Erstellt am: 4. 9. 2014 - 16:55 Uhr
TV-Infowar Ukraine Today gegen Russia Today
Parallel zum Krieg im Osten der Ukraine liefern sich die englischsprachigen TV-Nachrichtenkanäle Russia Today (RT) und Ukraine Today (UT) seit Tagen einen ungleichen Propagandakrieg. Nach einem Eklat zwischen den beiden Sendern am Dienstagabend hat UT seine Berichterstattung aus der Ukraine weitgehend eingestellt und zeigt fast nur noch Wiederholungen.
Während RT und andere Nachrichtensender seit Mittwoch früh laufend über die Verhandlungen der Präsidenten Petro Poroschenko und Wladimir Putin berichten, wurden diese Gespräche in Ukraine Today bis Donnerstagmittag mit keinem Wort erwähnt. Dieses auffällige Nachrichten-Blackout des ukrainischen Nachrichtensenders dürfte der blamable Auftritt der Programmdirektorin von UT, Tetiana Pushnova, am Dienstagabend in RT ausgelöst haben.

Russia Today
Scharmützel im Infokrieg
Aktuell dazu in ORF.at
Nach der Ankündigung einer Waffenruhe in der Ostukraine samt postwendendem Rückzieher am Mittwoch hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Donnerstag erneut eine Friedensinitiative angekündigt.
Pushnova war live aus Kiew zugeschaltet und saß in einem T-Shirt mit dem ukrainischen Wappen der neutral gekleideten RT-Moderatorin Anissa Naoui gegenüber. Das Thema wäre eigentlich der ukrainische Nachrichtenkanal selbst gewesen, der erst seit 24. August "on the air" ist, doch dazu kam es nicht. Gleich auf die erste Frage der Moderatorin reagierte Pushnova mit einer regelrechten Tirade. In holprigem Englisch bezichtigte sie die RT-Moderatorin der Beihilfe zum Mord an Ukrainern und RT als Propagandasender, mit dem sie nichts zu tun haben wolle.
Als Naoui nachhaken wollte, war Pushnova bereits verschwunden, stattdessen wurde - wieder in fehlerhaftem Englisch - aus Kiew ein Standbild eingeblendet, das RT erneut der Lüge bezichtigte. "Schade, dass sie nicht mit uns reden will" sagte Naoui. RT hatte damit nicht nur das Top-Thema des Abends, sondern auch ein weiteres Scharmützel im asymmetrischen Infokrieg mit Ukraine Today gewonnen.

Russia Today
Die Auftstellung der Sender
Diese Episode ist durchwegs symptomatisch für die äußerst ungleiche Aufstellung dieser beiden staatlichen Nachrichtensender. Von den Kräfteverhältnissen lassen sich hier durchaus Parallelen zur jeweiligen militärischen Stärke ziehen, denn UT kann der russischen Seite im Infowar via Satelliten-TV in keiner Beziehung Paroli bieten.
RT verfügt über gut eingespielte Nachrichtenteams mit einem hohen Frauenteil, mit wenigen Ausnahmen sind die Reporter und Moderatoren Briten oder Amerikaner, die das Handwerk TV-Nachrichten beherrschen. In Interviews und Berichten wird denn auch regelmäßig, aber eher nebenbei eingestreut, dass RT ja stets danach strebe, die Standpunkte beider Seiten zu zeigen.

Ukraine Today
Die UT-Berichterstattung besteht aus Zusammenschnitten von im Halbstundentakt wiederholten Bildsequenzen aus längst gezeigten Nachrichten, die Off-Kommentare lassen keine Zweifel offen, von welchem Standpunkt aus hier berichtet wird: Ukraine Today wirkt deshalb nicht wie ein Nachrichtensender eines demokratischen Landes, der englischsprachige News über die Ukraine für ein internationales Publikum produziert.
Die Kontraste
Das russische Staatsfernsehen wirkt sehr wohl wie ein Nachrichtensender, denn manipuliert wird hier weit subtiler, sodass bei Zusehern mit durchschnittlicher Medienerfahrung schnell der Eindruck ausgewogener Berichterstattung entstehen kann. Das beginnt schon bei der Wortwahl, denn wertende Begriffe werden in den RT-Nachrichten tunlichst vermieden.
Auch in den Webpräsenzen beider Sender ist der Unterschied zwischen Russia Today und Ukraine Todayaugenfällig
So werden die Rebellenführer in der Ostukraine nicht als "Widerstandskämpfer" oder gar als "neurussische" Regierung bezeichnet, sondern diese Bezeichnungen stets mit dem Attribut "selbsternannt" versehen. Auch für die Mitglieder der ukrainischen Regierung werden die sachlich richtigen Bezeichnungen gewählt, dass man sie eigentlich für "Faschisten" hält, können allenfalls Interviewpartner sagen, wobei auch das eher selten passiert.

