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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

12. 9. 2014 - 11:22

#WhyIStayed, #WhyILeft

Warum hast du ihn/sie nicht verlassen? Mit dem Hashtag #WhyIStayed posten auf Twitter Opfer ihre Geschichten. Öffentlich. Ein eindrucksvoller #Aufschrei.

Gewalt in der Familie und in Beziehungen ist auch heute noch oft ein Tabu-Thema. Gerade die Frage „Warum bist du bei ihm geblieben?“ quält die Opfer auch nach ihrem Martyrium. Warum sie nicht vor ihren Peinigern geflohen sind, ist für Außenstehende oft nur schwer oder gar nicht nachzuvollziehen. Mit den Twitter-Hashtags #WhyIStayed und #WhyILeft treten nun vor allem betroffene Frauen in die Öffentlichkeit und räumen mit vielen Mythen auf. Zum Beispiel: Dass sich die Opfer im Klaren sind, dass sie sich in einem Missbrauchsverhältnis befinden. Die Antworten auf Twitter zeigen, dass viele Menschen den Missbrauch als solchen oft nicht definieren oder lange Zeit nicht wahrhaben wollen.

Bilder von Menschen, die Gewalt erfahren haben

Frauenhäuser Wien

Prügelnder NFL-Star löst Twitter-Kampagne aus

Der Anlass für die Twitter-Hashtag-Kampagne ist die Ray-Rice-Affäre. Ray Rice ist ein Football-Spieler der amerikanischen National Football League (NFL) und Super-Bowl-Sieger. Am Mittwoch ist er von der NFL auf unbegrenzte Zeit gesperrt worden, sein Verein hat zudem den Vertrag mit dem Spieler aufgelöst. Der Anlass für die harte Strafe: Er hat seine Verlobte und mittlerweile Ehefrau Janay Palmer zusammengeschlagen. Eine Überwachungskamera hat den Vorfall dokumentiert. Dass Janay Palmer Ray Rice trotzdem geheiratet und nicht verlassen hat, sorgt in den USA nun für große Empörung. Sowohl Täter als auch Opfer stehen unter Beschuss. Die Frage: „Why did she stay“ wurde landesweit in großen TV-Shows erörtert. Sogar im Weißen Haus sah man sich genötigt, Rices Rauswurf zu kommentieren. Präsident Obama ließ am Montag über seinen Pressesprecher Josh Earnest ausrichten, dass das Thema häusliche Gewalt wichtiger sei als Football.

Auch renommierte US-Zeitungen ließen sich in der öffentlichen Debatte dazu hinreißen, ausschweifend über die Gründe für Janay Palmers Verhalten zu spekulieren und das demonstrative Zur-Seite-Stehen zum Ehemann anzuprangern. So wurden ihr zum Beispiel finanzielle Motive oder Abhängigkeit unterstellt. Eine simple Schuldumkehr von Täter zu Opfer wurde dabei zunächst unreflektiert in Kauf genommen. Beverly Gooden, eine einfache Personalentwicklerin aus Charlotte, die selbst von häuslicher Gewalt betroffen war, nahm das zum Anlass, eine Twitter-Kampagne dagegen zu starten. Gegenüber der Washington Post sagte Gooden, dass sie das Gefühl hatte, dass niemand die Komplexität der Thematik verstand: Dass es auf die simple Frage "Why doesn’t she leave?" keine einfache Antwort geben kann.

Interview mit Silvia Samhaber

Silvia Samhaber, vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) sieht die Twitter-Initiative durchwegs positiv. In FM4 Connected hat sie über die aktuelle Situation in Österreich zum Thema Gewalt gegen Frauen berichtet:

Wie ist die aktuelle Situation in Österreich, wie viele Frauen sind von häuslicher Gewalt betroffen?

Silvia Samhaber: Im März hat die Europäische Grundrechte-Agentur eine große Studie veröffentlicht zum Thema Gewalt an Frauen in der EU. Diese so genannte FRA-Studie hat gezeigt, dass in der EU jede dritte Frau seit ihrer Jugend schon einmal von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen war und in Österreich jede fünfte Frau. Darüber hinaus erfassen wir von den österreichischen Frauenhäuser die Zahlen der Frauen, die mit ihren Kindern in Frauenhäuser flüchten. Das waren im vergangenen Jahr ca. 1600 Frauen. Es gibt auch die Statistik der Interventionsstellen und der Gewaltschutzzentren, die erfassen auch die Betretungsverbote, die die Polizei verhängt. Das waren im Vorjahr mehr als 8000 Betretungsverbote. Diese Zahlen zeigen, dass Gewalt an Frauen leider auch in Österreich immer noch sehr oft vorkommt.

Hat es in den vergangen Jahren einen Anstieg gegeben, stagnieren die Zahlen, oder sinken sie?

Silvia Samhaber: In den letzten Jahren ist die Anzahl der Frauen, die mit ihren Kindern ins Frauenhaus geflüchtet sind, relativ gleich geblieben. Das bedeutet, da können wir keine große Veränderung ausmachen. Was wir allerdings beobachten ist, dass die Anzahl von schwerer Gewalt, auch von Morden, an Frauen in Österreich leider zunimmt.

