Erstellt am: 19. 9. 2014 - 11:56 Uhr
"Das Seelenhaus" von Hannah Kent
"Das Seelenhaus" von Hannah Kent hält tatsächlich, was beinahe wirklich jede Rezensionen versprach. Schon letztes Jahr, als "Das Seelenhaus" im englischsprachigen Original erschienen war, unter dem Titel "Burial Rites", gab es kaum jemanden, der oder die dieses faszinierende Frauenschicksal, die Geschichte der isländischen Magd Agnes Magnusdottir, so wie sie von Hannah Kent erzählt wird, nicht empfehlen konnte, trotz vielleicht ein paar möglicher stilistischer Schwächen und hin und wieder etwas klischeehafter Beschreibungen.
"Hannah Kent´s 'Burial Rites' is a debut of rare sophistication and beauty - a simple but moving story, meticulously researched and hauntingly told", schrieb etwa die britische Zeitung The Guardian über "Das Seelenhaus" bzw. "Burial Rites". Hannah Kent erweckt in ihrem Roman, der manchmal an den britischen Klassiker "Wuthering Heights" von Emily Brontë erinnert, die tragische Agnes Magnusdottir aus dem Island der 1800er Jahre so richtig zum Leben.
Burial Rites
"Steinas Augen verengten sich. 'Sie wollen sie hier unterbringen? Bei uns? (...) 'Steina", warnte Lauga."
Steina und Lauga sind die Töchter eines isländischen Beamten mit Bauernhof. Und eben auf diesem Hof soll die zum Tode verurteilte Agnes ihre letzte Zeit verbringen - als Magd. Was erst Entsetzen in der Familie hervorruft, ist der Beginn des Aufrollens eines Mordfalls, mit dem Agnes Magnusdottir ja vielleicht in Wahrheit gar nichts zu tun gehabt haben könnte. Sie soll ihren Arbeitgeber, einen Bauern, und noch einen anderen Mann, getötet und dann verbrannt haben.
Späte Verteidigung
Die Todesstrafe wurde an Agnes Magnusdottir damals im 19. Jahrhundert vollstreckt, daran können wir nichts mehr ändern, aber Hannah Kent nähert sich jetzt Agnes Magnusdottir so an, dass alles wohl anders ausgegangen wäre für die junge Isländerin.
"Dann kam der Frühling und sie sperrten mich in den Lagerraum. Sie ließen mich ohne Licht zurück und ohne jede Möglichkeit, die Zeit zu messen oder den Tag von der Nacht zu unterscheiden."
Wie kommt eine junge Australierin darauf, ihren Debutroman in Island anzusiedeln? Eben diese kaum bekannte - jedenfalls außerhalb von Island - Geschichte der Agnes Magnusdottir in Romanform aufzuarbeiten? Es ist ganz einfach: Die literaturbegeisterte junge Frau aus Adelaide verbrachte einige Zeit als Austauschschülerin auf Island, wo sie erstmals von Agnes Magnusdottir hörte, dieser "mordenden Hexe".
Droemer-Knaur
"Das Seelenhaus" ist bei Droemer-Knaur erschienen und wurde von Leonie Reppert-Bismarck
aus dem englischen Original ("Burial Rites") ins Deutsche übersetzt.
"Sie sagen, ich soll sterben. Sie sagen, ich hätte Männern den Atem gestohlen, und jetzt müssen sie mir den meinen stehlen. Ich stelle mir vor, wir seien flammende Kerzen, wachshell, und wir flackerten in der Dunkelheit bei heulendem Wind."
Was war wirklich passiert?
Hannah Kent war 17 Jahre alt, als sie ein Jahr lang in einer kleinen Stadt im Norden Islands bei einer Gastfamilie lebte. Einmal kam sie an einem Ort namens Vatnsdalur vorbei, und als sie nachfragte, was es mit den vielen kleinen Erdhügeln dort auf sich hat, erfuhr sie, dass genau dort die letzte Hinrichtung in Island - einer Frau namens Agnes - stattgefunden hatte.
Nicholas Purcell
Rasch war Hannah Kent klar, dass sie diese rätselhfte Frau so lange nach deren gewaltsamem Tod neu porträtieren wollte. Das könnte bedeuten, dass Agnes in Hannah Kents Buch idealisiert wird. Nein, wird sie letztlich nicht, Hannah Kent unterscheidet zwischen Empathie und Sympathie. Auch wenn sich die Autorin, die heute 29 Jahre alt ist, sofort, wie sie sagt, "mit Agnes auf eine eigenartige Weise verbunden gefühlt" hat. Hannah Kent fühlte sich damals auf Island erst isoliert, sehr einsam, und vielleicht war das ja auch ein Grund, warum sie sich so tief in den Fall Agnes Magnusdottir hineinzustürzen begann.
Hannah Kent:
"Ich habe Agnes' Stimme intuitiv gefunden. Für mich ist sie eine intelligente, ehrgeizige und widersprüchliche Frau, die durch ihre Klasse und ihr Geschlecht bestimmt wurde."
Der letzte Mensch, der also in Island durch die Todesstrafe sterben musste, eine Frau, das ist glücklicherweise ganze 186 Jahre her. Aber es gibt diese "Agnes" an anderen Orten der Welt noch immer. An ihr Schicksal denkt man beim Lesen von "Das Seelenhaus" vielleicht immer wieder genauso stark, wie an Agnes selbst, die von Hannah Kent auf eine wunderbare Weise ins Hier und Jetzt geholt wird. Agnes Magnusdottir nickt wohl in ihrem Grab irgendwo auf Island. Ich mag diesen Gedanken, auch wenn von Agnes Magnusdottir gewiss nichts mehr übrig ist unter der Erde. Sollte es uns in diese Gegend im Hohen Norden von Europa verschlagen, dann suchen wir Agnes Magnusdottir auf jeden Fall auf.