Erstellt am: 4. 9. 2014 - 10:52 Uhr
Sinkane
Mein Musiklehrer im Gym hätte den Sound von Sinkane mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als "Weltmusik" bezeichnet. Der Begriff muss immer dann herhalten, wenn Stile aus popexotischen Ländern auf Popkonventionen des Westens treffen. Wenn im Gedanken vor einer blutroten Serengeti-Sonne wallende Gewänder auftauchen und die Botschaft zwar schwer verständlich, aber pädagogisch mindestens wertvoll ist.
Sinkane gastiert morgen Freitag in der Grellen Forelle in Wien.
Christian Lehner
Mein Musiklehrer ist wahrscheinlich längst in Pension gegangen. Und Ahmed Gallab alias Sinkane kann mit dem Wort Weltmusik so ganz und gar nichts anfangen: "Die Intention dahinter ist möglicherweise gut, aber der Begriff ist einfach ignorant. All diese individuellen Musiken aus all diesen verschiedenen Ländern werden in eine Box mit Leopardenfell gesteckt."
City Slang
Das eindeutige Klischees bemühende Cover-Foto des letzten Sinkane-Albums "Mars" (siehe Foto rechts), das auf subtile Weise auch die Problematik des Othering thematisiert, darf diesbezüglich als Angriff auf faule Assoziationsautomatismen gelesen werden. Als Ahmed etwas müde vor mir sitzt, in seinem Apartment in Clinton Hill in Brooklyn, sagt er dann auch, was er sagen muss: "Meine Musik ist universell. Sie ist für alle da".
Vom Sudan nach Ohio und Hipsterhausen
Ahmed Gallab wurde 1984 in London geboren. Er wächst als Sohn eines politisch aktiven Uni-Professors im Sudan auf und flieht nach einem Militärputsch mit der Familie in die USA. Dort lebt er zunächst im Mittleren Westen, wo sich Ahmed als schwarzes Muslim-Kid sehr schnell sehr einsam fühlt. "Wir sind häufig umgezogen und ich hatte quasi ein Abo auf den Außenseiterstatus." Die Underground-Doku Afro-Punk (2003) leitet ein Erweckungserlebnis ein, das den skatenden Multiinstrumentalisten im letzten Drittel der Nullerjahre nach Brooklyn verschlägt.
"Es war nicht so leicht, hier Anschluss zu finden. Der Hype um die hiesige Musikszene war bereits voll im Gang und die einschlägigen Bands etabliert. Die Yeah Yeah Yeahs, TV On The Radio oder Dirty Projectors waren für mich so surreal wie Cartoon-Charaktere aus dem Internet und plötzlich stand ich bei Konzerten neben ihnen."
Christian Lehner
Achmed macht sich schnell einen Namen als Arrangeur, Produzent und auch als Kenner afrikanischer Sounds und Musiktechniken, denn er hält regen Kontakt zu seiner alten Heimat und den dortigen Musiken. Die Blase hipper Bands aus Brooklyn dürstete damals förmlich nach außerwestlichen Einflüssen abseits der gängigen Weltmusikformel. Bald tauchten westafrikanische Highlife-Rhythmen, Fela-Kuti-ähnliche Gesänge und Congas im Indie-Pop von Bands wie Vampire Weekend oder den Dirty Projectors auf – auch im Geiste von Eno und David Byrne aus der "My Life in the Bush of Ghosts"-Phase. Und schon war Sinkane als Session- und Tourmusiker bei Formationen wie Yeasayer, Born Ruffians, oder dem kanadischen Mathematikmusiker Caribou dabei.
Afro-Beat-Archäologe und neues Album
Mittlerweile ist Ahmed in seiner Wahlheimat bestens etabliert. Als Sinkane hält er bei drei Alben zwischen Afro-Beat, Psychedelic Pop und Soul. David Byrne hat den 29-jährigen im vergangenen Jahr als musikalischen Leiter für ein Projekt von Luaka Bop engagiert. Das Label hatte die fantastische Musik des mysteriösen nigerianischen Bedroom-Funkers William Onyeabor neu aufgelegt. Sinkane dirigierte die Live-Umsetzung des Materials und somit prominente Namen wie Byrne, den notorisch afrikalustigen Damon Albarn, Money Mark und Devonté Hynes (Blood Orange), die unter dem Namen Atomic Bomb mehrere Konzerte in den USA spielten.
"Mean Love" (City Slang) heißt das neue Album von Sinkane. "Es geht dabei nicht direkt um eine Liebegeschichte. Die Liebe steht vielmehr als Metapher für das Leben im Allgemeinen", so Sinkane bei unserem Gespräch in Brooklyn. "Es ist also kein Break-Up-Album, wie der Titel vielleicht suggeriert." Das Eröffnungstück "How We Be", das auf einem fetten P-Funk-Groove anrollt, lässt sich zum Beispiel an wie die Reunion eines ehemaligen Liebespaares: "It's been some time since I have seen your face, Seems we both gained some weight". Tatsächlich stellt der Song aber eine Brücke zum Schlussstück des letzten Sinkane-Albums "Mars" dar und ist direkt an das Publikum gerichtet. Diese Metaphorik zieht sich durch sämtliche Stücke. Das ist schön, aber auch schön unverbindlich.
Christian Lehner
Vor allem für heimische, seit den 90er Jahren mit einschlägiger Groove-Ware penetrierte Ohren mag "Mean Love" zunächst klingen wie ein weiteres Easy-Listening-Afro-Pop-Soft-Reggae-Down-Beat-Neo-Jazz-Album. Doch unter dieser glasklaren Produktion und den so seltsam vertrauten Melodien, die Ahmed mit seinem Falsett vorzeichnet, entsteht ein musikalischer Sog, der in die tiefsten Empfindungen führt. Kaum jemand innerhalb des hippen Völkchens von Brooklyn schafft es derzeit besser, die fein nuancierten Stimmungslagen des Soul und R'n'B so punktgenau zu treffen.
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Mit "Mars" war Sinkane 2012 FM4 Artist Of The Week
Das Gefühlschaos ordnen, die wirren Gedanken des Herzens kanalisieren, den Schmerz zu Tode umarmen, dabei Dutzende Landstriche, Stile und Epochen durchwandern, sorgar Country-Musik in den Mix werfen ("Galley Boys") und bei alldem so leichtfüßig und stimmig klingen; das alles macht "Mean Love" zu einem ganz und gar unfiesen Hörerlebnis. Zum Klassiker reicht es freilich nicht ganz. Dazu mangelt es dem Album an zeitgenössischer Dringlichkeit und sozialer Brisanz. Und doch wird diese Musik bleiben, wird man in Zukunft noch viel erwarten können von Sinkane.