Mittlerweile gibt es ein großes Netz von Einrichtungen, die sich dem Problem annehmen. Da hat sich viel verändert in den vergangenen Jahrzehnten. Sind sie da zufrieden, oder trügt der Eindruck?

Silvia Samhaber: Also das Netz von Einrichtungen, das sich um Frauen kümmert, die von Gewalt betroffen sind, ist auf jeden Fall besser geworden. Es gibt in Österreich ein relativ gut ausgebautes Netz. Es gibt zwar immer noch Regionen, wo es zu wenig Stellen gibt, aber grundsätzlich ist es sehr gut ausgebaut. Das hat sich auf jeden Fall verändert.

Ist Gewalt in der Familie noch immer ein Tabu-Thema? Wie ist da Ihre Einschätzung?

Silvia Samhaber: Ich glaube da gibt es zwei Ebenen. In der Öffentlichkeit ist das Thema präsent und ein Stück weit enttabuisiert worden. In den Kerngemeinschaften, in den Familien, ist es noch immer sehr schwer, darüber zu sprechen, dass man von Gewalt betroffen ist. Ich glaube das ist nach wie vor eine große Hürde und auch nach wie vor sehr unterschiedlich, wie dann damit umgegangen wird.

Die Frage: „Warum bist du geblieben und nicht gegangen“, die in Twitter aufgegriffen wurde, ist das nicht eigentlich eine Tabu-Frage?

Silvia Samhaber: Ich denke grundsätzlich, dass man Fragen stellen können soll. Auch diese Frage. Es ist auch keine unwichtige Frage. Die Antwort, die ja auch die Betroffenen selbst am besten beantworten können, führt ja dazu, dass Personen, die jetzt nicht persönlich betroffen sind, mit dem Thema wenig zu tun haben, besser verstehen können, was die Mechanismen von Gewalt sind. Was es bedeutet, von Gewalt betroffen zu sein, vor allem durch den Partner, durch den Ehemann. Also ich denke es sollte in diesem Bereich keine Tabu-Fragen geben, weil fragen führt zu mehr Verständnis.

„Warum bist du geblieben?“, ist aber auch eine Frage, die Opfern sehr schnell unbedacht gestellt wird. Damit kann man jemanden auch verletzten?

Silvia Samhaber: Das ist für Betroffene natürlich eine sehr schwierige Frage, weil diese Frage ein Stück weit impliziert und unterschwellig mitschwingt, dass es auch die Schuld des Opfers ist, von Gewalt betroffen zu sein. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Schuld, die ja eigentlich beim Täter liegt, der die Gewalt ausübt, ein Stück weit weggenommen wird und hin zur Frau geschoben wird. Der/die Täter wird damit ein Stück weit aus der Verantwortung genommen. Also diese Frage ist eine, die von Außenstehenden sehr schwer zu stellen ist. Von den Betroffenen selber aufgeworfen zeigt es aber ganz gut, wie der Umgang ist in unserer Gesellschaft mit dem Thema.

Wie sehen Sie diese Twitter-Kampagne?

Silvia Samhaber: Ich sehe das sehr positiv und zwar deswegen, weil es zum einen Frauen ermöglicht, ihre Geschichte nach außen zu tragen. Weil es auch ein Stück weit ein Austausch ist. Viele Frauen, die davon betroffen sind, leben auch mit dem Gefühl sie sind alleine, sie sind als Einzige betroffen, es gibt keine Frau in ihrem Umkreis, der es auch so geht. Diese Bewegung, die da jetzt in Gang gesetzt wird zeigt, dass leider nach wie vor sehr viele Frauen betroffen sind. Ich glaube es hilft, dass das Thema wieder mehr in die Öffentlichkeit kommt. Dass es aufzeigt, dass eben Frauen aus sehr unterschiedlichen Kontexten, unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen betroffen sind. Und ich glaube, es hilft auch Frauen, die jetzt noch in einer Gewaltbeziehung sind, zu sehen, viele Frauen haben Ähnliches durchgemacht und viele Frauen haben den Weg aus der Gewaltbeziehung geschafft.

Für Außenstehende ist es oft schwer zu verstehen, was da in den Menschen vorgeht, die jahrelang so ein Martyrium mitmachen. Wie geht man damit um, wie spricht man das an wenn man helfen will?

Silvia Samhaber: Ich denke, generell ist es sehr wichtig das immer anzusprechen. Zu fragen: Wie geht es dir? Dadurch wird schon ganz viel in Gang gesetzt. Wenn man zeigt, da gibt es jemanden, an den oder die kann ich mich wenden. Ich glaube, es ist auch wichtig zu wissen, dass es Hilfseinrichtungen gibt. Und ich denke, wenn man jetzt selbst als Angehöriger, als NachbarIn, als ArbeitskollegIn in der Situation ist, dass man glaubt eine Frau könnte betroffen sein, auf jeden Fall ansprechen und Informationen zu Hilfsangeboten weitergeben. Zum Beispiel die Frauenhelpline gegen Gewalt, die Telefonnummer ist 0800 222 555, die ist rund um die Uhr besetzt. Da können Frauen anrufen aber auch genauso Personen, die genau solche Fragen haben. Also: wie spreche ich das am besten an. Jeder bekommt dort Hilfe und Rat. Diese Nummer zu wissen und sie weiterzugeben, kann schon sehr viel bedeuten und ein erster Schritt sein.