Erstellt am: 5. 9. 2014 - 13:52 Uhr
Emotionale Extreme in Tarnfarben

Universal / Wolf Pack
In den letzten Wochen war der Rapper Nazar aus Wien-Favoriten viel in österreichischen und deutschen Medien präsent. Logisch, weil Ende August sein sechstes Album Camouflage und die zugehörige Single mit einer posthumen Falco-Kollaboration erschienen sind. In den Interviews und Artikeln war Nazars Musik aber kaum ein Thema. Vielfach schien man eher erstaunt zu sein, dass sich ein Rapper, der oft dem "Straßenrap" zugeordnet wurde und wird, so eloquent ausdrücken kann. Noch dazu kritisierte Nazar, selbst Muslim, einige seiner Kollegen für deren Scheinheiligkeit im Umgang mit dem Gaza-Konflikt und der Religion an sich und lieferte dafür auch zutieftst Headline-taugliche Sager wie:
"Ob du fastest oder nicht, ist mir scheißegal."
Die massive Medienpräsenz hat sich jedenfalls ausgezahlt: Camouflage ist in Österreich auf Platz 1 in die Albumcharts (Deutschland: Platz 2) eingestiegen, Nazar ist also jetzt auch in seinem Heimatland da oben, wo er hinwollte! Trotzdem sollte man auch einmal über die Musik sprechen, hier also ein kleiner Schnelldurchlauf:
Gleich am Anfang gibt Nazar die Marschrichtung für die kommenden 16 Songs vor: Großes Selbstbewusstsein gepaart mit etwas Reflexion und auch einer guten Portion Melancholie. Camouflage sei sein vielseitigstes Album bisher, meint Nazar selbst, und tatsächlich kracht der zweite Song Rapbeef nach dem melodiösen Intro ordentlich rein.
Diese Abrechnung mit der öffentlichen Beflegelung zwischen Rappern ist ein weiteres Indiz dafür, dass Nazar der oftmals formelhaften Welt des sogenannten "Straßenrap" so schnell wie möglich entwachsen will. Im Song Kanax macht er sich dann auch über diverse Klischees, die "Schwarzköpfen" wie ihm und vielen Rap-Kollegen vorauseilen, lustig.
Mit Eines Tages (leider nicht online zu hören!) folgt mein persönliches Highlight des Albums, auf dem der Spagat zwischen energiegeladenem Beat und nachdenklichen Raps sehr gut aufgeht.

Nazar
Sein bislang direktester Move in Richtung Pop ist dann das posthume Falco-Feature, das mit Einstieg in die Singles-Charts und Ö3-Airplay (inklusive bizarrer rassistischer Reflexe) ja voll aufgegangen ist. Der Song selbst wirkt dank des Produzenten Thomas Rabitsch aber eigentlich eher wie ein Song vom Falken mit Nazar-Gastraps.
Neben Hansi Hölzl ist mit dem deutschen Sänger Mark Forster auf dem Titeltrack noch ein Refraingast für die Formatradios zu finden - Camouflage, der Song, greift dann aber doch etwas zu tief in die Kitsch-Schublade. Davor wird aber auch Fans von aggressiverem Rap einiges geboten: Gäste wie Celo & Abdi oder Sido (den beliebtesten "Rüpelrapper" der Nation) gibt es ebenso zu hören wie Nazars wütendere Momente. Bei Texten wie dem von Randale muss man aber vor lauter Testosteron hoffen, dass das jetzt etwas überhöht ist...
Insgesamt ist Camouflage ein sehr gut produziertes Mainstream-Rap-Album, vielleicht das erste dieser Art aus Österreich, das auch wirklich eingeschlagen hat. Die von Nazar beschworene musikalische Vielfalt beschränkt sich abseits weniger Ausnahmen aber mehrheitlich auf die zwei Extreme "brachial" oder "melancholisch" - letzteres manchmal schon über der Kitsch-Grenze. In Sachen Rap wird Nazar allerdings sowohl in den Aussagen als auch der Technik von Platte zu Platte interessanter, man darf also auf den weiteren Output des Mannes aus Wien-Favoriten gespannt sein…