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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

16. 9. 2014 - 11:33

Schatz im Wörthersee

Josef Winkler erzählt in seinem neuesten Buch von seinen beiden Kindheitshelden: Winnetou und dessen Erschaffer Karl May.

Old Shatterhand, Nscho-tschi, Sam Hawkens und natürlich Winnetou - all diese Namen sind uns ein Begriff, wenn schon nicht durch die Bücher Karl Mays, dann zumindest durch die im FS2-Nachmittagsprogramm ausgestrahlten Verfilmungen.

Karl May als Erlöser

Für Josef Winkler waren die Geschichten Karl Mays aber mehr als nur seichte Unterhaltung. Als Kind ermöglichten sie ihm die Flucht aus dem immer kalten Kinderzimmer im kärntnerischen Bauernhaus seiner Eltern, weit weg vom Gestank der Kühe, den boshaften Geschwistern und dem herrischen Vater. Bis ins Teenager-Alter waren Karl-May-Bücher - und später auch die Filme - der einzige Rettungsanker für Winkler, auch wenn der nur in seiner eigenen Fantasie ausgeworfen wurde.

Es war auch die Zeit, in der mich der Vater ständig wegen meiner Beatlesfrisur als Gammler, Zottl und Hippie beschimpfte, mich aber nicht mehr zum Frisör zwingen konnte, mich auch einen Bettelstudenten nannte, da er für meinen Besuch in der Handelsschule jeden Monat 500 Schilling Schulgeld zahlen musste und die täglichen Omnibusfahrten, eine Omnibuswochenkarte, die 50 Schilling kostete, die ich mir jeden Sonntag von ihm erbetteln musste, um weiterhin in die Schule fahren zu können, während meine anderen Brüder mit den anständig gepflegten Haarschnitten und Frisuren, über die sich niemand im Dorf mokieren konnte, eine Lehre als Handwerker absolvierten und bereits seit dem vierzehnten Lebensjahr ihr eigenes Geld verdienten.

Heimlich musste der junge Winkler sich die Bücher besorgen, jahrelang hat er der Mutter nach und nach immer wieder einzelne zehn Schilling-Stücke aus der Börse gestohlen und über Monate hinweg das beim Kirchenblatt-Austragen verdiente Geld nicht in der Dorfpfarre abgegeben, sondern in den Buchladen getragen. Von den Eltern und Geschwistern wurde es nicht gerne gesehen, dass der kleine und schmächtige Josef, statt im Stall mitanzupacken, seine Nase lieber in Bücher steckt.

Erlöst wurde ich erst, und konnte dann in aller Ruhe "Halbblut" weiter- und fertiglesen, als einmal der Tierarzt, der vornehme Dr. Weber, der immer einen sauberen weißen Mantel trug, aus Paternion zu einer Operation in den Stall gekommen war. Die Mutter musste ihm dann jedesmal eine Waschschüssel heißes Wasser mit einem frischen Handtuch und der Terpentinseife mit dem eingeprägten Hirschkopf in der Küche auf einen Stuhl stellen. Während er seine Hände am groben Leintuch abtrocknete, fragte er mich, was ich denn da lese, und als ich selbstbewusst und stolz einfach "Karl May!" sagte, antwortete der Tierarzt: "Sehr gut! Sehr gut!" Von da an sah man mich gerne mit einem Karl-May-Buch in der Hand.

winkler

Suhrkamp

Josef Winkler "Winnetou, Abel und ich" ist im Suhrkamp-Verlag erschienen.

Winklers Winnetou

Im ersten von vier Teilen des nur 142 Seiten starken Büchleins erfahren wir über Winklers Beziehung zu seinen Lektüre-Helden, und seine Beziehung zu den einzelnen Familienmitgliedern in seiner eigenen Familie. Eigentlich ist dieser erste Teil ein guter Einstieg für Menschen, die noch nie Winkler gelesen haben. Kurz und bündig wird alles zusammengefasst, was in seinen bisherigen Werken lange und breit ganze Romane gefüllt hat.

Die drei Folgeteile sind Nacherzählungen dreier Winnetou-Geschichten. Es ist beim Lesen schwer zu sagen, wie viel in diesen Geschichten originaler Karl-May-Text ist und wie viel durch Winkler hinzugefügt wurde. Allerdings sind Winklers universelle Themen - Katholizismus, (latente) Homosexualität und der Tod - auch in den drei Nacherzählungen stark im Vordergrund. "Winnetou, Abel und ich" ist aber nicht nur ein gutes Einstiegsbuch in das Werk Winklers, sondern auch in das Werk Karl Mays.

Winnetou beugte sich, auf seinem Pferd sitzend, zu Old Shatterhand und umarmte ihn. "Mich treibt die Feindschaft fort, dich hält die Freundschaft. Die Liebe wird mich wieder mit dir vereinigen, ich habe gesprochen, howgh!" Winnetou gab Old Shatterhand einen Kuss, feuerte sein Pferd an und jagte mit der wehenden Mähne seines langen schwarzen Haares davon. Old Shatterhand blickte ihm wegmütig nach, bis er verschwunden war. "Wann sehe ich dich wieder, du lieber, lieber Winnetou?