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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

31. 8. 2014 - 17:00

Schmerzbewältigung durch Musik

Der Song zum Sonntag: Leonard Cohen - "Almost Like The Blues"

Leonard Cohen stellt die Wechselbeziehung zwischen der Kunst und der sogenannten wirklichen, echten Welt zur Disposition. Bilden die Kunst, die Dichtung, die Musik das Leben ab, imitieren es? Oder ist es schon umgekehrt? Mitte September wird unter dem Namen "Popular Problems" das dreizehnte Studioalbum des kanadischen Sängers und Großpoeten erscheinen, die Vorabsingle "Almost Like The Blues" widmet sich, schon ganz dem zynischen Albumtitel gehorchend, allerlei populären und beliebten Problemen.

Klarerweise Probleme, denen man in der Realität dann eben doch nicht begegnen möchte – schon gar nicht selbst. Ein bisschen aus der Distanz einem Autounfall beiwohnen und sich durch den Shock-Value Erregung ins eigene Leben holen. Leonard Cohen hat sich in seiner Karriere bekanntlich schon ausgiebig der Beklopfung der großen, gewichtigen Probleme hingegeben: Religion, Depression, Politik, Liebe, Sex.

Im Song "Almost Like The Blues" begibt er sich nun auf betont blutrünstiges, derbes Terrain, entwirft Schreckensszenarien: "I saw some people starving / There was murder, there was rape / Their villages were burning /They were trying to escape" öffnet Cohen die auf einem minimalistischen Groove stoisch dahinwogende Nummer. Die Percussions, das Klopfen und Rascheln, sind prominent, auch der Bass, immer wieder schwellen Frauen-Chöre an, oder punktuell Bläsersätze – dennoch bleibt der Song abseits des subtil eingewobenen Zierrats ostentativ sensationslos, monoton und ungerührt.

Leonard Cohen sieht die Welt in Flammen stehen, Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Hungerkatastrophen, sein Herz jedoch ist ihm lange schon, als Schutzmechanismus, eingefroren: "Though I let my heart get frozen /to keep away the rot /my father says I’m chosen /my mother says I’m not" singt er. Und welche Überlegungen fahren diesem abgeklärten, alten Mann angesichts von Entsetzlichkeiten, Gewalt und Niedertracht durch den Kopf? "It was almost like the blues" heißt es wiederholt. Die echten Gräuel kommen uns nur aus einer Musikform, aus traurigen Liedern bekannt vor.

Leonard Cohen auf der Bühne

APA/NEUMAYR/VOGL/NEUMAYR/VOGL

Freilich leitet sich der Name der Musikrichtung namens "Blues" von Redewendungen wie "Feeling Blue" oder "Having The Blues" und den dazugehörigen Gefühlregungen, also Traurigkeit, Melancholie, her. Und, natürlich, ist dieses Lied "Almost Like The Blues" von Leonard Cohen eben auch selbst nur ein Lied, ein Kunstprodukt. Hier entsteht eine doppelte Verwischung der Ebenen. "Almost Like The Blues" fragt sich und uns wie weit der Schmerz uns noch berühren kann oder muss, im Leben, in den Liedern.