Erstellt am: 9. 9. 2014 - 17:07 Uhr
Never Forget, falsche Götzen
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Das Leben ist sinnlos. "Stop Wasting Your Breath!" lautet die Botschaft, die die Mitglieder der sekten-ähnlichen Vereinigung the Guilty Remnant schon in der ersten Episode von "The Leftovers" auf Schildern der restlichen Welt, die von so etwas natürlich nichts wissen will, entgegenhalten. Und weil das Atmen also ohnehin Verschwendung ist, investieren die Guilty Remnant, die schuldigen Überbleibsel, ihre Zeit lieber ins Kettenrauchen. Rauchen als rebellische Geste.
Die Guilty Remnant sind stets komplett in Weiß gekleidet, sprechen nie, auch nicht untereinander, kommunizieren per Fingerschnipsen und Zettelschreiben.
In seiner gerade zu Ende gegangenen ersten Staffel hat die HBO-Show "The Leftovers" so ziemlich alles richtig gemacht, sehr richtig. Weil das Leben leer ist und nichtig, flüchten wir uns in Religionen, Sekten, Kulte, Philosophien, so dürfen wir in "The Leftovers" erfahren. Wie wir diese geistigen Gemeinschaften nennen wollen, ist egal. "The Leftovers" basiert vage auf dem gleichnamigen Bestseller von Tom Perrotta ("Little Children" ), einem doch spannenden, da und dort witzigen, aber schon ein bisschen auf Bahnhofshandlungsroman-Level spielenden Roman.
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Die von Perrotta selbst und dem geliebt-gehassten Damon Lindeloff ("Lost", "Prometheus", "Star Trek") entwickelte Show bemüht sich jedoch um Strenge und große Ernsthaftigkeit – selbst wenn mitunter leise humoristische Untertöne mitschwingen. "The Leftovers" ist eine Show über Verzweiflung, das Suchen und Verlieren der Hoffnung, Schmerzunterdrückung, Ersatzhandlungen und Selbstberuhigung. Manchmal, wenn man es sich ganz fest einredet, kann es auch schön sein. Dabei ist "The Leftovers" hochspannend, wohlkonstruiert weird, in schicken Farben unheimlich, der pompöse Score von Max Richter lässt den Körper vor feinem Pathos beben.
"The Leftovers" schaut nach, wie der Mensch mit großem persönlichem Verlust umgeht, in diesem Fall anhand des Schauplatzes der Show, dem fiktiven Kleinstädtchen Mapleton im Bundesstaat New York. Die Prämisse von Roman und Serie ist schon im höchstmöglichen Maße shocking: Ein unerklärlicher, drei Jahre vor der Haupthandlung angesetzter Zwischenfall hat zwei Prozent der Weltbevölkerung von einer Sekunde auf die andere verschwinden lassen. Ein Verpuffen ohne Restspuren und Begründung. Geliebte, Kinder, Eltern, Freunde, Kollegen, Feinde – weg.
Warum, warum nur? steht Mapleton als konstanter Schmerzensschrei in die Eingeweide geschrieben. Viele der Hinterbliebenen halten die Verschwundenen für "Auserwählte", die wohl irgendein Gott in sein Himmelsreich geholt haben dürfte. "The Leftovers" macht aber schon rasch klar, dass es eine logische Erklärung für derlei Incident wohl gar nicht geben kann (sollten wir spätestens seit "Lost" wissen) und ist - bislang – auch so gut wie gar nicht an seiner Aufklärung interessiert. Es dreht sich klarerweise vielmehr um die Leftovers auf der Erde, um Trauerarbeit, Betroffenheitskultur, das Verharren im Leid vs. einem erzwungenen, nötigen Moving On.
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Hauptfigur Polizeichef Kevin Garvey, dargestellt vom großen, für den Part auf merkwürdige und genau richtige Art und Weise zu sexy glühenden Justin Theroux, hat zwar keine Familienmitglieder durch übernatürliche Kräfte verloren – dafür aber hat ihn seine Ehefrau (stumm-einnehmend: Amy Breneman) auf irdischem Wege verlassen und ist den Guilty Remnant beigetreten, natürlich ohne Erläuterung der Beweggründe. Zu Tochter Jill ist das Verhältnis meist angespannt, Garveys Sohn Tommy arbeitet irgendwo in der Einöde, ohne das Wissen des Vaters, als Handlanger für den Führer einer wieder anderen Sekte, den Trostspender und Seelenreiniger (gegen gutes, gutes Geld, versteht sich) "Holy" Wayne (wahnsinnig, furchteinflößend: Paterson Joseph). Welcher ist der schlimmere Verlust?
