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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

14. 9. 2014 - 14:37

Das Tosen des Meeres tröstet die Elenden

Traurig, traurig, schön: Der "True Detective"-Erfinder Nic Pizzolatto haucht mit seinem Debütroman "Galveston" dem Krimi Noir neues Leben ein.

Dass die Irrungen und moralischen Fehldeutungen harter, kaputter Männer ein zentrales Thema in der Gedankenwelt des Autors Nic Pizzolatto sein dürften, war an der HBO-Show "True Detective" deutlich abzulesen. Gut dokumentiert durfte man da in der von Pizzolatto erdachten Serie Woody Harrelson und Matthew McConaughey dabei zusehen, wie sie sich in Spiralen philosophierten und am Leben zerbrachen.

Der immense Erfolg von "True Detective" hat nun dazu geführt, dass ein wenig im Frühwerk des 1975 in New Orleans geborenen Autors gebohrt und sein Debütroman "Galveston" aus dem Jahr 2010 wieder ausgegraben wurde: Vor kurzem ist "Galveston" im Metrolit Verlag in deutscher Übersetzung erschienen.

Die kleine texanische Hafenstadt Galveston ist neben New Orleans Hauptschauplatz des Buchs. In der echten Welt hat Galveston einen Pop-Song zu seiner Hymne erkoren: Der 1968 veröffentlichte Song, der wie die Stadt selbst "Galveston" heißt, war ursprünglich von seinem Songwriter Jimmy Webb ausdrücklich als Anti-Kriegs-Hymne gedacht, transportiert in seiner berühmtesten Interpretation von Country-Sänger Glen Campbell jedoch verstärkt ein Gefühl von weihevoll-melancholischem Patriotismus.

"Galveston, oh Galveston, I still hear your sea waves crashing / While I watch the cannons flashing / I clean my gun and dream of Galveston" heißt es da, und selbst wenn der Song im Roman "Galveston" nicht erwähnt wird, ist klar, dass er starker atmosphärischer Inspirationsspender gewesen sein muss. Das Tosen des Meeres, Waffen, Träume, darum dreht sich, auf wenige Schlagworte verkürzt, Pizzolattos Buch.

"Galveston" handelt von einem komplett fertigen Typen. Dem 40-jährigen Roy Cady, der in New Orleans als Killer, Laufbursche und Mann für alles für einen schmierigen Kredithai und Allaround-Ganoven arbeitet. Wir befinden uns hier nicht im Premium-Segment des organisierten Verbrechens, sondern im unteren Mittelbau, der in schäbigen Kaschemmen und Pool-Hallen verhandelt wird. Roy Cady handelt stumpf, verrichtet Arbeit ohne Reue, versucht hie und da sich eine kleine Ethik zurechtzureimen:

"Ich sehe das, wie es ein Soldat sehen würde. Die Leute, die ich beseitigt habe, waren keine unschuldigen Zuschauer. Da war keiner dabei, der sich nicht selbst in die Lage gebracht hat, in der er steckte. Ich sehe es so: Sie haben etwas heraufbeschworen, und ich war dafür zuständig, es zu regeln. Sie haben es alle darauf angelegt."

Roy Cady ist also kalt. Emotionen redet er sich aus. Eines Tages wird er von seinem Boss reingelegt, vermutlich dürften Eifersüchteleien und gekränkter Männerstolz als Motivatoren in den Plan hineingespielt haben. Cady soll für einen Mord den Kopf hinhalten, und weil das nicht genug der Turbulenzen ist, teilt ihm sein Arzt mit, er habe Lungenkrebs.

Nic Pizzolatto

Metrolit

Nic Pizzolatto

Schnell sieht sich Cady auf der Flucht, on the road. Aufgrund unglücklicher Umstände muss er sich um zwei gestrandete Mädchen kümmern, eine Dreijährige und eine 18-Jährige. Man ahnt schnell, sehr schnell, dass die beiden, anders als sie zunächst behaupten, wohl doch keine Schwestern sein dürften. Angesichts der 18-jährigen Rocky fallen Roy Cady solche Dinge ein: "Ich sagte nichts. Mein Blick blieb immer wieder an ihren Beinen hängen. Auf ihren Schenkeln. Begierde ist immer irgendwie erniedrigend."

Von "Schenkeln" wird im Kopf Roy Cadys noch öfters zu hören sein. Nic Pizzolatto greift tief in die Kiste der Noir-Krimi-Klischees und scheut nicht vor einem blumigen, bildreichen Ton, der oft nicht weit von schönen Schundheftchen entfernt ist. Wir begegnen abgefuckten Motels, runtergekommenen Bars, viel Bier, noch mehr Whiskey. Prostitution, hohe Brutalität, dumpfe Gewalt. Roy Cady ist so leer, er taugt nicht mal zum Antihelden.

Das Buch weiß das alles. Ein lustiges Buch ist "Galveston" nun sicherlich nicht, da und dort werden die Formeln der toughen Hard Boiled Novel und das Stereotyp vom besonders harten Kerl aber doch humoristisch überhöht und gebrochen:

Galveston Cover

Metrolit

"Galveston" von Nic Pizzolatto ist bei Metrolit erschienen. Aus dem Amerikanischen von Simone Salitter und Gunther Blank.

"Meine Stiefel knirschten und scharrten über die Kiesauffahrt, die sich um ein steinernes Vogelbecken schmiegte, das groß genug für zwei Personen war. Eine schwere dunkelgebeizte Tür mit einem Messingklopfer in Form eines Adlerkopfes. Ich schlug die Faust gegen die Tür. Ich habe im Leben noch keinen Klopfer benutzt."

Ganz entkommt Nic Pizzolatto dem Kitsch nicht. Oft zeichnen sich in "Galveston" Zusammenhänge und Gefühlsregungen der Figuren schon recht deutlich ab – Pizzolatto scheint sie in Folge jedoch noch ausbuchstabieren und bis ins letzte Detail zu Ende erklären zu müssen. Dennoch gelingt hier ein prickelndes, die Zuversicht ziemlich frustrierendes Update einer schon hundertmal erzählten Geschichte. Um Spannung oder epochale Plot-Twists geht es hier nicht. Es ist ein einziges sinnloses Driften, ein tristes Weiterleben - weil zum Sterben fehlt dann doch die Kraft.

Zwischendrin stehen in dieser sinnlosen Welt Momente von tatsächlich herzerwärmender Magie: Die Besuche am Strand, gänzlich unglamourös, beispielsweise, oder der späte Slow Dance zwischen Rocky und Roy in einer Country-Bar, währenddessen beide kurz, ganz kurz, eine Art unschuldiges Glück spüren dürfen. Ein knappes Licht, danach wird es wieder finster. Eine platonische Liebesgeschichte, die nicht sein darf, ein schwieriges Bündnis zwischen den Hoffnungslosen, ein schweres Leben, leicht erzählt. Eine Läuterung findet nicht statt, zum Glück, das Leben ist kein Arztroman.

"Eine Libelle umschwirrte meinen Kopf, als wollte sie mir etwas mitteilen, und die Luft der heißen Nacht war, als würde man Asche einatmen. In der Ferne konnte man die Autos vorbeirauschen hören, wusch-wusch-wusch, wie der Herzschlag eines gewaltigen Tieres, das mich verschlungen hatte."