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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

16. 9. 2014 - 18:30

Umbau der EU-Kommission stark unterschätzt

Der neue Präsident Jean-Claude Juncker hat über den Kommissaren eine völlig neue Führungsebene installiert, die weitaus stärker ist, als sie aussieht.

Mitte September wurden die neuen designierten Kommissare durch Präsident Jean-Claude Juncker vorgestellt. Danach wurde in den Medien vor allem die personelle Zusammensetzung der neuen Kommission thematisiert, nicht aber die neue Managementstruktur, in der die Kommissare agieren werden. Dabei handelt es sich bei Junckers Umbau der Kommission um die ersten gravierenden Änderungen in der Organisationsstruktur seit mehreren Legislaturperioden.

Update 28. September
Der erste Absatz wurde etwas aktualisiert

Mit der Bestellung von sieben Vizepräsidenten wurde nämlich eine völlig neue Managementebene in der Kommission eingezogen. Diese Vizepräsidenten koordinieren jeweils die Arbeit mehrerer Kommissare, was künftige Alleingänge einzelner Kommissionsmitglieder verhindern soll. In dieser Siebenerriege sind - abgesehen von Italien - überdies nur kleine Staaten vertreten. Damit sollen offensichtlich direkte Einflussnahmen auf die Kommission durch die großen EU-Mitgliedsländer hintangehalten werden.

Der erste Vizepräsident

"Meine besondere Aufmerksamkeit gilt der Meinung des Ersten Vizepräsidenten" heißt es denn auch im Geleitbrief Junckers, der Niederländer Frans Timmermanns (Sozialdemokraten) wird in dieser Rolle oberste Instanz für die grundsätzliche Prüfung geplanter Neuregelungen sein.

Timmermanns Aufgabe ist es, zu überprüfen, ob bestehende Regelungen dadurch tatsächlich effizienter werden und insbesondere auch der EU-Grunderechtecharta nicht widersprechen. Erst danach werde "eine geplante Neuregelung ins Arbeitsprogramm der Kommission übernommen", heißt es dazu in Junckers "Mission Letter" an die neuen Mitglieder der Kommission.

Saatgut- und Olivenölblamagen

Regulationsvorhaben wie die nach lautstarken Protesten letztlich blamabel gescheiterten Verordnungen zum Thema Saatgut oder zu Serviervorschriften für Olivenöl in Restaurants werden in Zukuft vorab einer Art Lackmustest unterworfen. Lobbyisten werden es also in Zukunft deutlich schwerer haben, eine ihren Interessen entsprechende EU-Regelung anzustoßen, auch wenn sie den zuständigen Kommissar auf ihrer Seite haben. Ebenso wird der direkte Einfluss großer Mitgliedsstaaten über den EU-Ministerrat auf einzelne Kommissare dadurch zurückgedrängt.

Prioritäten und Finanzen

Direkt nach Timmermanns folgt in Junckers "Mission Letter" die für Budgets und Personalmanagement zuständige Vizepräsidentin Kristalina Georgiewa (Konservative) aus Bulgarien. Georgiewa wird dafür zuständig sein, geplante Vorhaben der Kommissare finanziell auf die Prioritäten der Kommission unter Juncker abzuklopfen. Damit ist ein zweites Regulativ auf Ebene der Finanzen eingezogen.

"Ich will, dass alle Kommissare bei ihren laufenden Programmen auf vernünftigen Umgang mit den Finanzen achten und alle Maßnahmen ergreifen, um das EU-Budget vor Betrug zu schützen", heißt es in Junckers Begleitschreiben dazu. Prestigeprojekte einzelner Kommissare werden es also schwerer haben, wenn sie nicht direkt in Junckers Prioritätenliste passen.

Neue Aufstellung der Kommission

Wie die begleitend veröffentlichten Detailorganigramme zeigen, hat Juncker seine Kommission nicht nach dem Eigengewicht der Ressorts aufgestellt, sondern nach Prioritäten, die für die kommenden Jahre gelten. Größte Beachtung und Kritik in der bisherigen Medienberichterstattung fand die Vergabe der beiden mithin schwergewichtigsten Ressorts - Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Zölle bzw. Finanzmärkte - an Frankreich und Großbritannien.

Pierre Moscovici (Sozialdemokraten) habe es nicht geschafft, als französischer Finanzminister den eigene Haushalt zu sanieren, mit dem Briten Jonathan Hill (Konservative) werde angesichts der Blockade Londons bei der Regulierung der Finanzmärkte, überhaupt der Bock zum Gärtner gemacht, lautet in etwa der Tenor der Kritik. Die hat natürlich ihre Berechtigung, allerdings können weder Moscovici noch Hill alleine so frei agieren, wie ihre Vorgänger es noch konnten. Dasselbe trifft auch auf alle anderen neuen Kommissionsvertreter zu.

Was grundlegend anders wird

Wenn etwa zwei Schwergewichte wie der für alles "Digitale" zuständige Deutsche Günther Öttinger (Konservative) und sein französischer Kollege Moscovici (Wirtschaft und Finanzen, ЅD) gemeinѕam ein Regulationsprojekt durchbringen wollen, dann ist ein Erfolg dabei nicht, wie ehedem, mehr oder weniger garantiert.

Auf gleicher Ebene reden nämlich die belgische Kommissarin Marianne Thyssen (Beschäftigung und Soziales, K) und die Tschechin Vera Jourova (Justiz und Konsumenten, SD) dabei mit, wie auch die Ressorts Regionalpolitik und Binnenmarkt eingebunden sind. Sämtliche Vorhaben, die inhaltlich unter "Ein vernetzter digitaler Binnenmarkt" fallen, der auf Junckers Prioritätenliste gleich hinter "Wachstum Beschäftigung, Investment" kommt, werden vom zuständigen Vizepräsidenten, dem lettischen Konservativen Andrus Ansip koordiniert.

