Erstellt am: 1. 9. 2014 - 15:49 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 01-09-14.
The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#sommerende #machtpolitik #demokratiepolitik #pcness
1.
Er, der Königsmacher, wäre am Strand von Grado gesichtet worden, hektisch telefonierend, in Shorts und Leiberl, als am Dienstag morgen das Erwartete so unerwartet ausgebrochen war. Las ich tags darauf in einer jener österreichischen Tageszeitungen, die sich selber das Signet Qualitätsblatt verleihen.
Komisch. Am Dienstag war der einzige Tag der Woche, an dem man in Grado den Strand nicht so recht nutzen konnte: ein diesiger Vormittag, und dann immer wieder einsetzendes Geniesel machten zwar den Tag nicht kaputt (es war schön warm), aber eben strandliegeuntauglich. Nur den Dienstag. Just den Dienstag an dem man Herrn Pröll in Badehose gesichtet hatte. Als niemand mit Shorts am Strand war, schon gar keine öffentliche Person.
Das war eines meiner Spindelegger-Rücktritts-Erlebnisse aus der Urlaubswoche an der Baby-Riviera. Eines, das nicht angetan war mir den Glauben an die Überlebensfähigkeit des österreichischen Journalismus zurückzugeben. Denn diese durchaus typische Handlung (zwei Fakten einfach mit ein paar logisch klingenden Annahmen zu würzen) spricht eher für das Gegenteil.
2.
Eddy, mein äußerst redseliger Zeitungshändler aus der Fußgängerzone wusste es schon früh, per Mundpropaganda. Der Bekannte dieses österreichischen Regisseurs, der im Tanztheater dort drüben etwas einübe, habe es ihm gerade eben erzählt, schreit Eddy quer durch seinen Kiosk: ein Minister ist zurückgetreten, ein Minister!
Eddy weiß vieles und kennt alle. Den Lopatka kennt er, netter Mann, weil es in der Nähe eine steirische Kooperation mit einem Kinderheim gibt; die Bures, nette Frau, deren Tochter letztens ihre Sponsion (oder Ähnliches) im Ort gefeiert habe; und auch den Kanzler habe er bei dieser Gelegenheit gesprochen. Eddy stört an "dem Faymann" nur, dass er in Venedig urlaubt und nicht in Grado. Den großen Landeshauptmann hat er nicht erwähnt. Ich muss nachbohren nächstes Jahr.
Als ich, aufgewühlt durch seine Meldung, mein Handtelefon befrage, bin ich geneigt Eddy eines groben Irrtums zu zeihen - es ist ja kein schnöder Nur-Minister, sondern ein Vizekanzler und Parteichef.
Andererseits: wen interessiert im Ausland der Abtausch eines protokollarischen Vertretungs-Postens und der Abgang des Chefs einer 19%-Partei?
Ein Finanzminister hingegen...
Eddy hat recht, klar.
Heute Abend, sagt er - um zu wirklich Wichtigem zu kommen - fände eine Marionettentheater-Aufführung statt, gleich bei der Kirche, und sein Tonfall stellt klar, dass eine Nicht-Besuch keine Option sei.
3.
Tags darauf lese ich auch Anmerkungen zur österreichischen Lage in der ausländischen Presse. Die Neue Zürcher Zeitung, das alte Schlachtross, wirklich eine der Gralshüterinnen des Qualitätsjournalismus, hat die VP-Wirren auf Seite 1. Und lockt vornedran mit dem kirren Aufreger einer potentiellen Regierungskrise. Nur um dann im Verlauf der Geschichte einzugestehen, dass es eh keine geben würde.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alte Tante mit dieser gezielten Übertreibung Leser keilen will. Es wird wohl eher so sein, dass die Korrespondentin mit so einer Headline in die Redaktionskonferenz gehen musste, um den prominenten Platz zu erhalten. Die auf den billigen Plätzen versteckte Wahrheit (ein paar Umstellungen nach einem zu erwartenden Abgang, bei dem nur der Zeitpunkt überraschend kam, die die Regierung an sich aber nicht anfechten und schon gar keine Neuwahlen heraufbeschwören werde) wäre zu wenig funky gewesen.
