Erstellt am: 4. 9. 2014 - 14:23 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 04-09-14.
The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#machtpolitik #demokratiepolitik #symbolpolitik
Da war sie wieder, als unterschwelliges Leitmotiv auch bei den (nach dem holpriger Unterbrecher-Strolz-Start deutlich besser gewordenen) ORF-Sommergesprächen, die in ihren besten Momenten tatsächlich Gespräche sind und keine Verhöre: die Politikverdrossenheit der dort per Befragung auftauchenden Bevölkerung, die sich im Konkreten in einer massiven Politiker-Verdrossenheit manifestiert.
Und auch am Tag zuvor, nach der von einer sagenhaft niedrigen Wahlbeteiligung fast schon zur Farce verzerrten Sachsen-Wahl, war der Schuldige schnell ausgemacht: die Politik/Politikerverdrossenheit.
Ehrlich gesagt: ich kann's nimmer hören, dieses Gesuder, dieses bequeme Outsourcing jeglicher staatsbürgerlicher Verantwortung, die die Teilnahme innerhalb eines demokratischen Systems nun einmal mit sich bringt. Dass man sich nämlich kümmern muss, in einer Demokratie, um sie am Leben zu erhalten. Dass sie keine Selbstverständlichkeit ist; was die Herren Staatenlenker Putin, Erdogan oder Orban (letzterer jüngst in einer ganz offenen klaren Rede) anstreben und zunehmend praktisch umsetzen, die Installierung eines autoritäres Regimes nämlich, daran wird auch hierzulande schon gearbeitet. In manchen Ecken ganz bewusst, größtenteils aber unabsichtlich, von vielen nützlichen Idioten.
Das große Problem der westlichen liberalen Demokratien in Europa ist nämlich nicht die schwächelnde Position von Regierungen gegenüber mächtigen Konzernen, die maue Durchsetzungsfähigkeit oder die Absenz von starken Allianzen. Regierungen waren immer schon so stark oder schwach und durchsetzungsfähig wie die großen Konzerne und nicht demokratisch legitimierten Machtzentren der Wirtschaft es zuließen; und die EU zeigt mehr politischen Zusammenhalt als die zum Teil sogar miteinander verwandten Herrschaftshäuser vor dem 1. Weltkrieg.
Nicht jene, die die Politik ihrer Kommunen, Länder und Nationen gestalten sollen, sind schwächer geworden: es ist das Volk, der sprichwörtliche Mann auf der Straße, es sind die Wähler.
Das Problem ist nicht die zunehmende Politiker-Verdrossenheit, sondern die zunehmende Volks-Verdrossenheit.
Sie sind apathisch und teilnahmslos, desinteressiert und zynisch. Sie nehmen alle Errungenschaften der letzten 70 Jahre als selbstverständlich und immerwährend an, sie haben nicht anderes zu tun, als das Prinzip der Steuerleistung, das einen Wohlfahrtsstaat jenseits des amerikanischen Raubtier-Kapitalismus möglich macht (nämlich ein soziales Netz, in dem es uns allen verdammt gut geht) durch andauerndes Gewinsel madig zu machen. Sie sind Kleingeister, die sich für praktisch nichts interessieren, was jenseits ihrer Nasen- oder Schwanzspitze passiert; verleugnen vor sich täglich, nein stündlich, die Zusammenhänge einer globalen Kultur, können so den Zusammenhalt der Weltgemeinde ignorieren und sich in einem scheinsicheren Gefühl tief in ihrer Scholle eingraben. Weil die demokratische, soziale Grundordnung des Staates das zulässt. Dass auch der gesellschaftspolitisch Ignoranteste von allem, was die Demokratie bietet, profitiert. Das ist ja das Groteske: das Geseier ist nur deshalb möglich, weil das Level hoch genug ist.
Ja, eh - es sind nicht alle; man verzeihe mir die fehlende Relativierung und die Zuspitzung, ohne die es aber nicht geht.
Aber es sind sicher 75, 80, 90, vielleicht sogar 95 Prozent. Bei einer ehrlichen Überprüfung ließe sich das statistisch leicht herauslesen.
Aber da geht's ja schon los: ehrlich.
Das wird niemand sein.
Traut sich keiner, weder in Politik noch Wirtschaft; hin und wieder in der Kultur, jenseits der unehrlichen Höhen.
Niemand wird dem Konsumenten, dem Publikum, dem Wahlvolk, der Kundschaft eben, offen und ehrlich sagen, dass er/es/sie geistig aus dem Mund stinkt/en, dass die gepflogene staatsbürgerliche Ignoranz eine Zumutung ist, die Heckenschützen-Verfasstheit demokratiegefährdend. Denn die Tendenz, jene zu bestrafen, die Notwendiges unternehmen, das sich als unangenehm herausstellen könnte, und lieber jene mit seiner Stimme zu belohnen, die nichts tun außer die lauthalsige Jammerei auch noch zu orchestrieren, ist letztlich ein Bruch des grundsätzliches Vertrages, den ein Volk mit seinen Vertretern abgeschlossen hat.
Die Zumutung pervertiert sich dabei: die Machtlosigkeit der politisch Verantwortlichen wird durch die per Dauer-Umfrage permanent losheulende populistische Begleitmusik ja noch ausgeweitet. Erst deshalb kann Polit- und Politiker-Verdrossenheit in diesem Umfang gedeihen. Da beißt sich die Katze - für jeden eigentlich deutlich sichtbar - in den Schwanz.
Genauso wie ich mir dann, wenn es eine besonders schwache Generation an politischen Vertretern gibt (und dieser Zustand ist hierzulande schon seit einiger Zeit virulent, da haben es andere besser) keine Neuen und Besseren schnitzen, sondern nur hoffen kann, dass der Job der politischen Verantwortung irgendwann auch wieder für andere Schichten und Menschentypen attraktiver wird, genauso wenig kann ich erwarten, dass sich eine in den letzten Jahren eingesickerte und verwachsene Mentalität stante pede ändert. Klar, die Politik kann sich kein neues Volk wählen.
Es ist ein bisserl wie beim Fußball: wenn die Mannschaft scheiße spielt, dann ist der Trainer schuld und wird - als schwächstes Glied - ausgetauscht. Nun gibt es aber eben auch Mannschaften, die untrainierbar sind, Largierer vor dem Herrn, willen- und seelenlose Akteure, die sich permanent auf die schwache Führung ausreden, aber selber nur ranzig über den Platz trotten - und so präsentiert sich Team Österreich bereits seit geraumer Zeit.
Dass der zum Erbrechen als Ausrede herbeizitierte Politiker-Verdrossenheit eine mindestens genau so geballte (leider unausgesprochene) Volks-Verdrossenheit entgegensteht, ist ein zur Problemlösung und Demokratiewahrung aber sehr dringend zur Kenntnis zu nehmendes Faktum.