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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

8. 9. 2014 - 11:10

"Mein Telefon bleibt erstmal aus"

Drama, Baby, damit das Leben strahlt: Karen Köhlers Prosa-Debüt "Wir haben Raketen geangelt" trägt dick auf.

Eidechsen haben Hochkonjunktur in der Literatur. Oder es ist purer Zufall, dass auch Karen Köhler die fantastische Autotomie dieses Schuppenkriechtiers erwähnt: "Alles fällt von mir ab, wie Laub von einem Baum im Herbst oder der Schwanz einer Eidechse", schreibt ein weibliches Ich an jemanden in der Kurzgeschichte "Polarkreis" in einem Brief. Beigelegt sind diesem Brief ein Zitronenbaum-Blatt, ein Rosmarinzweig und einige Salbeiblätter. Denn dieses Ich ist euphemistisch formuliert auf Reisen oder ehrlich gesagt auf der Flucht vor dieser Beziehung. Autotomie wäre da tatsächlich ein Hit: An einer Sollbruchstelle kann eine Eidechse durch starke Kontraktionen der Muskulatur einen Schwanzteil abtrennen. Ein Angriffer konzentriert sich erst mal auf den Schwanz, während die Eidechse abhaut.

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Abhauen in Karen Köhlers Buch mehrere der Ich-Erzählerinnen. Es sind überwiegend junge Frauen, die jedoch schon genug Erinnerungen angesammelt haben, um an mancher zu leiden. In einer der Geschichten, "Name. Tier. Beruf.", formuliert das eine Frau treffend: Ihr fehle ein Ort fehle für das – in ihrer Geschichte für den psychischen Schmerz einer Fehlgeburt.

Überhaupt geht viel verloren in diesen Geschichten, Rucksäcke wie Personen, und gesucht werden Orte, an denen man die Dinge aushält. Das Erlebte schleudert die Frauen geradezu auf ihr Ich zurück. Doch nur – so scheint es ob dieser frappanten Anhäufung an Unglück –, damit die Autorin all diesen Widrigkeiten einen Reigen guter, wirklich richtig guter Momente entgegensetzen kann. Und das kann Karen Köhler tatsächlich.

Karen Köhler

Julia Klug

Als Schauspielerin ist ein Hang zum Drama legitim, als Illustratorin hat Karen Köhler ihr Buchcover selbst gestaltet.

Schon während der Tage der deutschsprachigen Literatur im Sommer in Klagenfurt war ein kleiner Hype um Karen Köhlers Kurzgeschichten zu bemerken. Krankheitsbegingt (Windpocken! Die zeigte Köhler tapfer in eine Webcam) konnte sie ihrer Einladung nicht nachkommen, um am Preislesen teilzunehmen. In einer "Soli-Lesung" gab es dennoch "Il Comandante" zu hören. Im Band "Wir haben Raketen geangelt" ist es nun die erste Geschichte. Danach folgt ein Road Trip durch die kalifornische Wüste nach Vegas; einer Frau wurde der Rucksack geklaut, doch ein Indianer pickt sie auf. Misstrauisch könnte man sein gegenüber dieser Erscheinung, ist der Mann eine Fata Morgana?

Karen Köhler hat das Cover zu ihrem Kurzgeschichtenband selber gestaltet mit schablonenhaften Tieren

Carl Hanser Verlag München 2014

Das Debüt ist vor kurzem im Carl Hanser Verlag erschienen.

Teilweise sind die Begegnungen in den Geschichten märchenhaft konstruiert, um nicht zu sagen unrealistisch bis naiv. Liegt eine Person mit externem Darmausgang auf der Onkologie, kommt selten bis nie ein netter amerikanischer Onkeltyp mit seinem Rollstuhl angefahren wie in "Il Comandante" und lädt einen in die Krankenhaus-Cafeteria ein. Karen Köhler aber schickt einen vorbei. So, wie sie vielen ihrer weiblichen Ichs in diesen Geschichten Unbekannte in entscheidenden Punkten zur Seite stellt. Doch Entscheidungen müssen die Charaktere selbst treffen und damit gibt ihnen Köhler eine sehr schöne Beständigkeit.

Wir streiten nur an unserer Streitmaschine, einer alten Olympia, und die Regeln gehen so:
Immer nur eine Person zur selben Zeit an der Tastatur.
Es darf nur geschrieben und nicht gesprochen werden.
Immer nur ein Satz, dann ist wieder der andere dran.
Die Streitprotokolle werden in Ordnern abgeheftet, die mit Jahreszahlen versehen sind.

Durch die kalifornische Wüste, bis nach Neapel und in ein nicht näher benanntes doch vermutlich sibirisches Nirgendwo führt der Kurzgeschichtenband. Sprachlich ist Köhler ganz hier und jetzt.