Erstellt am: 6. 9. 2014 - 12:58 Uhr
Horror-Herbst in Wien
„Warum soll ich mir eigentlich Blut und Tod auf der Leinwand antun“, stellte mich neulich ein geschätzter FM4-Kollege zur Rede, „wenn der reale Schrecken derzeit so allgegenwärtig ist?“ Eine Frage, die dieser Tage tatsächlich nicht ganz unberechtigt wirkt.
Albtraumhafte Szenarien geistern mehr denn je durch Medien und soziale Netzwerke. Junge fanatisierte Jihadisten posten im Internet fröhlich Gräuelvideos, aus dem Gazastreifen, wo jegliche kurzfristige Waffenruhe trügerisch scheint, wurden wir mit entsetzlichen Bildern konfrontiert, der Syrien-Konflikt eskaliert weiter.
Dass es inmitten des omnipräsenten realen Terrors nicht wenige Menschen gibt, die sich an einem vergleichsweise beschaulichen Ort wie Wien auf Hardcore-Horror im Festivalformat freuen, mutet in diesem Kontext beinahe unmoralisch an.
Aber nur einen Moment lang. Denn zur Kunst und zum Kino – und ich verzichte bewusst auf jede Unterteilung zwischen Ernsthaftigkeit und Exploitation, Hochkultur und heftigem Trash – gehört natürlich fast schon zwingend die gute alte Tante Katharsis. Das Horrorgenre, das seit seiner Entstehung im Grunde nur um den Tod in sämtlichen Spielarten kreist, ermöglicht die Auseinandersetzung mit Sterblichkeit, körperlichen Bedrohungen und existentiellen Krisen in Form einer Schocktherapie.
Filmmuseum
Die Nacht der lebenden Polit-Toten
Wem das jetzt fast schon zu bildungsbürgerlich klingt: Natürlich ist dabei ein Kribbeln, eine Angstlust zu spüren, ein Gefühl, mit der wildesten Geisterbahn zu fahren. Dabei zielen die besten Regisseure aber nicht auf schneller-höher-weiter und stumpfe Abgebrühtheit. Manche wollen uns mit grotesker Übertriebenheit aus dem Alltag katapultieren und spielerisch mit den letzten Dingen konfrontieren. Andere versuchen durchaus nachhaltig zu erschüttern und träumen fast von einer Läuterung des Zusehers.
Sich der erwähnten deprimierenden Wirklichkeit zu stellen, das gesellschaftliche Grauen zu verarbeiten und zu reflektieren, wurde ebenso eine Kernaufgabe des Genres. Der zentrale Einschnitt diesbezüglich kann an einem Jahr festgemacht werden. 1968, als weltweit politische Aufbruchsstimmung herrschte, die Studenten rebellierten, die Blumenkinder Pazifismus predigten, kam auch „Night Of The Living Dead“ in die amerikanischen Drive-In-Kinos.
George A. Romeros mittlerweile längst im Museum of Modern Art gelandeter schwarzweißer Gänsehaut-Klassiker nahm mit seinen kannibalistischen Wiedergängern, die ohne erklärbaren Grund aus den Gräbern steigen, das ganze Zombie-Kino der Gegenwart vorweg. Dabei spiegelt der Film, mit Szenen voller rechtsradikaler Bürgerwehren und latentem Rassismus, überdeutlich ein repressives politisches Klima, das ein Jahr später allgegenwärtig fühlbar wurde.
Filmmuseum
Meisterwerke der Ernüchterung
1969 schlug nicht nur die Staatsmacht härter zurück, auch die Hippie-Euphorie mutierte zum Horror-Trip. Die Manson Family beging in Kalifornien blutige Morde im Zeichen der Gegenkultur, beim Altamount Festival der Rolling Stones wurde ein Konzertbesucher erstochen. Nackte Gewalt mischte sich in die Reden von Liebe und Frieden. Mit heutiger Kopfabhack-Dauerberieselung aus Gotteskrieger-Kreisen ist das alles nicht vergleichbar, aber apokalyptisch fühlte sich auch diese Ära an, nicht nur in den USA.
Die ungeheure Ernüchterung, die in den 70er Jahren auf die gescheiterte Jugendrebellion folgte, spiegelt sich in einer faszinierenden Retrospektive, die noch bis Mitte Oktober im Österreichischen Filmmuseum läuft. „Land of the Dead: Horrorfilme 1968 – 1987“ ist die Fortsetzung auf den stockdunklen Gruselklassiker-Reigen, der im vorigen Herbst dort zu sehen war.