Davor hatte die Regulation in spe bereits die "Lackmustests" auf Grundrechteverträglichkeit und Finanzwahrheit durch zwei weitere Vizepräsidenten zu passieren. De facto geht jede von einem oder mehreren Kommissaren geplante Regelung gleich mehrfach über die Tische der neuen Managementebene direkt unter Jean-Claude Juncker.

Vier Premiers, zwei Außenminister

Deren Mitglieder haben noch eine weitere Gemeinsamkeit, sie sind nämlich allesamt neu in Brüssel und hatten vorher hohe Posten auf nationaler Ebene inne. Ansip etwa war noch im März Premierminister Estlands, die Außenbeauftragte Federica Mogherini war zur selben Zeit Außenministerin Italiens. Vizepräsident Valdis Dombrovskis (Konservative) war bis Ende 2013 lettischer Ministerpräsident, Alenka Bratusek (SD) davor Premierministerin Sloweniens, Jyrki Katainen (K) der finnische Ministerpräsident.

Der erste Vizepräsident Frans Timmermanns (Konservative) war bis vor kurzem noch Außenminister der Niederlande. Außer Georgiewa, die unter Barroso II Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten war, besteht Junckers gesamte Führungsriege also nur aus Ex-Premiers und ehemaligen Außenministern. Auch wenn die Vizes fast alle aus kleinen bis kleinsten EU-Staaten stammen, eine schwache Aufstellung ist das nicht.

Am Beispiel TTIP

Wie aus den Detailorganigrammen unschwer zu ersehen ist, waren die Prioritäten Junckers so gesetzt, dass Vorstöße von starken Industrielobbies über einen oder mehr Kommissare nicht mehr so einfach so weit durchkommen werden, wie in der jüngeren Vergangenheit. Würde das Freihandelsabkommen TTIP erst jetzt gestartet, hätte Vizepräsident Katainen die Koordination, neben Handel, Finanzen und Binnenmarkt säße auch die Kommissarin für Beschäftigung und Soziales von Anfang an mit am Tisch. Zusätzlich mit eingebunden wäre von Gesundheit angefangen noch eine ganze Reihe weiterer Kommissionsvertreter.

Großkoalitionär

Diese Linie zieht sich konsequent durch die gesamte Prioritätenliste Junckers, denn anders als in den beiden Amtszeiten Juan Manuel Barrosos ist diese Kommission ganz klar als große Koalition aufgestellt. Gelernte Österreicher mag dieser Begriff angesichts des großkoalitionären Hickhacks, der Polemiken und billigen Revanchen hierzulande zwar schaudern lassen, in Brüssel hat er jedoch einen anderen Stellenwert.

Sowohl der Zugang zur Politik als auch Umgang in derselben miteinander sind in Brüssel eher sachlich und lösungsorientiert. So starre Parteigrenzen wie hierzulande, wo der Nationalrat in erster Linie als Zustimmungsmaschine für die jeweilige Regierung funktioniert, wären im EU-Parlament überhaupt nicht machbar.

Die Rolle von Johannes Hahn

Was den österreichischen Kommissar Johannes Hahn (Konservative) betrifft, so wird dessen neues Aufgabengebiet von den meisten Medien hierzulande völlig falsch eingeschätzt. Da es ja ohnehin nur kaum noch Beitrittskandidaten gebe und keine unmittelbare Erweiterung der Union anstehe, sei Hahns neues Wirkungsgebiet ein Abstellgleis, lautete der Tenor hieruzulande.

Tatsächlich ist Johannes Hahn in erster Linie für "europäische Nachbarschaftspolitik" zuständig, sowohl das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, wie auch die Sanktionen gegen Russland fallen direkt in seinen Amtsbereich. Auf allen Organigrammen, in denen die Fachkommissare weder alphabetisch noch nach ihren Budgets, sondern nach den Prioritäten Junckers aufgelistet sind, ist Hahn denn auch auf der obersten Ebene der Kommissare anzutreffen.

In außenpolitischen Angelegenheiten ist Hahn damit ganz klar die Nummer Zwei nach der Außenbauftragten Mogherini, die weniger operativ als koordinierend tätig ist, weil sie dem Gremium der sieben Vizepräsidenten angehört.

EU-Parlament, Wackelkandidaten

Alle von Juncker vorgestellten Kommissare müssen noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Formal ist dabei zwar nur die Ablehnung der gesamten Kommission, nicht aber ein Veto gegen einzelne Kommissare möglich. Wie die langjährige Praxis jedoch zeigt, hat noch ein jeder Präsident der Kommission einzelne Kommissare zum Rückzug bewegen können, wenn es im Parlament parteiübergreifende Opposition gegen eine bestimmte Personalwahl gab.

Wenigstens ein solcher Wackelkandidat sitzt auch in Jean-Claude Junckers Kandidatenriege: der als Bildungskommissar nominierte Tibor Navracics. Der von der ungarischen Regierungspartei Fidesz aufgestellte Navcracics war lange für die Informationspolitik des Kabinetts Viktor Orban verantwortlich, als Justizminister zog er für Orban dann die Änderung der ungarischen Verfassung durch, die in Europa Ablehnung bis Entsetzen ausgelöst hatte. Das war der Grundstein für die nun in Ungarn herrschende Regierungsform, die Orban neuerdings als "illiberale Demokratie" bezeichnet.