Erstellt am: 14. 9. 2014 - 10:33 Uhr
Happy Birthday Arcade Fire!
Es gibt Tage im Leben, die ziehen vorbei und sind vergessen. Und es gibt Tage, die sich auf ewig in die Erinnerung einbrennen und einen nie wieder los lassen. Ich weiß es noch ganz genau: Es war der kalte Jänner 2005. Ich war gerade frisch in meine erste eigene, richtig schöne Wohnung gezogen. Ein Altbau nahe dem Wiener Gürtel, aber mit Blick auf einen Innenhof. Vor dem Fenster wirbelte seit Tagen ein Schneesturm durch die Stadt, ohne ein Ende in Sicht.
Der Schnee im Hof lag bereits hüfthoch. Das ist selten in Wien, wo sich sonst ein paar Schneeflocken schnell in eine einheitliche graue Masse verwandeln. Ich musste immer wieder durch das Fenster hinunter in den Hof schauen. Es war erheiternd zuzusehen, wie die Hausbewohner mit viel Kraft und Mühe Pfade durch die Schneelandschaft gesucht haben. Eine schneeweiße Decke, voller kleiner Wege und Tunnel hatte sich gebildet. Völlig umsonst, denn nur eine Stunde später war der Hof wieder komplett zugeschneit und die alten Pfade verwischt. Und neue Wege wurden in den weißen Schnee gegraben.
Ich habe mich damals gern an das Fenster gesetzt, um im Hof das Treiben zu beobachten. Ein schöner Wintermoment war das. Aber wie schnell sich doch das Leben innerhalb von nur einer Minute ändern kann.
Meine Schwester hat mich damals überraschend angerufen. „Hallo. Wie geht es dir?“, hat sie mich angespannt mit dünner Stimme gefragt. Meine Schwester hat mich davor niemals angerufen, um mich das auf so ernste Weise zu fragen. "Setz dich", hat sie mich im nächsten Atemzug gebeten. Und dann: Tunnelblick. Übelkeit. Eine seltsame Taubheit. Die Augenblicke danach habe ich nur mehr sehr vage und trotzdem sehr intensiv in Erinnerung.
Wenn jemand stirbt, den man liebt, dann bleibt die Zeit stehen. Ich behaupte, für immer. Nur einen Moment zuvor war alles wie immer. Dass sich die Uhr weiterdreht und man aus diesem bösen Traum aufwacht, darauf wartet man vergebens.
Phrasen wie: „es war besser so“ kann ich bis heute nicht verstehen. Nein, ich finde nicht, dass es besser ist, wenn jemand gehen muss. Ich gebe zu, ich bin da zutiefst egoistisch. Ich würde mir da vielleicht gerne leichter tun. Und dann auch wieder nicht.
"Die Indierock-Sensation von 2004": Christian Lehner hat 2004 über "Funeral" geschrieben.
Merge Records
Dass damals immer wieder ein Lied von Arcade Fire im Radio gelaufen ist, habe ich noch glasklar in Erinnerung. Niemals zuvor oder danach habe ich mich in einem Stück Musik so verloren und gleichzeitig wiedergefunden: In diesem Album, das die Bandmitglieder deshalb "Funeral" getauft haben, weil bei ihnen während der Aufnahmen neun Menschen aus dem Umfeld und den Familien gestorben sind.
Arcade Fire
Und nun? 10 Jahre später.
Heute, zehn Jahre später, lasse ich die Lieder wieder einmal durch den Plattenspieler laufen. Ich höre mir Lied für Lied aufmerksam an. Ich würde gerne einen musikjournalistisch wertvollen Beitrag schreiben. Darüber, wie Arcade Fire einen ganz neuen Sound definiert und eine neue Zeit eingeläutet haben. Dass Bands wie The National und Mumford & Sons vielleicht gar nicht existieren oder etwas anders klingen würden, wenn Arcade Fire nicht 2004 „Funeral“ veröffentlicht hätten.
Der Auftrag sagt: Erkläre, wie Arcade Fire die Streicher in der Indie-/Popmusik (wieder) populär gemacht haben. Schreib über den Weg der kleinen Indieband aus Montréal, die mit ihrem Debüt plötzlich den Sprung hinaus aus den kleinen Clubs auf die großen Stadium-Bühnen geschafft hat. Sei kritisch und reflektiere die Geschichte des Albums, den Ausverkauf! Wie die letzte "echte Indieband“ ihre Musik an Werbungen und Super Bowls verkauft hat. Den Arcade Fire Hit "Wake Up" Jahre später ganz zerfleddert in einer Microsoft Werbung wiederzuentdecken, wirkte tatsächlich befremdlich. Und trotzdem: Selbst das kann mir dieses Meisterwerk nicht kaputt schlagen. Magie siegt.
Was und wie Arcade Fire in den letzten zehn Jahren die Musikwelt verändert haben, finde ich tatsächlich bemerkenswert. "Neon Bible", "The Suburbs" und "Reflektor", die Alben, die die Band nach ihrem Debüt veröffentlicht hat, höre ich auch sehr gerne. Doch an den Impact den ihre allererste Platte in mir ausgelöst hat, kamen diese Platten nie heran. Und es interessiert mich, welche Momente einzelne Menschen ganz individuell mit "Funeral" und dieser Band verbinden. Jeder hat eine eigene Arcade-Fire-Geschichte zu erzählen. Und es sind großartige Geschichten, die von Verlust und Kummer als auch von großer Freude und Gelächter handeln. Geschichten aus dem Leben, zu denen Arcade Fire mit "Funeral" einen Soundtrack geschaffen haben. Und manchmal handeln diese Geschichten auch von viel Wut und Unverständnis.
Arcade Fire - "Funeral" wurde 2009 Platz Eins der FM4 Jahrzehnte-Charts. Eine betörende und wahrhaftige Platte.
Lange her und auch sehr schön: Die FM4 Jahrescharts von 2005
Für mich ist unwichtig, dass "Funeral" laut Rolling Stone Magazine bei den "500 Greatest Albums of All Time" auf Platz #151 gelandet ist. Was soll das überhaupt bedeuten? Nichts. Es ist ein Platz in einer Liste. Und in den engen Spalten von irgendwelchen Listen fühlen sich große Herzen selten Zuhause.
"Funeral" ist für mich das schönste und wichtigste Album, das je geschrieben worden ist. Und ich bin damit nicht alleine. Ein Ende und ein Neubeginn. Ein Anker, ein Wegbegleiter und ein Wegweiser für die Zukunft.
And if the snow buries
My neighborhood
And if my parents are crying
Then I'll dig a tunnel
From my window to yours
A tunnel from my window to yours
Danke und alles Gute zum 10. Geburtstag liebes Lieblingsalbum.