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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 9. 2014 - 18:32

In Anführungszeichen

Die Hype-Machine kocht: Der New Yorker Autor Tao Lin kommt für eine Lesung nach Wien, vor kurzem ist sein gefeierter Roman "Taipeh" auf Deutsch erschienen.

Schon in seinem ersten, 2007 erschienenen Kurzgeschichtenband "Bed" hat der New Yorker Autor Tao Lin eine seiner Storys "Sincerity" genannt. "Sincerity" – die Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit. Eine Geschichte, in der ein junges Pärchen seine kalt gewordene Beziehung mit zunehmenden Gemeinheiten und, zunächst spielerisch "gemeinten", kleinen Gewalttätigkeiten gegeneinander noch irgendwie am Leben zu halten sucht.

Der 31-jährige Tao Lin ist einer der, wie man so sagt, Literaturshootingstars der letzten Jahre, mit seinem im Original 2013 erschienenen, dritten Roman "Taipei", der gerade auf Deutsch (hier: "Taipeh") bei Dumont veröffentlich worden ist, ist ihm der Weg hinaus aus bloßem Blog-Hype und Kultstatus hinein in die Aufmerksamkeitssphären von breiter Öffentlichkeit und altehrwürdigem Feuilleton gelungen.

Tao Lins Blick auf ein vermeintlich sinnlos gewordenes Leben ist hart und ungerührt. So hat es zwar seine Berechtigung, dass Lin immer wieder mit der losen Bewegung der so genannten "New Sincerity" assoziiert oder gar als deren Speerspitze hochgehalten wird – es ist aber nur eine sehr kurz gedachte, halbe Wahrheit. Die New Sincerity, die neue Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit, die so neu ja nun auch nicht ist, meint eine vage Geisteshaltung in den unterschiedlichsten Künsten, Film, Literatur, Musik, die postmodernen Hokuspokus, toll ausgestellte ironische Selbstbespiegelung, Meta-Verweis-Taschenspielerei überwinden und so vielmehr einen ungeschönten, schonungslosen, wahrhaften Blick auf die hässliche Realität werfen will. Oder so tut?

Tao Lin

Noah Kalina

Tao Lin

Die Welt, die Tao Lin in "Taipeh", benannt nach der Hauptstadt Taiwans, dem Herkunftsort seiner Eltern, zeichnet, ist nun sicherlich kalt und scheinbar völlig von Emotion befreit und stumpf - nicht zuletzt durch den massiven Drogenkonsum, der hier veranstaltet wird, bedingt: "Nachdem sie sich 2 Miligramm Xanax geteilt und Essen bestellt hatten, aß er geistesabwesend das gesamte Vorspeisenbrot samt Butter auf, und sie saßen da und starrten, ohne zu sprechen oder sich zu bewegen, geradeaus, bis Erin sagte, sie finde die Situation merkwürdig."

Hauptfigur Paul, überdeutlich nach Lin modelliert, ist ein mittelmäßig erfolgreicher Autor, der unmotiviert durch New York driftet. "Driften", das ist das Wort: "Paul hatte aufgehört zu sprechen, und es kam ihm zunehmend so vor, als würde er weniger 'auf dem Bürgersteig gehen' als sich vielmehr 'durch das Universum bewegen'."

Freundschaften gleiten, ohne großen Eindruck zu hinterlassen, nebulös ins äußerste Blickfeld von Paul hinein und wieder hinaus. Lieber als mit allzu vielen Menschen die Zeit zu verbringen oder sich noch dazu unterhalten zu müssen, hat Paul wechselnde Freundinnen, die auch nicht viel mehr als temporäre Zweckbegleitung sein müssen, bleibt zuhause, betäubt sich mit Drogen und hat Sex.

Was hier tagein, tagaus geschluckt, gehackt und geschnüffelt wird, lässt den "Feel Good Hit of the Summer" von den Queens of the Stone Age wie eine Tagebucheintragung vom Schulschikurs aussehen. MDMA, Adderall, LSD, Seroquel, Xanax, Kokain, Codein, Heroin, Pilze, Flexeril – konstant muss nachgelegt werden, um noch irgendeine Sensation zu finden in der Welt. Hinsichtlich Finanz muss man sich da über Paul und sein Umfeld noch keine allzu großen Sorgen machen, wir bewegen uns hier nicht durch versiffte Punkbuden, sondern durch okayen Mittelstand, bewohnt von Ennui-gebeutelten Schriftstellern oder Kunst-Typen.

Was hier also in "Taipeh" geschieht, oder nicht geschieht, Plot findet kaum statt, mal Lesereisen, ein Trip nach Las Vegas oder Sinnsuche bei den Eltern in Taipeh, ist alles recht frustrierend und oft mit voller Absicht langatmig und abstoßend. Tao Lin findet jedoch inmitten der Trostlosigkeit immer wieder - doch - den Humor. Die Ironie ist nicht überwunden, sie ist hier bloß selbst zum Beobachtungsgegenstand geworden. Das Personal des Romans spricht und denkt oft, sich selbst überprüfend und in seiner Überlegenheit selbst versichernd, "in Anführungszeichen": Haltungen, Posen, Gesichtsausdrücke, Redewendungen werden nur vorgegaukelt, ein Glas Wasser wird beispielsweise in "Taipeh", so denkt es die geschilderte Figur selbst, nicht nur der Erzähler von außen, "auf sarkastische Weise" getrunken.

Genauso ist das Buch voller Anspielungen auf Popkultur und digitale Gegenwart, die Smashing Pumpkins, immer wieder Rilo Kiley, The Postal Service, Michael Jackson, die X-Men, The Knife, gar die Fuck Buttons, Facebook, Twitter, immer wieder wird penetrant und ausdrücklich "das Internet" gesagt, so als wäre es ein seltsames, noch nicht ganz begriffenes Neuland, und nicht komplett Alltag und Welt. So spielt das Buch klar mit der Idee vom Fangen des Zeitgeists, gleichzeitig ist es eine entrückte, abgeklärte Betrachtung solcher Praktiken: "Paul sagte, er würde nicht so tun, als möge er etwas, oder sich darüber lustig machen, etwas zu mögen, oder etwas 'auf ironische Weise' mögen."

Tao Lin Taipeh Cover

Dumont

"Taipeh" von Tao Lin ist bei Dumont erschienen. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner.

"Taipeh" von Tao Lin ist all das, was die Hymnen und die Euphorie bezüglich dieses Buches verheißen, und auch ihr Gegenteil: traurig, entsetzlich, komisch, widerlich, großartig, voll mit feinen und hyperaufdringlichen Metaphern über den Zustand in unseren Herzen, die dann, natürlich, von den Figuren gleich selbst in der direkten Rede auch als Metaphern entlarvt werden müssen.

Ein Kommentar zum Kommentar zum Stimme-einer-Generation-Sein-Müssen, die komplette Ernsthaftigkeit und der Glauben daran, dass es vielleicht dieses Ding namens "Liebe" dann doch noch geben könnte, durch den Filter des Distanzierungs-Zwangs geprügelt. Lieber doch erst mal posten als fühlen.

"Paul malte Linien auf, die drei Lines Heroin drei Namen zuordneten, und hörte, wie Calvin, offenbar zu sich selbst, sagte: 'Ich glaube, mir ist gerade klar geworden, dass ich glücklich sein kann, egal, was die Leute um mich herum tun', und dachte aufrichtig und auf monotone Weise 'lustig', dann machte er ein neutrales Gesicht, zog sein Heroin, duschte, nahm 15 Milligramm Adderall und zwei Advil und aßen einen halben Marihuana-Keks."