Erstellt am: 1. 9. 2014 - 13:44 Uhr
Can U Dance? Dimensions 2014
Der Regen ist schon fast eine kleine Erlösung. Als es am Sonntagabend kurz nach elf nicht zu tröpfeln oder zu schütten beginnt, sondern sich in nur wenigen Sekunden ein ganzes Meer über die Stadt Pula und das angrenzende Wäldchen ergießt und die planmäßige Ausführung des Timetables zu wackeln scheint, fühlt man sich für einen Moment ein bisschen befreit von dem Druck, noch eine weitere Nacht durchmachen zu müssen. Über vierhundert Artists, vier Tage Festival plus ein Eröffnungsabend, dazu optional tagsüber noch zahlreiche Boat- und Strandpartys, die auch den Nachmittag zur Partyhour erklären, wer kann das überhaupt durchhalten?
Es ist die dritte Edition des Dimensions, dem britisch organisierten kleinen Bruder des Outlook Festivals, der sich anstatt auf wobbelige Bässe und Soundsystems auf poppigere, technoidere, gerader aufgebaute Spielarten von Clubmusik konzentriert. Unter den tatsächlich über achtzig Festivals, die Kroatien im Sommer zum europaweit meist gehypten Partyland machen, hebt sich das Dimensions durch seine Größe, das umfangreiche Programm und, vor allem, die fantastische Location hervor. Seine neun unterschiedlich großen Bühnen gruppieren sich in und rund um ein aufgelassenes Fort am Meer. Jahrhundertealte Steinmauern, ein Wald und ein gigantischer Burggraben bilden die Kulisse für Boxentürme und die etwa fünftausend Festivalbesucher. Ballroom, das heißt hier: ein winziger, kreisrunder Raum, staubige Gemäuer unter sternenklarem Himmel.
Marc Sethi/Dimensions Festival
Freitagnacht entfesselt in der größenmäßig angenehmsten und insgesamt an allen Tagen sehr gut gebuchten Fort Arena 1 Stage der amerikanische Multimedia-Künstler Dominick Fernow unter seinem Alter Ego Vatican Shadow wie immer ungeahnte Energien. Techno, Bass, Fauchen, Wischen und Klicken dienen bei ihm nicht der Befeuerung eines Dancefloors, auch wenn Stillstehen bei seinem Set ebenso unmöglich ist, sondern sie werden zum Ventil für Gefühle, Ängste, politische Messages, sie stellen Fragen, kratzen die oberste Lackschicht von der Seele und legen ein Innerstes frei. Fernow selbst performt mit einer Deutlichkeit, die man sich von vielen anderen Künstlern wünschen würde. Aus einem Noise- und Industrial-Background kommend gebärdet er sich am Bühnenrand, ohne jemals zum Clown zu werden, und verleiht der Größe seines Sets alleine durch Blicke und Gesten zusätzlichen Nachdruck.
Marc Sethi/Dimensions Festival
An einer völlig anderen Definition von Finsternis arbeitet am Abend zuvor der Berghain-Resident Marcel Dettmann beim Beschließen der Bühne The Void, die in dieser Nacht mit Sets von Nick Höppner, Tama Sumo und Ben Klock gänzlich im Zeichen des Berghain-Labels Ostgut Ton steht. Dettmann, sonst einer der einnehmendsten Techno-Prediger der deutschen Hauptstadt, bezieht die Kraft seines Sets diesmal allein aus den Höhen, die er in zischelnden Hi-Hats zu einem einzigen, zweistündigen Track verschmilzt. Auch seine Haltung und der regungslose Gesichtsausdruck vermitteln, vielleicht auch ganz im Spirit des Sex, Schweiß und der Kompromisslosigkeit des Berghain-Dancefloors, die Unwürdigkeit der Tanzenden, die froh sein dürfen, dass er sich überhaupt für sie auf die Bühne bemüht hat. Das Publikum nimmt jeden Beat dankbar an.
Was beim Dimensions Festival auch wieder einmal bewiesen wird ist, dass der Auswahl der richtigen Tracks im richtigen Moment so viel mehr Bedeutung beizumessen ist als ihrer einwandfreien, technischen Verschmelzung im Set. Roman Flügel, der offenbar mit leichten Hängern an den CD-Playern zu kämpfen hat, zeigt dies ebenso wie Letzjahres-Liebling Dan Snaith, der sowohl am Eröffnungsabend seine neue Caribou-Show zur Aufführung bringt, als auch als Daphni die Samstagnacht wie bereits im vergangenen Jahr mit einer Auswahl aus den denkbar seelenvollsten, organischsten, glitzerndsten Discotracks beschließt, die sich über Genre- und sogar Geschmacksgrenzen mit Liebe und Leichtigkeit hinwegheben. I feel love.
Marc Sethi/Dimensions Festival
Dass zwei der drei Hauptbühnen, und mit ihnen freudig erwartete Sets von etwa dem Minimal Techno-Pionier Robert Hood oder dem House-Aufsteiger Axel Boman, am Sonntagabend dem Gewitter zum Opfer fallen, ist natürlich, trotz aller Erschöpfung, eine Enttäuschung.
Dan Medhurst/Dimensions Festival
Trost bietet im Rückspiegel allerdings umso mehr, dass die Kommunikation von Timetable-Änderungen, Beschilderung des Geländes oder etwa Zugangsbeschränkungen zu den Bühnen in diesem Jahr besser zu klappen schien als früher, dass mit Warpaint, dem wahrscheinlich einzigen Festivalact mit Gitarre, die eine leider sehr windschiefe und in jeder Hinsicht enttäuschende Show spielten, Jessy Lanza, Laurel Halo (wie immer fantastisch), Kelela, Tama Sumo oder Nina Kravitz wie selbstverständlich eine Handvoll Künstlerinnen als Hauptacts gebucht worden sind und dass man sich die Set-Zeiten aus Mangel an physisch angreifbaren Programmen beim Festival selbst ausgedruckt hat. Das Knistern der Kiesel im glasklaren Meer wird auch dieses Mal nach dem Dimensions wieder ebenso lange nachhallen wie das Brummen der endlosen Bassdrums, dieser alten Freundin, die einen durch dunkle Nächte retten kann.