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Claus Pirschner

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3. 9. 2014 - 16:22

Man muss IS auch politisch angehen

Karim El-Gawhary über die Enthauptungen der IS, dass der Westen zu lange zugesehen hat und dass man das Problem nicht nur militärisch lösen kann.

Die islamistische Terromiliz IS hat einen zweiten amerikanischen Journalisten getötet. Das Weiße Haus hat die Echtheit des Videos mit der Enthauptung von Steven Sotloff heute bestätigt. Der Westen setzt vor allem darauf, kurdische Soldaten im Kampf gegen die IS aufzurüsten. Wie schätzt unser Nahost Korrespondent Karim El-Gawhary die Lage ein?

Claus Pirschner: Karim, was sagst du zur Ermordung eines weiteren Kollegen, des US-Journalisten Steven Sotloff. Warum wurde er getötet?

Sotloff (schwarzer Helm) 2011 bei der Arbeit in Libyen

AFP/Etienne de Malglaive

Sotloff (schwarzer Helm) 2011 bei der Arbeit in Libyen

Karim El-Gawhary: Das ist der zweite Kollege innerhalb kürzester Zeit, der hingerichtet wurde. Das ist natürlich ein Psychokrieg, den die Islamisten vom IS führen, ihre effektivste Gegenwaffe zu den Angriffen der USA zurzeit. Derjenige, der den Journalisten hingerichtet hat, hat das im Video auch genau erklärt. Er sagt, das sei die zweite Botschaft an Obama, weil dieser weiter im Irak bombardiert.

Du kritisierst, dass der Westen Journalisten wie Sotloff zu wenig zugehört hat. Was meinst du damit? Worüber hat er berichtet?

Er war einer dieser Kollegen, die regelmäßig nach Syrien gefahren sind - genauso wie der zweite, der ermordet worden ist - um Reportagen zu schreiben über das Leiden des syrischen Volkes. Man hat ihnen ewig lang nicht zugehört und jetzt sind sie Opfer geworden, trotz der Berichterstattung mit der sie immer versucht haben, die Welt aufzurütteln. Jetzt redet man wieder nicht von den Leiden der vielen in Syrien, sondern von der Barbarei der wenigen im Irak. Eigentlich müsste man langsam mal aufwachen.

Einer der Gründe, dass die IS so schnell so erfolgreich ihr Terrorregime in Teilen Nordiraks und Syriens errichten konnte, ist also auch, dass man in Syrien zu lange weggeschaut hat? Was sind weitere Gründe?

Es sind zwei politische Gründe, warum die IS so groß werden konnte: Einerseits das des Macht-Vakuums des syrischen Bürgerkriegs, wo sie anfangs von den Golfstaaten mit Geldern unterstützt wurden - aus privaten Kassen, aber auch vom saudischen Geheimdienst. Die haben gehofft, dass man auf diese Weise ein Gegengewicht zu Assad schaffen kann, welches man kontrollieren könne. Und jetzt kriegt man den Geist nicht mehr in die Flasche hinein, aus der man ihn herausgeholt hat. Das zweite Vakuum ist, dass man jahrelang zugesehen hat, wie die Sunniten im Irak vollkommen aus dem politischen und dem wirtschaftlichen System ausgeschlossen wurden. Die Kämpfer der IS haben es ausgenutzt, dass man zwei Situationen politisch vollkommen vernachlässigt hat. Jetzt geht es darum, dass man sich politisch um diese Dinge kümmert, weil meines Erachtens die politische Seite noch wichtiger als die militärische ist. Wenn man ihnen nicht diesen sunnitischen Teppich im Irak unter den Füßen weg zieht und wenn man ihnen nicht die Möglichkeit des syrischen Bürgerkriegs als Rückzugsmöglichkeit wegnimmt, dann werden sie sicherlich stark bleiben.

Karim El-Gawhary

Pamela Russmann

Karim El-Gawhary

Der Westen setzt vor allem auf militärische Unterstützung, vor allem kurdischer Soldaten vor Ort. Du sagst besser politisch eingreifen - was muss da politisch geschehen?

Man muss schauen, dass in Bagdad eine Zentralregierung entsteht, die die Sunniten miteinschließt, sie also an der politischen Entscheidungsgewalt beteiligen. Nur so kann man hoffen, dass man einen Keil hineintreiben kann zwischen die sunnitischen Stämme und dem IS. Auch die militärische Komponente bleibt wichtig, aber ich warne davor, dass man glaubt, dass die kurdischen Peschmerga die Suppe alleine auslöffeln. Die sind interessiert an der Absicherung ihrer eigenen Kurdengebiete und weniger daran, ihren Kopf hinzuhalten für den Rest des Iraks. Einen Irak, der ihnen in ihrer Geschichte ja nie irgendwas gegeben hat. Man müsste viel mehr zusammenarbeiten: sowohl die Kurden, als auch die Zentralregierung im Irak, als auch, dass man versuchen muss, einen Teil der Sunniten wieder auf seine Seite zu bringen.

Du sagst, das westliche Freund-Feind-Schema wird gründlich durcheinandergerüttelt in der Region. Wie zeigt sich das?

Man kann ja sehen, was wir jetzt hier für neue Allianzen haben: Es ist durchaus vorstellbar, dass iranische Revolutionsmächte gegen die Dschihadisten des IS kämpfen mit amerikanischer Luftunterstützung. Auch die PKK, die in Europa zum Beispiel auf der Terrorliste steht, ist jetzt plötzlich einer der wichtigsten Kämpfer gegen diese Islamisten. Das alte Freund-Feind-Schema, wie wir das im Kopf gehabt haben, das funktioniert so sicherlich nicht mehr.

Viele IS-Kämpfer und Kämpferinnen kommen aus Europa. Sie werden zu einem Sicherheitsproblem hier, wenn sie zurückkehren sollten. Wie soll man mit ihnen umgehen? Die Niederlande oder Frankreich können ihnen etwa die StaatsbürgerInnenschaft entziehen.

Das ist für mich ein Fall für die Polizei und die Geheimdienste. Die müssen feststellen, wer woher kommt, wer was gemacht hat. Dieses Problem haben übrigens nicht nur die Europäer, sondern auch die arabischen Staaten und zwar in viel größerem Maße. Denn rein quantitativ kämpfen in Syrien viel mehr Leute aus Saudi Arabien, Jordanien, Ägypten, Tunesien oder anderen arabischen Ländern. Das heißt, das Problem der Rückkehrer ist kein europäisches Problem, sondern ein globales. Wir haben das schon einmal erlebt in den Neunziger Jahren, mit den Rückkehrern aus Afghanistan in die arabische Welt. Wo es auch auf einmal zahlreiche Anschläge gab. Ich glaube nicht, dass man es verhindern kann, man kann nur versuchen, das möglichst weitgehend zu kontrollieren.