Ukraine Today
UT hingegen benutzt mit Wertung aufgeladene Begriffe wie "Terroristen" für die Aufständischen, bevorzugt werden Bilder eingeblendet, in denen Putin mit Hitler verglichen wird. Es wird mit einem Wort so grobschlächtig manipuliert, dass für unbefangene Betrachter aus dem Ausland sofort der Eindruck von Propaganda entsteht. Die Propaganda von RT ist hingegen weitaus schwieriger zu erkennen, weil die Manipulation vor allem in der Auswahl der gezeigten Nachrichten besteht.
Die hohe Kunst der Manipulation
So waren die RT-Reportagen aus den USA über die wochenlangen Krawalle in Ferguson kaum von der Berichterstattung europäischer TV-Sender zu unterscheiden. Die Manipulation ist bei RT auf der Metaebene angesiedelt, nämlich worüber regelmäßig und was nie berichtet wird. Die RT-Features sind sämtlich sehr professionell gemacht und wirken für sich allein gesehen großteils sehr ausgewogen. Die Manipulation besteht aber zum Beispiel darin, dass sich die weitaus meisten der regelmäßigen Magazinberichte aus den USA ausschließlich mit deren Schattenseiten befassen.
Während der Krawalle in Ferguson war auch ein Team von RT America laufend vor Ort. Wie Al Jazeera betreibt auch RT ein eigenes Nachrichtenprogramm für Zuseher in den USA
Bevorzugte Interviewpartner sind dabei jene Personen, die in den großen TV-Networks der USA, bei CNN und anderen, selten bis gar nicht zu Wort kommen. Amerikanische Universitätsprofessoren aus dem linksliberalen Lager, die etwa den Drohnenkrieg der USA kritisieren, Vertreter von Bürgerrechtsbewegungen oder Überwachungsgegner sind in RT regelmäßig zu sehen. So war das russische Staatsfernsehen auch der erste Sender, in dem Julian Assange vor seiner Festsetzung eine eigene Fernsehshow hatte. Die lief allerdings nur wenige Folgen lang, weil Assange offenbar bald bewusst geworden war, auf welch gefährliches Spiel er sich da eingelassen hatte.

Ukraine Today
Worüber RT nicht berichtet
RT-Berichte über Vorgänge in Russland selbst beschränken sich auf das absolut Notwendigste, nämlich auf Nachrichten, die ein Nachrichtenkanal aus Russland auch über Russland bringen muss. Am auffälligsten ist wohl, dass Präsident Putin im eigenen Staatsfernsehen weitaus seltener zu sehen ist, als im Nachrichtenkanal der Ukraine.
Die russische Innenpolitik wird in den RT-Berichten kaum erwähnt, der Grund dafür liegt auf der Hand: Würde RT nämlich über russische Innenpolitik berichten, wäre der Anschein eines seriösen Nachrichtenkanals umgehend dahin. Dafür zeigt RT regelmäßig Szenen wie jene vom Dienstag aus dem Kiewer Parlament, als eine Abgeordnete der Regierung lautstark vorwarf, die ukrainischen Soldaten ungenügend ausgerüstet in den Krieg zu schicken und zu verheizen.

Russia Today
Erinnerungen an den Kalten Krieg
Die aktuelle russische Strategie der Nachrichtenverbreitung weist Ähnlichkeiten mit der Berichterstattung des Auslandsdienstes von Radio Moskau während des Kalten Krieges auf. Anders als bei den offiziellen Kurzwellenstationen aus China und seinen damaligen Allierten Nordkorea und Albanien, erweckten die Nachrichten von Radio Moskau nicht sofort den Eindruck kommunistischer Propaganda.
Die Meldungen von Radio Moskau etwa über den Vietnamkrieg waren bewusst sachlich und neutral gehalten und ähnelten über weite Strecken formal jenen der BBC oder der Voice of America, erst im anschließenden Kommentar wurden dann ideologische Begriffe wie "Imperialisten" eingestreut.
RT auf 30 Satelliten
Ukraine Today strahlt seine Programme über Eutelsat Hotbird auf 13 Grad Ost aus. Die Liste aller Satelliten weltweit, über die allein der englische Dienst von Russia Today zu empfangen ist
Wie für Radio Moskau, das während des Kalten Kriegs über das weltweit größte Netz von Kurzwellensendern verfügte und laufend mit Programmen in dutzenden Sprachen bespielt wurde, scheinen auch für Russia Today die Kosten keine Rolle zu spielen. Neben dem englischen Dienst werden rund um die Uhr auch Nachrichtenprogramme auf Spanisch und Arabisch ausgestrahlt.
Die Moskauer Omnipräsenz auf internationalen Satelliten lässt sich durchaus mit der früheren russischen Dominanz des Kurzwellenspektrums vergleichen. Alleine für den englischsprachigen Dienst wurden 30 verschiedene Sat-Kanäle angemietet, Russia Today ist damit von Australien bis Südamerika an fast jedem Punkt der Erde mit gängigen Satellitenschüsseln zu empfangen.
Die Positionierung
Das kümmerliche Programm des Nachrichtenkanals der Ukraine wird erst seit zehn Tagen und da nur über einen einzigen Sat-Kanal für Europa ausgestrahlt. Nicht erst der unprofessionelle Auftritt der Programmdirektorin in RT war ein schwerer Fehler, bereits die Namensgebung des Kanals zeugt von Dilettantismus was den Umgang mit Medien betrifft.
Durch die Bezeichnung "Ukraine Today" wurde der Kanal frontal gegen den benachbarten Medienriesen positioniert, der seit bald einem Jahrzehnt als "Russia Today" bekannt ist. Damit hat sich der ukrainische Sender nicht selbst, sondern über seinen erklärten Gegner definiert.
Strategischer Nachsatz
Für die gesamte Situation und darüber hinaus gilt die Erkenntnis des preußischen Strategen Carl von Clausewitz aus dem Zeitalter des Imperialismus im 19. Jahrhundert: "Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewissheit unterworfen." (Vom Kriege, Kapitel VI, 1832)