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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 9. 2014 - 14:01

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 09-09-14.

Der Tag nach dem Fehlstart in der EM-Quali. Über Probleme im Spiel und in der öffentlichen Rezeption. #fußballjournal14

The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Heute mit einer Nachlese zum, gestrigen EM-Quali-Auftakt, dem Heimspiel gegen Schweden.

Zwei Absätze habe er gelesen, das habe ihm gereicht, schreibt der flüchtige Bekannte. Er bezieht sich auf den finalen Text zum gestrigen Schweden-Match, dessen am Anfang befindliches Resumee ich in aller gebotenen Härte formuliert habe. Nicht ohne es davor einen Spielabend lang mit praktischen Beispielen unterfüttert zu haben.
Der Flüchtige, merke ich dann, ist nicht der einzige, der meine harsche Kritik barsch und fast empört von sich weist; sooo schlimm wäre das doch alles nicht gewesen. Komisch, denk ich mir, und weil es die Erfindung der Festplatte möglich macht ein Spiel in diversen Ablaufgeschwindigkeiten nochmal anzusehen (apropos: meine Aufzeichnung von Schweiz vs. England hat ein UPC-Bug gefressen, hätte jemand eine Kopie davon? Bitte am Martin Blumenau, FM4, 1136 Wien schicken! Danke!!) hab' ich heute vormittag also nocheinmal Länderspiel geschaut; mit dem nötigen Abstand einer Nacht.

Deshalb hier ein paar Schärfungen, Festsetzungen und Thesen.

1)
Das Pressing, das viele gesehen haben (sehen wollten?) war nicht messerscharf, sondern butterweich. Janko lief seine Gegner ausschließlich im Trab (und demzufolge immer zu spät) an, Junuzovic und andere Spieler, die sich eher zentral befanden, sprinteten meist erst dann los, wenn der aufbauende Innenverteidiger überlegend stehenblieb. Letztlich waren die Österreicher für alle Schweden so leicht zu umspielen wie der sprichwörtliche Hydrant, Ballgewinne in gefährlichen Zonen gab es praktisch keine. Die Außenverteidiger wurden so gut wie nie gespresst, vor allem Martin Olsson hatte (vor allem in Halbzeit 1) links hinten alle Freiheiten. Weshalb er und Zengin (letztlich der Man of the Match) das schwedische Spiel auch so effektiv über diese Seite aufziehen konnten.
Apropos:

2)
wer keine Flügel hat (fragt den klischeeschwenkenden Neos-Chef...) kann nicht fliegen. Während die Schweden sich über zumindest eine Seite proaktiv nach Vorne warfen, ging bei Österreich flankenmäßig gar nichts. Der Janko-Kopfstoß in der Nachspielzeit der 1. Hälfte, eine der vier, fünf vom schwedischen Teamchef zurecht als Halbchancen bezeichneten Torszenen der Österreicher, kam nach der zweiten (oder dritten) Flanke von rechts zustande.

Klein spielt zwar nicht mehr bei Salzburg, sondern schon bei Stuttgart - er war aber (auch in Kombination mit dem verloren wirkenden Kollegen Harnik) die Schwachstelle im ÖFB-Team. Nicht nur wegen des Tores. Klein wurde vom schwedischen Coaching-Team auch als anzubohrende Schwachstelle angegeben. Typisch war die Spielszene vor Zengins Lattentreffer, als wieder über links aufgebaut wurde, Klein überspielt, der aushelfende Baumgartlinger überlaufen wurde, der Ball im Rebound dann aus der Zentrale postwendend auf den schon wieder links freigelaufenen Zengin zurückkam.

3)
Österreichs flügellahmes Spiel war auch sonst variantenarm. Der im ersten Drittel zweimal angewandte Schmäh, den Ball nach einem Lauf zur Grundlinie in den Rückraum zu passen, wo er dann direkt (und potentiell gefährlich) abgenommen wurde, wurde danach eingemottet. Es gab kein schnelles vertikales Flügelspiel, von einem Diagonalspiel gar nicht zu sprechen. Der erste Diagonal-Pass in der 55. Minute kam von ... Hinteregger. An ihm und Dragovic, also den Innenverteidigern und der Achse Baumgartlinger-Alaba blieb der Spielaufbau hängen, quarterback-style.

Apropos Alaba:
dem von allen empört hochgehängten Ellbogen-Check des für seine rudeness bekannten Ibrahimovic (Min. 20) ging ein Foul von Alaba an Bengtsson voraus, das eine längere Behandlung nach sich zog. Käptn Ibra wollte damit (auf seine Art) zeigen, dass man sich unfreundliche Akte dieser Art nicht gefallen lässt.
Danach wurde übrigens endlich einmal in diesem Match wirklich aggressiv gepresst. Allerdings von den Schweden; Ibrahimovic holte sich auch eine Karte.

Nach einer kurzen Phase in der das ÖFB-Team das Spiel in den Griff zu bekommen schien (rund um Min 25 gelangen je ein Flügellauf rechts und links, dazu der zweite gute Rückraum-Pass) besann sich das schwedische Team auf eine schnell aufgehende seek & gain control-Strategie - in der Folge sah man ein 4-5-0-Ibra mit nur mehr seltenen Gegenstößen, das sich in Halbzeit 2 sogar zu einem 5-4-0-Ibra auswuchs.
Das ÖFB-Team hatte dem nichts entgegenzusetzen.

