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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

9. 9. 2014 - 06:00

Einmal Eden und zurück

Mark Vonneguts autobiografischer Roman "Eden Express" nimmt uns mit auf eine furiose Achterbahnfahrt zwischen Aussteiger-Kommune und Psychiatrie.

Die meisten Leute glauben, mich an mein Verrücktsein zu erinnern, müsse schmerzlich sein. Das stimmt nicht. Je wahnsinniger ich war, desto mehr Spaß macht es, sich daran zu erinnern. (Mark Vonnegut)

Verrückt sein

Mark Vonnegut

Mark Vonnegut

Mark Vonnegut lebt heute als Kinderarzt in Quincy, Massachusets.

Achterbahn, erste Reihe, neben dir Mark Vonnegut. Los geht's, hinauf in die höchste Euphorie und hinunter in Angst und Trauma. Eintauchen in einen Tagtraum, abdrehen in eine Halluzination, die Stimmen fahren mit, Mark Twain, Bob Dylan, das Gesamtwerk von Shakespeare und Tolstoj, Nixon und der Krieg, Marx und Lenin, Jesus, Buddha, Papa Kurt, Mama, Freundin, Geschwister, die lieben Hippiefreunde, Zeke der Hund, alle sind dabei. Es macht Spaß, auch ein bisschen Angst, aber nur dir, nicht Mark.

Ja, Mark Vonnegut ist der Sohn von Kurt Vonnegut, dem Schriftsteller, der Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre mit dem Roman Schlachthof 5 vom Underground-Helden zu einer der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literaturszene wurde. Genau zu dieser Zeit lebte sein Sohn Mark erst in einer Landkommune in British Columbia und dann in einer psychiatrischen Klinik in Vancouver. Eden Express ist Mark Vonneguts furiose literarische Verarbeitung dieser Zeit.

Raus aus dem Wahnsinn

Sommer 1969: der 22jährige Mark Vonnegut hat gerade seinen BA in Religionswissenschaften gemacht, in einem Quäker-College an der amerikanischen Ostküste. Mit ein paar Freunden, seinem Hund Zeke und seinem VW Käfer namens Car Car bricht er von der amerikanischen Ostküste auf nach British Columbia, um dort, ein kleines Stück nördlich von Vancouver, auf einer Insel weit draußen im Powell Lake ein Aussteigerleben auf einem halb verfallenen Bauernhof zu beginnen.

Mark Vonneguts Buch "Eden Express - Die Geschichte meines Wahnsinns" ist in der Übersetzung von Johann Christoph Maass soeben erstmals auf Deutsch erschienen, im Berlin Verlag als Hardcover mit 382 Seiten oder als Ebook.

Raus aus dem Großstadtmoloch, weg von den Segnungen und Verführungen des Kapitalismus, von den im Vietnamkrieg verstrickten USA - und nur noch ein guter Hippie sein, ein Selbstversorger, ein Bauer, der Liebe verbreitet und ab und zu ein paar Drogen nimmt. Auf einer einsamen Insel im See, 18 Kilometer Bootsfahrt von der nächsten Straße entfernt.

Kurz nachdem die Freunde den ersten Winter in der Wildnis heil überstanden haben und ein paar Tage nach einem Meskalin-Trip, wird Mark seltsam. Er schläft nicht mehr, isst nicht mehr, fängt an Stimmen zu hören. Seine Freunde bringen ihn schließlich in ein psychiatrisches Krankenhaus, das Hollywood Hospital in Vancouver, wo ihm paranoide Schizophrenie diagnostiziert wird. Das Hospital, weiß Vonnegut heute, war sein Glück, denn obwohl er ein schwerer Fall ist, kann er nach dem dritten Aufenthalt als geheilt entlassen werden. Wenige Jahre später schreibt er die Geschichte seines Wahnsinns auf, das Buch erscheint 1975 erstmals in den USA und wird zu einem Klassiker in der Beschreibung psychischer Krankheiten.

Ab ins Hippieparadies

Buchcover Eden Express: en junger Mann steht nur mit Unterhose bekleidet in einem Fjordähnlichen See und blickt in die Kamera

Berlin Verlag

Der erste Teil von Eden Express nimmt den Leser mit auf den Aussteiger-Trip nach Kanada, auf die Suche eines jungen Paares nach einem geeigneten Platz und nach dem Weg, gute Hippies zu sein. Die zeithistorisch höchst interessante Reise des jungen Mannes, der versucht, einen Gegenentwurf zum Vietnamkriegsamerika zu leben, wird im zweiten Teil zu einer Fahrt durch die anfangs langsam, dann immer schneller in den Wahnsinn abgleitende eigene Psyche.

Mit sichtlichem Spaß, aber ohne den Ernst der Sache aus den Augen zu verlieren, erzählt Mark Vonnegut seine Wachträume und Halluzinationen. Er redet wirres Zeug und macht seltsame Dinge. Er durchlebt enorme Angst und große Euphorie, er liebt und leidet an sich und den anderen, an den Stimmen in seinem Kopf und vor allem an der Welt. Das erinnert zeitweise an Douglas Adams Per Anhalter durch die Galaxis.

Ein literarischer und medizinischer Klassiker

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Die Übersetzung von Johann Christoph Maass schafft es, diese furiose Achterbahnfahrt auch auf Deutsch mitreißend zu gestalten, ohne Handbremse, ohne politisch korrekte Filter, ohne Schnörkel. Mark Vonnegut beschreibt meisterlich, wie es sich anfühlt, verrückt und, (im dritten Teil) wieder gesund zu werden. Kein Wunder, dass Eden Express als eines der besten Bücher über psychische Erkrankungen gilt.