damit bricht aber unser Gesellschaftssystem zusammen - der informelle Vertrag zwischen den Klassen ist darauf aufgebaut, dass es zwischen den wenigen Vielhabern und den gar nicht mehr so wenigen Nixhabern eine sehr breite Mittelklasse von Menschen gibt, die eine realistische Hoffnung auf Aufstieg vorantreibt. Genau das unterscheidet die westlichen Demokratien ja (noch) von den Schwellenländern. Die Auflösung dieses Vertrags ist innerhalb eines demokratischen Konsenses ohne aufgewiesene scapegoat-Funktion (die das Erkennen dieser gesellschaftlichen Katastrophe nicht aufhalten, aber verlangsamen würde) de facto nicht möglich.
Wenn also Experten wie Lobo oder auch eigennützige Medien-Lobbyisten nach einer politischen Regulierung für die Macht der großen Netz-Kraken rufen, wenn wieder einmal Aktivisten sperrige Themen wie das Freihandelsabkommen der EU mit den USA thematisieren wollen, wenn Nerds oder Piraten oder anstrengende Neos immer wieder die Digital-Agenda als wichtigsten Ankerpunkt für unsere Zukunft einmahnen: nehmt das ernster als bisher; in diesem Bereich wird die Zukunft unseres Gemeinwesens verhandelt.