Erstellt am: 3. 9. 2014 - 18:34 Uhr
Der Kampf gegen den schwarzen Hund
Nichts deutet darauf hin, dass Charlie Chaplin und Winston Churchill Freunde werden können, als sie sich das erste Mal begegnen, im Jahr 1927, in einem Strandhaus in Santa Monica. Chaplin, der berühmteste Schauspieler der Welt, wird wegen eines schmutzigen Scheidungskriegs von der besseren Gesellschaft gemieden, während Churchill das ehrenwerte Amt des britischen Schatzkanzlers innehat. Doch auch abgesehen von dieser Momentaufnahme sind die beiden total unterschiedlich: Chaplin kommt aus dem Armenhaus und sympathisiert mit dem Marxismus, Churchill ist ein Spross des Hochadels und ein konservativer Imperialist. Dennoch finden die beiden eine Gemeinsamkeit, die sie zusammenschweißt, ein gemeinsamer Feind in ihnen drinnen, den "schwarzen Hund", die Depression.
Pakt gegen den "schwarzen Hund
Chaplin und Churchill, haben aber nicht nur dasselbe Leiden, sie können sich auch mit demselben Gedanken darüber hinwegtrösten, dem Gedanken an Selbstmord. Um nicht darauf zurückkommen zu müssen, schließen sie am Strand von Santa Monica einen Pakt, sich gegenseitig beizustehen, sollten sie in Versuchung kommen, sich umzubringen.
Hanser Verlag
Die beiden treffen sich in den folgenden Jahren von Zeit zu Zeit, wenn sie einander rufen, wenn sie vermuten, dass es dem anderen schlecht geht, wenn es sich zufällig ergibt. Dabei sprechen sie über Motive und Techniken, sich das Leben zu nehmen, aber auch Methoden zur Ablenkung. Besonderen Eindruck machen die Passagen, wo Köhlmeier die Attacken des "schwarzen Hundes" beschreibt. Mit Heulen und Zähneknirschen befällt er Chaplin im Schneideraum und reißt ihn an dessen Selbstzweifeln fast hinunter. Dasselbe bei Churchill, den die Depression packt, als Chaplin ihn am Strand besucht und ihn fast stumm antrifft:
"Der schwarze Hund hatte meinen Freund besucht. Und er biss ihm in die Kehle. Und biss ihm die Worte ab. [...] Er sprach tatsächlich in einsilbigen Worten. Die zweite Silbe und die dritte und die vierte, die fraß ihm der Hund weg. Ich war zur rechten Zeit gekommen."
Die Treffen von Chaplin und Churchill laufen nicht immer positiv ab. Manchmal enden sie in Enttäuschungen, aber ihre Freundschaft überdauert trotzdem. Köhlmeier hantelt sich an biographischen Eckpunkten, Filmen und Ereignissen entlang, bis zu dem Zeitpunkt, wo sie neben dem "schwarzen Hund" noch einen weiteren gemeinsamen Feind bekommen, Adolf Hitler, und noch mehr aufeinander angewiesen sind.
Vom ersten Moment an entwickelt der Roman einen Sog, der seine LeserInnen hineinzieht. Die Biographien der beiden Männer ergänzen sich perfekt zu einer stimmigen Geschichte, doch schon früh beginnt man sich zu fragen, was von der Erzählung real und was Fiktion ist. Der Autor selbst weicht der Frage nicht nur damit aus, dass er "Zwei Herren am Strand" als Roman betitelt, sondern auch mit dessen Konstruktion.
Ein fragwürdiger Erzähler
Zwischen Köhlmeier und den historischen Figuren Chaplin und Churchill steht nämlich ein Erzähler, ein Clown, genauer gesagt ein Puppenspieler, der die Notizen seines verstorbenen Vaters für seine Schilderungen benützt. Als Autodidakt hatte dieser versucht, eine Churchill-Biographie zu schreiben. Allein schon diese Konstellation bietet genug Zweifel an der Historizität der Ereignisse, und auch die Quellen, die der Erzähler heranzieht, sind eine Mischung aus echten und zumindest gut erfundenen, die beim Lesen zum Schmunzeln anregen.
Dass Köhlmeier an der Wahrheit nicht interessiert ist, teilt er seinem Publikum dann auch mit einigen Schlüsselsätzen mit, die er durchaus prominent im Buch platziert: Dass der Roman im 20. Jahrhundert eine Ausweitung erfahren habe etwa, oder dass die Weltgeschichte immer nur Kulisse sein könnte, um die Geschichte von einzelnen Menschen zu erzählen.
In diesem Sinne nützt Köhlmeier die Weltgeschichte und zwei ihrer herausragenden Protagonisten, um ein Thema zu behandeln, das viel zu oft untergeht: "[W]ie die Retter, bevor sie die Welt retten konnten, sich selbst gerettet haben und wovor." Köhlmeier zieht die Depression ins Rampenlicht. Und das macht er grandios.