Erstellt am: 12. 9. 2014 - 13:55 Uhr
Verlorene Seelen
Wenn es etwas gibt, das die Filme von Anton Corbijn eint, dann ist es eine Vorliebe für einzelgängerische, eigenbrötlerische Männer. Der suizidäre Joy-Division-Sänger in seinem Regiedebüt "Control", der einsame Auftragskiller in "The American" und jetzt ein sturer Geheimdienst-Leiter in "A Most Wanted Man": Alle drei Protagonisten treiben fast wie Gespenster durch die Geschichten.
Vollständig überzeugend ist dem Niederländer dabei nur das schwarzweiße Requiem für den Schmerzensbuben Ian Curtis gelungen, den Corbijn als legendärer Rock'n'Roll-Fotograf auch persönlich kennenlernte. Die beiden Thriller, die er danach drehte, faszinieren zwar mit genauer Menschenbeobachtung, präzisem Schauspiel und einzelnen herausragenden Szenen, fesseln aber leider nicht durchgängig.
Constantin
Melancholischer Anti-James-Bond
"A Most Wanted Man", basierend auf dem gleichnamigen Roman von Spionagespezialist John Le Carré, folgt den Spuren eines jungen Muslim, der 2012 in Hamburg untertaucht. Issa Karpov, halb Russe, halb Tschetschene, versucht mit Hilfe einer idealistischen Junganwältin an das illegale Vermögen seines verstorbenen Vaters heranzukommen.
Ein undurchsichtiger Banker schaltet sich ebenso ein wie der deutsche Geheimdienst. Ist Karpov ein extremistischer Fanatiker, der mit dem Geld terroristische Aktivitäten finanzieren will? Oder doch nur selber ein Opfer, das schwere Folterungen überstanden hat?
Schreibtisch-Spion Günter Bachmann, dem Philip Seymour Hoffman in seiner letzten großen Rolle sein melancholisches Gesicht verleiht, stellt sich diese Frage genauso wie der CIA. Der Anti-James-Bond scheint der einzige, der auf verlorenem Posten trotzdem sein eigenes Spiel versucht. Alle anderen Charaktere erweisen sich, wie fast immer bei John le Carré, als Marionetten übergeordneter Mächte.
Constantin
Es ist in erster Linie die Figur des müden und gereizt wirkenden Günter Bachmann, der "A Most Wanted Man" sehenswert macht, man muss sich fast zwingen, die selbstentblößende Darstellung von Philip Seymour Hoffman nicht mit seinem tragischen Ende in Verbindung zu bringen.
Aus dem restlichen hochkarätigem Ensemble, zu dem auch Rachel McAdams, Daniel Brühl, Willem Dafoe und Nina Hoss zählen, brillieren noch die letzteren beiden in kühlen Nebenrollen. Dabei ist es ausnahmsweise die Originalfassung, die für Irritation sorgt, sprechen hier nämlich Deutsche, Amerikaner und Araber ausnahmlos Englisch.
Dass Anton Corbijn auf sämtliche plakativen Mehrwerte von Agentenstorys verzichtet, dass er die Action auf den Nullpunkt reduziert und die zähflüssige, aussichtslose Ermittlungsarbeit in den Mittelpunkt stellt, diese Konsequenz muss man ihm natürlich zu Gute halten. Genauso wie den deprimierenden politischen Befund, den er aus dem Roman destilliert. Aber auch und gerade Tristesse kann man dringlich verpacken. "A Most Wanted Man" sieht mit seinen touristisch anmutenden Hamburg-Bildern dagegen stellenweise wie ein besserer und ambitionierter TV-Tatort aus.
Constantin
Bieder ist das neue Lustig
Verloren wirken auf mildere Weise auch Annie und Jay, ein Mittelklasse-Paar, das im neuen Film von Jake Kasdan mit stagnierender erotischer Spannung hadert. Weil sich der US-Regisseur für "Sex Tape" aber wieder mit Cameron Diaz und Jason Segel zusammengetan hat, seinem Erfolgsduo aus "Bad Teacher", ist die Trübseligkeit in ein Sperrfeuer aus Schlafzimmer-Scherzen verpackt.
