Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Taxis, Apps und das neue Prekariat"

Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

11. 9. 2014 - 15:40

Taxis, Apps und das neue Prekariat

Innovative Apps wie myTaxi, Airbnb und Uber erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, bringen alte Branchen in Bedrängnis und werfen Fragen über neue Formen von Armut auf.

Immer öfter bringen Firmen, deren wichtigste Schnittstelle zum Kunden eine Smartphone-App ist, etablierte Branchen in Bedrängnis. Während die Vertreter der letzteren nervös werden und manchmal sogar die Gerichte bemühen, erfreuen sich Apps wie Airbnb, Uber und myTaxi immer größerer Beliebtheit - und deren Hersteller knüpfen immer bessere wirtschaftliche Netzwerke.

Die App myTaxi wurde in den letzten Jahren schon von Daimler, Hersteller der Mercedes-Autos, mitfinanziert. Er hat die App jetzt komplett übernommen. „Das ist eine gute Sache“, sagt der Taxifahrer Sadik Kocamis, während er mich durch die Stadt fährt. Mercedes sei bestimmt gut für myTaxi, und ein Mercedes sei als Taxi ein Vorteil.

Screenshot einer Taxi App

Christoph Weiss / FM4

Screenshot der myTaxi App

Zehn Minuten zuvor habe ich seinen Wagen per App bestellt und dabei die Option „5-Sterne-Taxi“ ausgewählt. Kocamis' Luxusauto wurde ihm allerdings weder von Mercedes, noch von myTaxi zur Vefügung gestellt. Kocamis ist Alleinunternehmer mit eigener Firma, das Auto gehört ihm privat. Das hat es im Taxigewerbe auch schon früher gegeben, durch myTaxi hat sich der Trend zum eigenen Auto verstärkt. Meinen Fahrer scheint es nicht zu stören. „Für uns gibt es bei myTaxi keine Vollgebühr pro Monat wie bei einem Funkdienst“. In Wien kostet ein Vertrag mit einer Taxi-Funkzentrale den Fahrer bis zu 600 Euro pro Monat. „Bei myTaxi zahle ich nur pro Auftrag.“

Bewertungsdruck

Aufträge werden bei myTaxi unter anderem auch aufgrund der Bewertungen priorisiert. Sind zwei Taxis in gleicher Entfernung zum Kunden, erhält das mit der höheren Anzahl an Sternen den Auftrag (außer der Fahrgast hat auch andere Auswahlkriterien ausgewählt). „Meine Kunden steigen ein und sehen, dass mein Auto sauber ist“, sagt Sadik Kocamis. Er findet es in Ordnung, dass er dem ständigen Bewertungsdruck durch die Kunden ausgesetzt ist. Gerüchten zufolge bewerten die Taxifahrer in ihrer App auch die Kunden mit Sternen. Kocamis will das aber nicht bestätigen – er sei mit allen Kunden zufrieden.

Einige myTaxi-Fahrer, mit denen ich gesprochen habe, heben auch den Sicherheitsaspekt als Grund für die Benutzung der App hervor. Denn nicht nur die Fahrgäste sehen den Namen ihres Taxlers – auch der Fahrer sieht den Namen und die Kontaktoptionen seines Kunden. „Letztens habe ich einen Fahrgast, der am Flughafen gewartet hat, angerufen, weil es länger gedauert hat. Ich habe gefragt, ob das in Ordnung ist und ob er wartet.“ Viele Stammkunden würden diesen persönlichen Kontakt schätzen.

Taxifahrer am Steuer

Christoph Weiss / FM4

myTaxi-Fahrer Sadik Kocamis

Auch Francis Ojarikre, seit einem Jahr Taxifahrer und genauso lange mit der „myTaxi“-App auf einem Tablet unterwegs, schätzt die beiderseitige Kontaktmöglichkeit: „Gestern hat eine Frau ihr Telefon im Taxi liegen lassen. Ich habe es gar nicht bemerkt, weil es auf dem Rücksitz lag. Dann hat sie mich über die App angerufen und ich habe es ihr gebracht.“

Viele seiner Fahrgäste seien Touristen aus Deutschland, sagt mir ein anderer Fahrer. „Ausländische Kunden wissen die Telefonnummer des Taxifunks in Wien nicht. Aber sie haben die myTaxi-App auf ihrem Smartphone, also benützen sie die." Als er noch mit Funk fuhr, hätten ihn nie deutsche Touristen angerufen.

Streit mit Funkzentralen

In der Vergangenheit übten Wiener Funkzentralen Druck auf Taxifahrer aus, myTaxi nicht zu verwenden. Einigen Fahrern wurden die Verträge gekündigt. Auch in Deutschland war das so, allerdings führte dies dort zur Klage eines Taxifahrers und einer bemerkenswerten Entscheidung: Das Gericht entschied, dass die Benützung einer App durch einen Taxifahrer kein berechtigter Grund für eine Funkzentrale sei, den Vertrag zu kündigen. In Österreich, wo es ein derartiges Gerichtsurteil nicht gibt, beugen sich viele Taxler dem Druck der Funkzentralen. „Hier fahren alle Fahrer entweder mit Funk oder mit App“, sagt ein Fahrer.

