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Petra Erdmann

Im Kino und auf Filmfestivals

7. 9. 2014 - 12:30

Goldener Löwe von Venedig an Roy Anderson

19 Jahre lang war Roy Anderson mit seiner "Living Trilogy" beschäftigt. Gestern abend bekam der Schwede für den letzten Film seines Dreiteilers, "A Pigeon sat on a branch reflecting on existence", den Hauptpreis überreicht.

"Ich versuche eine Spannung zwischen dem Banalen und dem Wesentlichen zu erzeugen", hat Roy Anderson sein Kino beschrieben, das ganz klar ein Alleinstellungsmerkmal in diesem Wettbewerb der 71. Filmfestspiele in Venedig genoss. Denn niemand macht solche Filme wie Roy Anderson. Eine cineastische Eigenwilligkeit, die der Vorsitzende der Großen Jury, der französische Komponist Alexandre Desplat, wohl gerne teilt. Desplat war u.a. für die Musik in Wes Andersons "The Grand Budapest Hotel" verantwortlich und ist als erster Musiker Präsident der Großen Jury eines A-Festivals.

Roy Anderson

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Roy Anderson

Mehr wie ein Maler, beeinflusst von historischer Fotografie, verpasst der Schwede Anderson in mehr oder weniger losen Sequenzen der menschlichen Existenz ihre bescheidene Tragikomik. Sein Stil und die blass überschminkten depressiven Charaktere erinnern mehr an makabre Kunstinstallationen oder sinistre Mini-TV-Episoden als an ein klassisches Filmnarrativ. Wenn deprimierte Scherzartikelverkäufer in mausgrauen Anzügen ihre Lachkissen feilbieten oder 70 jährige Kinder am Spitalsbett der sterbenden Mutter ein Tauziehen um die mit Schmuck gefüllte Handtasche starten oder der Stammgast regungslos nach 70 Jahren noch am selben Tischeck in sein Bier starrt, offenbart "A Pigeon sat on a branch reflecting on existence" all die bittere Lächerlichkeit und schmerzhafte Gewöhnlichkeit eines routinierten Alltags.

En duva satt på en gren och funderade på tillvaron

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"En duva satt på en gren och funderade på tillvaron"/"A Pigeon sat on a branch reflecting on existence"

Joshua Oppenheimers aufwühlend leise Dokumentation "The Look of Silence" über die Massenmorde an den (vermeintlichen) Kommunisten Mitte der 60er Jahre in Indoneien war sicher ein Mitfavorit für den Hauptpreis. Am Samstag wurde Oppenheimer ("The Act of Killing") nun mit dem Großen Preis der Jury gewürdigt. Er begleitete seinen Protagonisten Adi in der persönlichen Konfrontation mit den nicht verurteilten Mördern seines Bruders, mit denen Adi und seine Eltern jahrzehntelang weiter Tür an Tür wohnten.

"The Look Of Silence"

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"The Look Of Silence"

Den Copa Volpi – sowohl für die beste Darstellerin als auch für den besten Darsteller konnte ein Film verbuchen. Adam Driver ("Girls") und Alba Rohwacher überzeugten in "Hungry Hearts" als amerikanisch-italienisches Liebespaar zwischen den Kulturen voller neurotischer Sorge um ihr ungeborenes Kind und ihre Beziehung.

Adam Driver ("Girls") und Alba Rohwacher

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Adam Driver und Alba Rohwacher in "Hungry Hearts"

Der Silberne Löwe für die beste Regie ging an den Russen Andrej Končalovskij für "Pelye Nochi Pochtalona Alekseya Tryapitsyna" ("The Postman's White Nights"), dessen Laiendarsteller und Inselbewohner heute noch ein ähnlich isoliertes Leben wie ihre Vorfahren führen. Sie produzieren und organisieren Dinge, die sie zum Überleben benötigten, nicht mehr und nicht weniger. Während des Festivals hat mir eine deutsche Kollegin geflüstert, dass "Sivas" – Regisseur Kaan Müjdeci – mit seinem Bruder die hippe Concept-Boutique "The Voo-Store" in Berlin Kreuzberg betreibt. Weniger High-End, mehr karges türkisches Dorfleben zeigte dann Kaan Müjdeci in seinem vierten Film. Mit packenden semi-dokumentarischen Hundekampf-Szenen erzählt Müjdeci die Geschichte eines rotzigen Buben und Tierbesitzers, der in einer machistisch ritualisierten Gemeinschaft in der Provinz initiiert wird. Der Film, der konsequent einen rauen Sog entwickelt, hat den Spezialpreis der Jury erhalten.

"Sivas"

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"Sivas"

Fasst man retrospektiv die Kritikerstimmen am Lido zusammen, war das Horrorfilmdebüt der Österreicher Veronika Franz und Severin Fiala "Ich seh Ich seh" ein plausibler Kandidat für die beste Produktion in der wichtigsten Nebenschiene "Orrizonti", die jährlich eine Auswahl an innovativen Neo-Kino präsentiert. Überzeugt hat die Orrizonti-Jury unter dem Vorsitz der Hongkong Martial Arts Regie-Virtuosin Ann Hui dann doch "Court" des indischen Filmemachers Chaitanya Tamhane. Tamhane untersucht in einer Parabel über den dubiosen Tod eines Kanalarbeiters in Mumbai die indische Justiz.