Als jemand, der beide Hauptdarsteller prinzipiell schätzt und deren gemeinsamen Vorgängerfilm sehr genossen hat, spazierte ich mit Vorfreunde in die Vorstellung. Anfangs seziert der Film das Ende der Leidenschaft tatsächlich auch mit brutaler Komik, wie man sie aus manchen Produktionen von Judd Apatow kennt.
Als die beiden sexuell frustrierten Ehepartner aber beschließen, mit dem omnipräsenten Tablet einer irrsinnig erfolgreichen Computerfirma einen kleinen Privatporno zu drehen, um die Beziehung anzuheizen, kippt der Film Schritt für Schritt.
Sony
"Sex Tape" verwandelt sich nicht nur in eine Product-Placement-Orgie für Eierpad und Apfel-Telefon. Ab dem Augenblick, wo das schmutzige kleine Filmchen von Annie und Jay versehentlich via ominöser Cloud bei Freunden, Arbeitgebern und dem Briefträger landet, hagelt es alberne, harmlose Nackerpatzl-Gags. Der anfänglich heftige Humor, der nicht bloß unter die Gürtellinie, sondern auf die wunden Punkte einer Generation zielt, flackert nur mehr kurz auf. Bieder ist das neue Lustig.
Das ist ziemlich traurig, wenn man etwa Cameron Diaz in "The Counselor" in Erinnerung hat, wo sie einen Sportwagen vergewaltigt, dass der Mainstreamkritik die Spucke wegblieb. Oder wenn man an Jason Segel denkt, der in "Forgetting Sarah Marshall" das RomCom-Genre full frontal unterwanderte.
Auch im Gegensatz zum anarchischen "Bad Teacher", der bekiffte Seitenhiebe gegen den bürgerlichen Status Quo austeilte, zielt "Sex Tape" auf die Restauration der Idylle ab. Gerade mal zwei durchgeknallte Auftritte von Rob Lowe und Jack Black provozieren befreiendes Lachen.
Sony
Burn, Hollywood, burn
Kommen wir also zum sehenswertesten Film, der dieser Tage in den heimischen Kinos anläuft und bei dem die Kompromisslosigkeit Programm ist. Angeblich hat die katholische Kirche die Vorhölle bereits abgeschafft, erzählte mir ein Freund unlängst, bis zu David Cronenberg hat sich das nicht herumgesprochen. Der schickt in "Maps to the Stars" eine ganze Gruppe verlorener Seelen nämlich in den Limbus.
Der äußerste Kreis der Hölle befindet sich in dem Ensembledrama naheliegenderweise in Hollywood. Mit einer Boshaftigkeit, die bisherige Tinseltown-Enttarnungen wie "The Player" oder "Barton Fink" verblassen und sogar giftgetränkte Klassiker wie "Sunset Boulevard" im Weichzeichnerlicht erscheinen lässt, porträtiert der Meisterregisseur die (Alb-)Traumfabrik als Ort jenseits aller Moral, Ethik und Menschlichkeit.
Filmladen
Ein verko(r)kster Kinderstar, eine abgewrackte Diva, ein eitler Therapeut, eine mysteriöse Stalkerin: All diese und andere Neurotiker und Soziopathen bilden in "Maps to the Stars" einen Reigen der Zynismen und Abgefeimtheiten. Cronenberg, der darauf besteht, dass sein staubtrocken inszenierter Film eben keine Satire sei, verweist auf seinen Drehbuchautor Bruce Wagner, der jeden einzelnen der monströsen Sätze in Hollywood mitnotiert hätte.
Ob authentisch oder doch surreal angehaucht, die Studie des ganz normalen Filmindustrie-Wahnsinns schließt inhaltlich nicht nur herrlich an den Big-Business-Irrsinn von "Wolf Of Wallstreet" an. David Cronenberg zitiert auch eigene Body-Horror-Beschwörungen und dirigiert die geniale Besetzung – unter anderem Julianne Moore, John Cusack, Robert Pattinson und Mia Wasikowska - ohne einen Hauch von Mitleid in den Abgrund. Wer Menschen, die hinter dem Mond leben, die absolute Leere, das totale Vakuum der westlichen (Luxus-)Welt zeigen möchte, gibt ihnen ein Buch von Bret Easton Ellis. Oder schickt sie in "Maps to the Stars". Kälter haben die Sterne nie gefunkelt.
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