Auch das ist Teil einer eher beängstigenden Entwicklung.
4.
Der schönste Satz zum Thema kam zeitverzögert Donnerstag in Grado an, in den SN. Er lautet: "Die ÖVP arbeitet nicht für die Republik, sie erachtet die Republik als ihr angestammtes Eigentum."
Nichts Neues, ja, eh. Aber eine Analyse, die man sich im Rahmen der aktuellen Befindlichkeits-Diskussion schon einmal konsequent durchdenken muss. Denn dieses Besitzstands-Denken wird vor allem im urbanen Raum, noch vor allemener in Wien, wo die ÖVP aktuell wohl nur die fünfte politische Kraft ist, zunehmend absurder und abstruser, wenn man die Schere zwischen Wirklichkeit und abgehobenem Vertretungsanspruch hernimmt. Vor allem dort, wo sich diese 10 - 20 Prozent an Unterstützung in hochherrschaftlicher Machtausübung niederschlagen.
5.
Am letzten schönen Sommerferientag hat mir dann die letzte Spiegelausgabe Neues zum Thema Autismus erzählt. Zum einen, dass sich die Fachleute (endlich) drüber einig sind kein allumfassendes Krankheits-Bild aufstellen zu können (womöglich handelt es sich um ein Dutzend verschiedener, nur scheinbar ähnlicher Syndrome); zum anderen, dass die große Zunahme der Autismus-Fälle durch erhöhte Diagnose-Lust der Ärzte beeinflusst wurde, dass eine Art Hype entstanden sei, auch durch das Aufkommen der Eltern-Lobby und die vielgestaltigen Zusammenschlüsse und Programme. Viele Kinder, die jetzt diagnostiziert und behandelt werden, wurden früher einfach in Behinderten-Klassen abgeschoben. Andererseits birgt die neu entstandene Szene auch die Gefahr in sich, dass tatsächliche Behinderung, die anders behandelbar oder händelbar wäre, hartnäckig in Richtung Autismus gedrängt wird, weil sich die Eltern (nicht die Betroffenen selber, die können das besser) dem Stigma entziehen wollen. Schließlich haftet dem Label Autismus das Andere, das Besondere, eben der Rain-Man an.
Die Spiegel-Geschichte ist vorsichtig, sie regt aber an, die besonders eifrig in der Selbstverstrickung verwurstelten Eltern-Vereinigungen und eine selbstverständlich geschäftsorientierte Fachärzteschaft kritisch zu sehen und die Sektenhaftigkeit dieser Zirkel zu hinterfragen. Eine allzu übertriebene gesellschaftliche Behutsamkeit dem Thema gegenüber ist also nicht angebracht. Und das ist durchaus ein Turnaround.
Ich erwähne das deshalb, weil ich vor vielen Jahren, als ich Postings unter den damaligen Journalen noch verfolgt und beantwortet habe, in eine kleine Hexenverfolgung geraten bin, weil ich den Begriff "autistisch" auch - metaphorisch - in anderen Zusammenhängen erwähnt habe. Auch weil ich keine Beleidigung für Autisten drin sehe, wenn ich einen (keinesfalls widernatürlichen) Zustand zu einem gesellschaftsgängigen Bild hochrechne. So wie wenn ich dem Gabalier-Fan ja auch ironisch Taubheit unterstellen darf. Nicht dass ich das aktiv tun würde oder etwa Lionel Messis Verhalten während der WM-Gruppenphase groß als teilautistisch bezeichnet hatte. Soviel Rücksichtnahme ist schon angebracht.
Ich darf bloß festhalten, dass massive Überbehütung dann, wenn sich die Sicht auf ein Krankheitsbild ändert, mehr über diejenigen, die sich in dieser Phase fett echauffiert haben erzählt, als über jene, die man glaubte anzugreifen zu müssen.