4)
Zlatko Junuzovic, der eigentliche Playmaker ging im gestern eher als 4-4-1-1 angelegten System Kollers zwischen den Linien verloren: Er war der einzige potentielle, aber immer zuspätkommende Anläufer neben dem trabenden Janko und er wurde zudem praktisch nie eingesetzt. Nicht von der Zentrale hinter ihm (da waren die Pass-Wege zugestellt), schon gar nicht von den auch meist in die Mitte ziehenden eigentlichen Flügelspielern.

Das nachträglich in Halbzeit 2 eingezogene Narrativ, dass Junuzovic nach einer tollen Hälfte durch Manndeckung oder sonstwie clever aus dem Spiel genommen wurde, ist ein Mythos. Schon in Halbzeit 1 berührte Juno eher nur bei Standards den Ball; die Freiheiten, die er hatte, wurden vom Rest der Mannschaft nicht benutzt - zudem holte er sich auch vergleichsweise wenige Bälle von hinten.

Apropos Standards: ebenso wie andere, bewusst gesetzte Spielzüge die ab Minute 30 in Talon blieben, fanden die Freistöße und Corner allesamt ohne Plan und Gefahr statt. Auch in den paar Minuten des erhöhten Drucks knapp vor und direkt nach der Halbzeit, als man Cornerserien hatte, ergab sich nur eine eher zufällige Kopfball-Chance von Janko (54.)

Positiv: das kecke Zusammenspiel von Dragovic und Hinteregger und ihr Wille zum kreativen Aufbau. Die Arbeitsteilung zwischen Baumgartlinger und Alaba, sowie der offensive Einsatz beider.

Negativ: alle Außenspieler, die ihre Jobs weder defensiv noch offensiv erfüllen konnten. Die Zentrale mit dem verlorengegangenen Junuzovic, aber auch die Hilflosigkeit der Aufbau-Reihe dahinter ihn einzusetzen.

These:
Die Grundposition zu Beginn der 2. Halbzeit sah Harnik und Arnautovic tief eingerückt vor. Es war also womöglich der Matchplan das Flügelspiel bewusst unterzubetonen. Das macht allerdings nur dann Sinn, wenn man dafür die Zentrale knacken kann. Das ist aber weder im Pressing ganz vorne noch im Kombinationsspiel dahinter passiert. Letztlich wurden also weder die Flügel noch das Zentrum besetzt. Das wiederum kann nicht der Matchplan gewesen sein.

5)
Im Verlauf von Halbzeit 2 gibt das heimische Kollektiv einfach auf. Schweden hält das Remis geschickt fest, Österreich findet kein Mittel (das eh schon schwache Pressing wird - gegen einen kaum noch angreifenden Gegner - zunehmend flauschiger, und kreiert keine Chancen mehr).
Jetzt kommt Kollers Zauderertum, seine (immer späten, diesmal aber vor allem) ineffektiven Einwechslungen, seine durch bewusste Kaderzusammenstellung wenig vielversprechende Bank, das klassische Vorsichtl-Klima innerhalb des ÖFB und das Backing der Duckmäuser-Republik Österreich zum Tragen. Man einigt sich mit dem Heim-Remis zufrieden zu sein.

6)

Momo Akhondi sieht hier einiges ähnlich, interpretiert aber deutlich positiver. Kollege Georg Sander ist an gleicher Stelle deutlich kritischer. Auch Daniel Mandl findet da klare Worte. Jakob Faber ist hier mit dem gezeigten Pressing zufrieden, Tom Schaffer sieht da gar gutes Flügelspiel.

Außerdem ist hier in der Spielzug-Analyse des Standard ua schön zu sehen, wie schwach eingebunden Junuzovic war - man beachte vor allem den inexistenten Austausch mit Alaba.

Die öffentliche Zufriedenheit (egal ob vom Team selber, von den Medien oder Fans, die den Punkteverlust als eh gute Leistung benennen und Kritik als schiere Bösartigkeit zurückweisen) mit diesem Remis ist unerträglich.
Ein Rückfall in vergessen geglaubte Zeiten im ÖFB vor Koller, als man sich nach knappen Niederlagen schulterklopfte. In dieser EM-Campaign kann ein Heimremis weder Ziel noch Maßstab sein.

7)
Es ist fatal: Weil das ÖFB-Team seit einiger Zeit Pressing spielt, und das (vor allem in der WM-Quali, zb gegen Deutschland) durchaus furios und schnittig, glaubt die Mehrzahl der Beobachter, dass das jetzt in jedem Spiel so ist. Man achtet nicht auf das, was zu sehen ist, sondern auf die automatisierte Voreinstellung im Kopf. Das hat natürlich mit der von den Mainstream-Medien, aber auch von Verband und Liga (durch andauerndes Nestbeschmutzer-Gewimmer) mitverschuldeten extraschlechten Publikums-Bildung zur kritischen Analyse zu tun. Wenn dann nur ein Abklatsch des Pressings (denn das Attackieren auf Höhe der Mittellinie verdient diesen Namen nicht), das das Koller-Team tatsächlich spielen kann, zu sehen ist, verwechseln es allzu viele mit dem full monty.

Diese zwei Punkte werden in der Endabrechnung fehlen - deshalb ist das beschönigende öffentliche Gebrabbel jetzt schon so ärgerlich.