Erstellt am: 14. 9. 2014 - 17:07 Uhr
Pop ist ein System aus Zucker
"Maximalismus" und "Post-Internet" - das waren zwei der stärksten Schlagworte der Musikrezeption der letzten zwei, drei Jahre. In einer Zeit, in der also quasi jedem per Computer jede Musik und jeder Sound zur Neuverwurstung zur Verfügung stehen und uns die Welt im Nanosekundentakt mit Informationen und Reizen befeuert, schießen junge Produzentinnen und Produzenten in ihren Tracks eben aus allen Rohren zurück. Mit nervös flackernden, komplett überladenen, rasant sich drehenden und quietschbunten Collagen. Komisch, dass es einmal anders gewesen sein soll.
Das englische Label PC Music schießt diesbezüglich den Duck-Hunt-Vogel (Nintendo 1984) ab. Wenn das hässliche Wort "polarisierend" doch noch einmal sinnvoll eingesetzt werden soll, dann bitte im Zusammenhang mit PC Music. Das Label reitet aktuell auf hohem Hype durch die Clubs und begegnet gleichzeitig extremer Ablehnung, ja, gar Hass – falls man das kurz ernst nehmen möchte, womit komische Kommentatoren so die Foren vollschreiben. PC Music legen es mit ihrer Musik auch auf Extremheit an, und nicht Mittelweg. Das "PC" steht hier für "Personal Computer", nicht "Political Correctness". Personal Computer Music, nicht Laptop oder Powerbook Music. PC Music ist topmodern und kokettiert mit dem Glam des Vorgestrig-Futuristischen.
Der Betreiber des Labels ist der junge Londoner Produzent A.G. Cook, biografische Fakten sind über ihn kaum bekannt, ebenso wenig wie über die meisten der bei PC Music veröffentlichenden Acts: easyFun, Dux Content, GFOTY (Girlfriend of the Year), Lipgloss Twins, Kane West oder Hannah Diamond nennen sich hier beispielweise die Projekte - bei vielen hat Labelchef Cook selbst die Finger im Spiel. Fotos, die leibhaftige Menschen zeigen, gibt es bei PC Music so gut wie keine, die meisten Künstler werden von 90er-Jahre-Computer-Grafiken oder slick photogeshopten Avataren repräsentiert.
So funktioniert auch die Musik von PC Music: Die Alben "Oblivion" von Grimes und "Glass Swords" von Rustie dürfen hier in ihrem Signaloverload als Vorstufe und Ideenspender gelten, im Vergleich zu PC Music sind sie aber geradezu beruhigte Sinnfindungsplatten der Kontemplation. Die Produktionen von PC Music leben von Zuckerschock und Überfrachtung. Hier werden R'n'B und verpitchte Computerstimmen, Eurovisionsdisco, 90er-Jahre-Girl- und Boy-Group-Sweetness und Großraum-Trance wild aneinandergeschnitten.
Eurodance, Happy Hardcore, schick polierter, perfekt choreografierter J- und K-Pop, Konsolen-Spiel-Soundtracks und verbogene Androiden-Balladen über die Digital Love. So geriert sich PC Music ein bisschen wie die ravende, hibbelige kleine Schwester der Vaporwave, eine der heißesten Hip-Musik der jüngeren Vergangenheit, in der New Age, Handyklingeltöne, Aufzugs-Muzak, Shoppingmall-Gedudel, veraltete Computersounds und andere Service- und Alltagselektronik verschmolzen wurden. Musik, die als Kommentar zu Kapitalismus und Dauerkonnektivität verstanden werden will.
PC Music dreht die Schraube der Hyperaktivität an den Anschlag und singt zwischen Technologie und Club bisweilen gerne über Liebesdinge, vornehmlich im Gestus des unschuldigen, aufgekratzten und von der in allen Farben blinkenden Welt euphorisierten Teenagers: "Feeling better really / I can see you clearly / Now I've saved you as a picture on my phone", heißt es beispielsweise in dem wunderbaren Song "Attachment" von Hannah Diamond (so muss man bei PC Music heißen). Hannah Diamond ist bislang einer der ganz wenigen Acts im Labelkatalog, der als "echter Mensch" inszeniert wird und hat mit ihrer Style-Mischung aus Sporty Spice, Chav-Schick und cooler Club Couture aus den (wieder mal) 90ern auch schon die richtige Garderobe zum Popstarsein.
Eine vorläufig endgültige Zuspitzung und Überhöhung von allem und jedem findet aber mit dem vor kurzem veröffentlichten Stück "Hey QT" von QT statt. Das Stück ist nun zwar bei XL Recordings erschienen, entspringt jedoch dem weirden, kreativen Pool von PC Music. QT ist der absolute Popstar: Eine Marketingstrategie, ein Lebensentwurf, ein Konzept. Die Strippenzieher hinter QT sind abermals A.G. Cook und der englische Produzent SOPHIE, enger Freund des Camps von PC Music und mit den Stücken "Bipp" und "Lemonade" (beide auf Numbers.) verantwortlich für zwei der erfreulichsten Clubhits der letzten Monate.
Der Song "Hey QT" wirbt für einen - bislang fiktiven - Energydrink, was sonst? Er ist sicher süß. "Where organic and synthetic meet to stimulate an uplifting club sensation" lautet der Slogan. Die Figur "QT" wird von einem Model dargestellt, ob es tatsächlich die in die Unerträglichkeit vercutete Quietschstimme spendet, die auf dem Song zu hören ist, ist nicht bekannt, fraglich und egal.
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Eine Aushebelung von Popmechanismen, aber eben auch eine Lächerlichmachung von Altherrenfantasien, denen zufolge so ein gut aussehender und tanzender Popstar, der irgendwelche Producer und einen Riesenapparat im Rücken hat, schon einmal sicher gar nichts wert sein könne.
Die zentrale Zeile "I feel your hands on my body every time you think of me" spürt zudem dem Verhältnis zwischen Fan und vergöttertem Star nach, dem Weg zum High und zur Befriedigung, dem Austausch zwischen zwei vielleicht auch bloß ganz gewöhnlich Liebenden, die eine tatsächliche große geografische Trennung heutzutage auch nicht mehr sonderlich zerknirschen muss. Wir stellen die Verbindung her. Sexy und dekadent. Glitschig, widerlich, süchtigmachend, sensationsgeil, sensationell.