Auf Nachteile der myTaxi-App gegenüber einer Funkzentrale angesprochen, wiegeln die meisten meiner Fahrer ab. „Ich bin zufrieden“, sagt Francis Ojarikre.

Ich steige aus. Die Vemittlungsprovision für meine Fahrt wird nicht ein kleines Wiener Taxifunk-Unternehmen kassieren, sondern der globale Daimler-Konzern. Francis Ojarikre sagt: „Bitte bewerten sie mich.“

Taxi-Leuchtschild

APA/dpa

Für den Soziologen Harald Katzmair, dessen Forschungsschwerpunkt unter anderem in der Analyse von Kommunikationsetzwerken liegt, stellt die myTaxi-App ebenfalls eine Verbesserung des jahrzehntealten Geschäftsmodells Taxivermittlung dar. Funkzentralen und Taxiinnung sollten die unerwartete Konkurrenz als Chance sehen und sich die Frage stellen, wie sie selbst neue Technologien einsetzen und entwickeln könnten, um ihr eigenes Angebot zu verbessern. „Dazu müssten sie aber selbst innovativ werden und von sehr abgestandenen und ausgelutschten Business-Modellen, die seit fünfzig, sechzig, siebzig Jahren unverändert sind, wegkommen. Das wird auch passieren.“

Sharing Economy

Während der Soziologe sich also durchaus für disruptive Geschäftsmodelle begeistern kann, sieht er den zunehmenden Trend zur Sharing Economy bedeutend kritischer - zu Firmen wie Uber oder Airbnb also, deren Geschäft im wesentlichen darin besteht, Menschen zum Vermieten ihres Eigentums zu bewegen und daran mitzuverdienen. „Man muss einmal nach San Francisco fahren und sich dort ansehen, wer Teil dieser Sharing Economy ist“, sagt Katzmair.

Harald Katzmair

FAS Research

Harald Katzmair

Die Gentrifikation sei in Städten wie dieser soweit fortgeschritten, dass das Leben enorm teuer wurde – ein Two-Bedroom-Apartment koste ab 3000 US-Dollar monatlich. „Wir haben in diesen großen Städten Amerikas ein Prekariat – Menschen, die, um sich das Leben dort leisten zu können, ihre Autos, ihre Wohnungen und andere Güter durch Uber, Airbnb usw. auf dem Markt anbieten müssen.“ Es sei keine Seltenheit, dass Kalifornier, die tagsüber in Kreativberufen arbeiten, in der Nacht von 22 bis 1 Uhr mit ihrem Auto Uber-Fahrten unternähmen. Manche schliefen am Wochenende bei Freund oder Freundin, um die eigene Wohnung über Airbnb an Touristen vermieten zu können.

„Das hat mit Sharing nichts zu tun", sagt Katzmair, "sondern man vermietet die Assets, die man hat, um in diesem Umfeld leben zu können.“ Das gelte auch für den Wiener Greißler, der sein Geschäftslokal nebenbei als Abholstation für den Paket-Zustelldienst zur Verfügung stellt, um sich die Miete leisten zu können.

Während also der Kern vieler neuer Geschäftsmodelle vom Prekariat angetrieben wird, müssen wir uns die Frage stellen: Wem nützen sie? Der Firma Uber, sagt Harald Katzmair, gehe es in Wahrheit nicht um Taxis, sondern um Logistik – konkret darum, wie Transportunternehmen in Zukunft organisiert werden können, indem jeder Bürger der Welt zum Teil der Logistikkette wird. Für Uber ist jeder Mensch ein potentieller Chauffeur, Zusteller und Vermieter seiner Assets. „Das Geschäftsmodell ist auf jeden erdenklichen Bereich ausdehnbar“, sagt Katzmair, während er auf sein Bücherregal zeigt. „Ich könnte ja auch meine Bücher an Kunden zum Lesen vermieten“ – und ein Appbetreiber schneidet mit.

Neue Oligopole

„Wir erleben zur Zeit ein massives Zusammenwachsen der wesentlichen drei Netze, die es auf unserer Welt gibt“, sagt Katzmaier, „und zwar der Logistiknetzwerke, der Energienetzwerke und der Informationsnetzwerke.“ Gut sichtbar sei das etwa beim mächtigen Konzern Google. Er ist mit Google Fiber der größte Investor in Glasfasertechologie in den USA und baut Low-Orbit-Sateliten für globale Internetverbindungen (Information), er investiert in die Entwicklung von Solarkraftwerken (Energie), er arbeitet aber auch an Drohnen, Roboter-Autos und anderen Transporttechnologien (Logistik). Nicht zufällig arbeitet auch Amazon an Drohnen zur Auslieferung von Waren. Die großen Konzerne denken über alle drei Netzwerke nach, aber auch bei den Ubers dieser Welt, so Katzmair, könne man dieselbe Strategie beobachten. Das, und die mögliche Bildung neuer Oligopole, müssten wir uns im Umgang mit disruptiven Geschäftsmodellen vor Augen halten.