Erstellt am: 29. 8. 2014 - 15:15 Uhr
Eintauchen ins Holodeck?
Die Idee von virtueller Realität übt ihre Faszination seit den 80er Jahren vor allem in der Science-Fiction aus: Cyberpunk-Romane wie William Gibsons "Neuromancer" und Neil Stephensons "Snow Crash", Kinofilme wie "Tron" und "Matrix" sowie Fernsehserien wie "Star Trek: The Next Generation" und "Caprica" beschreiben digitale Welten, die man betreten kann und die so immersiv sind, dass man sie kaum von der physischen Welt unterscheiden kann. Von der tatsächlichen Umsetzung sind wir heute in technischer Hinsicht noch weit entfernt. Aber eine österreichische Firma namens Cyberith hat ein Gerät gebaut, das der Vision zumindest ein Stück näher kommt.
©Cyberith
Der "Virtualizer" ist ein solides Metallgestell und sieht ein bisschen wie ein Fitnessgerät aus. Etwa in Beckenhöhe befindet sich ein Ring, der auf senkrechten Schienen auf und ab bewegt werden kann. Auf dem Fußboden befindet sich eine runde Platte mit glatter Oberfläche. Man steigt in Socken oder mit rutschenden Überschuhen in den Ring, schnallt ihn mittels Riemen unterhalb des Bauchs fest und setzt sich ein skibrillenähnliches Virtual-Reality-Headset auf.
Bewegungen, die man im Gerät macht, werden in Bewegungen in der virtuellen Umgebung übertragen: gehen, laufen, springen und sich ducken. Holger Hager, Geschäftsführer von Cyberith, erklärt, wie das integrierte Sensorsystem des Virtualizer funktioniert: "Sensoren erfassen die Bewegung der Füße am Boden sowie die Höhe des Rings, um Gehen, Springen und Ducken umsetzen zu können. Außerdem gibt es Sensoren im Ring, die erkennen, in welche Richtung man orientiert ist."
©Christoph Weiss
Das Gehen im Stand ist etwas gewöhnungsbedürftig, zumal man sich ein wenig in den Ring hineinlehnen und mit den Füßen über den Boden rutschen muss. Trotzdem ist das Gefühl, sich mit dem ganzen Körper durch die virtuelle Umgebung zu bewegen, beachtlich.
©Christoph Weiss
Dass die digitalen Welten, in denen man sich abstrampelt, auch in optischer Hinsicht sehr realistisch wirken, liegt an der VR-Brille, die man in Kombination mit dem "Virtualizer" trägt: Es handelt sich um einen "Oculus Rift", jenes Headset, das der VR-Enthusiast Palmer Luckey 2012 in seiner Werkstatt erfunden hat und das vor kurzem von Facebook um rund zwei Milliarden Dollar gekauft wurde.
"Rift" erzeugt den Eindruck, dass sich die Spielewelt in 360 Grad rund um den Spieler und in realistischen Größenverhältnissen erstreckt: Menschliche Spielfiguren erscheinen 1,80 Meter groß, und wenn man auf dem Dach eines hundert Meter hohen virtuellen Wolkenkratzers steht und nach unten schaut, dann entsteht genau jener schwindelerregende Eindruck, den man in so großer Höhe erwartet. Das funktioniert auch schon, wenn man mit "Rift" am heimischen Schreibtisch sitzt - der "Virtualizer" aber verstärkt die Erfahrung, indem er den Einsatz der Beine bzw. des ganzen Körpers verlangt.
©Christoph Weiss
Hager faszinieren die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben: "Virtuelle Welten - jede Welt, die man sich nur vorstellen kann – direkt betreten und erleben zu können, und das auch in verschiedensten Bereichen einsetzen zu können. In der Kunst, im Gaming und in professionellen Anwendungsbereichen, wo etwa Mitarbeiter von Kraftwerken gefährliche Situationen im Voraus üben."
Weltweit werden VR-Technologien auch bereits in der Physiotherapie eingesetzt: zur Behandlung von Phantomschmerzen, bei der das bewährte Prinzip der Mirror Box weitergedacht wird, und zur Behandlung von Strabismus, einer Augenmuskel-Gleichgewichtsstörung, die das räumliche Sehen beeinträchtigt.
Vielfältige Anwendungsgebiete
Hager sieht für das Gerät seiner Firma auch Einsatzgebiete im psychotherapeutischen Bereich: "Wir stehen bereits in Kontakt mit Psychologen und einer Firma aus Argentinien und den USA. Sie entwickelt eine Software, um psychische Störungen behandeln zu können. Dabei geht es zum Beispiel um Höhenangst."
Die eigene Erfindung finanziert hat auch das österreichische Start-up-Unternehmen Cyberith mit einer Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter. 577 Personen haben einen "Virtualizer" bestellt, bisher gibt es aber nur Prototypen. Der Virtualizer steht in Konkurrenz zu einem amerikanischen Produkt namens Virtuix "Omni", dessen Entwicklung, wie auch der "Virtualizer", von Enthusiasten über Crowdfunding unterstützt wurde. Im Vergleich mit dem "Omni" erlaubt das österreichische Produkt aber größere Bewegungsfreiheit dank des auf einer Schiene hinauf- und hinunterfahrenden Rings. Auch die glatte Bodenplatte des "Virtualizer" erscheint gegenüber dem gewölbten Boden des "Omni" als Vorteil.
Die Idee tatsächlich umsetzbarer Virtual Reality erlebt derzeit - nach den gescheiterten Versuchen der 90er Jahre - einen neuen Aufwind. Zumindest hinsichtlich der optischen Behelfsmittel scheint die Technologie heute reifer dafür zu sein: Die Prototypen der VR-Headsets von Oculus überzeugen bereits heute, obwohl das finale Produkt frühestens 2015 im regulären Handel erhältlich sein wird. Als nicht weniger ambitioniert muss man die Versuche der österreichischen Firma Cyberith beurteilen, mit dem "Virtualizer" eine Omnidirectional Treadmill für den Hausgebrauch zu entwickeln.
Die Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter, mit deren Hilfe die Produktion des Virtualizer finanziert wird, erreichte 361.452 Dollar, Ziel waren 250.000 Dollar.
Es wird sich weisen, ob eine große Zahl von VR-Enthusiasten dafür begeistert werden kann, ein so großes Gerät in den eigenen Wohnraum zu stellen, um dann in einem Ring festgeschnallt über eine glatte Bodenplatte zu laufen. In einem Spiel von der Größe eines "Skyrim" kann das ganz schön schweißtreibend sein - vielleicht aber auch gesundheitsfördernd und auf jeden Fall sehr immersiv.