Heuer geht es ans Eingemachte und die Zahl der Genre-Meisterwerke, die sich täglich abwechselt, ist beinahe erdrückend. Müsste ich einen einzigen Film nennen, an dem kein Weg vorbeiführt, kann das natürlich nur der für mich wichtigste Horrorschocker aller Zeiten sein: „Dawn Of The Dead“, das Original aus 1978, die geniale Blaupause für „Walking Dead“ und sämtliche späteren Leinwand-Untoten.
Die Flucht vor der Zombie-Invasion in eine riesige Shopping Mall erweist sich darin für die Protagonisten nur kurz als Scheinidylle. Denn längst sind nicht bloß die lebenden Leichen eine Gefahrenquelle, auch jegliche zwischenmenschliche Solidarität existiert in der grausamen neuen Welt nicht mehr.
Laurel Entertainment
Irritierende Abgründe und schöne Wendungen
Wer modernste CGI-Effekte und stromlinienförmige Drehbuchkonstruktionen gewöhnt ist, mag manche der im Filmmuseum vertretenen Werke aus den Siebzigern und frühen Achtzigern belächeln. Dabei tun sich hinter der großen Latexmasken-Kunst und den bewussten unhappy endings die irritierendsten Abgründe auf, die bis heute popkulturell nachwirken.
Der klinische Body Horror von „The Brood“, die Atmosphäre der latenten Hysterie in „The Texas Chainsaw Massacre“, der unglaubliche gespenstische Sog von „The Shining“ oder der leuchtend bunte Märchenterror von „Suspiria“: Neben Schlüsselfilmen von Horror-Ikonen wie David Cronenberg, Tobe Hooper, Wes Craven, oder Dario Argento oder gleißenden Genreabstechern von Stanley Kubrick, Federico Fellini und Ingmar Bergman, holt die schaurige Schau auch obskure, lange zensurierte und berüchtigte Arbeiten aus der Versenkung.
Die Retrospektive „Land of the Dead: Horrorfilme 1968 – 1987 läuft noch bis zum 15. Oktober im Filmmuseum.
Streifen, die man früher nur in ärgsten Videotheken unter dem Ladentisch bekommen hat, von internationalen Regieaußenseitern wie Lucio Fulci, Jörg Buttgereit, Jean Rollin oder Narciso Serrador, laufen jetzt in den ehrwürdigen Albertina-Hallen, eine ironische, aber sehr schöne Wendung der Filmgeschichte.
Filmmuseum
Grenzerfahrungen im Keller
Wer von der goldenen Ära des Schockkinos einen Sprung in dessen unmittelbare Gegenwart oder gar Zukunft wagen will, kann das ab 18. 9. tun. Da findet nämlich zum bereits fünften Mal das großartige /slash Festival statt. Zelebriert wird das Jubiläum mit einem Eröffnungswerk, das im besten Sinn alle Kategorisierungen sprengt und bei puristisch angelegten Horrorevents wohl undenkbar wäre.
Ausgerechnet Ulrich Seidls neuer Film „Im Keller“, der die seltsame Obsession der Österreicher mit ihren unterirdischen Refugien thematisiert und dabei erneut die Grenzen zwischen dem Dokumentarischem und dem Inszenierten verwischt, feiert im Gartenbaukino seine Premiere im /slash-Rahmen. Nach diesem im wahrsten Sinne des Wortes abgründigen Trip wandert das Festival aber wieder an den bisherigen Stammort zurück, das Wiener Filmcasino.
Dort werden dann bis zum 28. September keine Gefangenen genommen, 40 Filme stehen auf dem Programm, das von Markus Keuschnigg wieder mit liebevoller Akribie zusammengestellt wurde. Highlights aus diesem überaus dichten Sortiment der süßen Grauslichkeiten und grimmigen Leinwanderfahrungen herauszupicken, fällt schwerer denn je.
Stadtkino Verleih
Extremisten aus aller Welt
Dass aber der Franzose Julien Maury höchstpersönlich vor Ort sein wird, muss dringlich erwähnt werden. Gemeinsam mit seinem Regiepartner Alexandre Bustillo hat er radikale Frontalangriffe auf die Sinne geschaffen, die neben Filmen von Alejandre Aja oder Pascal Laugier zu den wichtigsten und erschreckensten Werken des „New French Extremism“ zählen.