Die Guilty Remnant haben sich nach dem Zwischenfall gegründet, ihre Absicht scheint der Kampf gegen das Vergessen, für die Erinnerung, größere Ziele sind bislang unbekannt. Muss es nicht geben. Durch ihr scheinbar unmotiviertes Auftauchen im Stadtbild, unnachgiebiges zweckfernes Herumgestehe, gänzlich lustbefreites Rauchen und das penetrante Schweigen sägen sie dem Rest der Bevölkerung mit voller Absicht an den Nerven. Wohin man sich auch wendet, in die herkömmliche Religion, in den Hokuspokus – es ist letztlich alles nichts. In dieser Hinsicht ist Liv Tyler in ihrer Rolle der doch recht schnell zu den Guilty Remnant konvertierten und dort ebenso schnell im Ranking aufgestiegenen Meg bemerkenswert: Was sich da in Tylers Gesicht in Sachen Leere, Kälte und Überzeugung für das Nichts abspielt, ist erstaunlich.
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Die Ideen vom falschen Glauben, unechten Propheten und Götzen transportiert "The Leftovers" mithilfe des immer wieder deutlich herausgearbeiteten – und bekanntlich auch immer wieder für Mulmigkeit guten – Sujets "Puppe". Irgendwo, in fernen Forschungszentren, wird an Figuren gebastelt, die den Verschwundenen täuschend ähnlich sehen und die Übriggebliebenen über den Phantomschmerz hinwegtrösten sollen. Letztlich sind es dann doch bloß abstoßende, glupschäugige Schaufensterpuppen, die mit nur ganz viel Willenskraft zu Avataren für unsere Sehnsüchte werden können.
In Episode 4 wiederum bekommt es Chief Garvey mit einem an sich läppischen Zwischenfall zu tun: Irgendjemand hat die stinknormale Baby-Puppe, die in einer öffentlich ausgestellten Weihnachtskrippe den Baby Jesus darstellt, gestohlen. Chief Garvey soll, anstatt das Original ausfindig zu machen, im Laden einfach eine neue Baby-Puppe besorgen und so die Krippe wieder befüllen. Garvey, selbst alles andere als religiös, bringt es nicht übers Herz, weil das doch irgendwie Betrug wäre und die Baby-Puppe müsse wohl durch ihren schieren Aufenthalt in der Krippe ja dann doch irgendwie nebulös "heilig" sein – selbst wenn man an so etwas nicht glaubt.
Der religiöse Geschmack ist in "The Leftovers" allgegenwärtig. An einer Stelle muss der geprügelte und fertige Garvey das Buch Hiob zitieren. Ein junges Pärchen - sie ist schwanger, das ungeborene, angeblich besonders "wichtige" Kind jedoch nicht von ihm - ist auf der Flucht durch diverse Herbergen und Unterschlüpfe. Ein Baby wird im Korb ausgesetzt. Bislang wird die Religion jedoch eben auch als eine Geschichte, als Fantasy und mögliches Hirngespinst inszeniert.
Was man hier glauben kann, wird immer unklarer, Chief Garvey driftet langsam Richtung Wahnsinn, pendelt zwischen Realität und Alptraum - was beispielsweise in der Szene in der letzten Episode, in der Garvey mit dem ebenfalls ständig auf verlorenem Posten stehenden Reverend Matt Jameson (zerrissen: Christopher Ecclestone) ein Diner besucht, mit dem Song "Sleep Walk "von Santo & Johnny untermalt wird. Nur ein schönes, kleines Detail von vielen in "The Leftovers", in dessen Symbolismus man eine Schnitzeljagd fast "True Detective"-haften Ausmaßes hineininterpretieren könnte. Was hat es mit den vielen Tattoos von Chief Garvey auf sich? Was bedeuten die ständig auftauchenden Hunde? Der Hirsch?
Die letzte Episode der ersten Staffel von "The Leftovers" zeigt wie das gehen kann, eine Season beenden. Handlungsstränge finden ein vorläufiges Ende, Rätsel bleiben, neue Türen öffnen sich. Eine Apocalyptica-Coverversion von Metallica findet endlich ihre Bestimmung: Nothing Else Matters. Die Season schließt auf hoffnungsvoller Note, wir wissen jedoch, dass es so nicht bleiben kann. Die Zermürbung lebt weiter, nicht zuletzt verbildlicht durch die Figur Nora Durst (hervorragend, umwerfend, erschütternd: Carrie Coon), die durch den Zwischenfall ihre gesamte Familie, Ehemann, zwei Kinder, verloren hat. Schauerlich, wie sie ihrer in der letzten Episode in einem gruseligen wie tief rührenden Ritual am Küchentisch gedenkt. Der Zweck des Lebens ist Weitermachen.