Noch sensationeller: Monsieur Maury wird bei den Publikumsgesprächen zu „Inside“, „Livide“ und dem neuen, mit Stephen King flirtenden Creature-Feature „Among The Living“ von einer Grande Dame des französischen Kinos begleitet, die zu einer monströsen Muse der Pariser Extremisten mutierte. Die Rede ist von der einzigartigen Béatrice Dalle, die ich bereits einmal interviewen durfte und die etliche Rockstar-Poseure zum Frühstück verspeisen würde.
Blanke Verstörung wird beim /slash Festival traditionellerweise großgeschrieben. Filme wie die heißerwartete True-Crime-Ballade „Alleluia“ vom belgische Brachial-Poeten Fabrice Du Welz, das Beziehungshorrordrama „Honeymoon“, inklusive der anwesenden Regisseurin Leigh Janiak oder der existentialistische Albtraum-Thriller „It Follows“ scheinen es auf den Bruch mit wohligen Genre-Konventionen anzulegen. Etliche der vielen japanischen Produktionen im Programm (wie etwa „The Torture Club“ oder „Killers“) legen es bewusst auf Tabubruch und Terror an.
slashfestival
Fleischfressende Bauern und Vampir-Wohngemeinschaften
Bevor jetzt aber zartbesaitete Seelen um das Festival einen weiten Bogen machen: Auf dem /slash 2014 darf auch, ganz ohne blöde Hipster-Ironie, durchaus schallend gelacht werden. Noch nie waren so viele Komödien im Line-Up, natürlich nicht ohne begleitende Kunstblutspritzer, versteht sich.
Während „Discopath“ und „Wolfcop“ mit ihren parodistischen Sujets aufgelegte Mitternachtshits sind, steckt „Knights of Badassdom“ TV-Stars wie Ryan „True Blood“ Kwanten oder Peter „Game of Thrones“ Dinklage in Rollenspielerkostüme: ein klassischer Crowdfoundation-Film, von Geeks für Geeks. „Suburban Gothic“ verbeugt sich schrullig vor Kulthelden wie Ray Wise, John Waters oder Jeffrey Combs im Rahmen einer durchgeknallten Geistercomedy.
Das Wiener monochrom-Kollektiv bringt im postapokalyptischen Epos „Die Gstettnsaga: The Rise of Echsenfriedl“ kannibalistische Landwirte und Dialekt-Musicaleinlagen auf die Leinwand. Die grandiosen „Flights Of The Conchords“-Macher Jemaine Clement und Taika Waititi wiederum erzählen in „What We Do in the Shadows“ von einer Vampir-WG, die unter schnöden Alltagsproblemen im Blutsauger-Milieu leidet.
slashfestival
Ort der Beklemmung, Befreiung und Kommunikation
Völlig jenseits von Sinn und Verstand agiert auch Festival-Stargast Lloyd Kaufman, der amerikanische Exploitation-Pionier und Mitbegründer von Troma-Entertainment. Nicht nur bringt der Trashveteran superbillige Schundspektakel wie „Poultrygeist: Night Of The Chicken Dead“ ins Filmcasino mit, er wird auch eine Master Class für angehende No-Budget-Filmemacher abhalten, die immerhin auch „Guardians Of The Galaxy“-Regisseur James Gunn absolvierte.
Man könnte endlos weitere Programmpunkte aufzählen, sich etwa freuen, dass inmitten von Blut und Beuschel auch die übermütige Autobiografie „La Danza De La Realidad“ des surrealen Großmeisters Alejandro Jodorowsky Platz findet, aber am besten ihr durchforstet die /slash-Auswahl selbst.
Das fünfte /slashfestival läuft vom 19. bis 28. September im Filmcasino.
slashfestival
Für mich jedenfalls wird das Filmcasino zehn Tage lang zum Ort der Konfrontation und der Flucht, der Beklemmung und der Befreiung gleichzeitig. Und wer die einmalige Community dort schon einmal erlebt hat, die nette Crew, die Filmsüchtigen, die mit leuchtenden Augen im Saal sitzen, weiß noch etwas anderes: Wer sich ins Zentrum des fiktiven Horrors begibt, findet dort manchmal Inseln der Menschlichkeit.