Erstellt am: 30. 8. 2014 - 09:00 Uhr
Cowboys im Weltall
Reden wir zunächst einmal kurz über ein Thema, das mir mit Sicherheit weit weniger wichtig ist als vielen von euch da draußen. Ja, genau, Imperatoren und Rebellen, tollpatschige Androiden und kumpelhafte Wookies, Milleniumsfalken und Laserschwerter.
Mein Versuch, die alte „Star-Wars“-Begeisterung der Kindheit wieder aufflammen zu lassen, endete lange vor der schaurigen neuen Trilogie, die zur Jahrtausendwende auf die Multiplexe losgelassen wurde. Beim Wiedersehen mit dem „Krieg der Sterne“ auf großer Leinwand nämlich. Der Film, den ich mich bisweilen noch immer weigere „Episode IV“ zu nennen, entpuppte sich nach Dekaden Abstand als putziges Spektakel mit einem enormen 70ies-Touch, aber ohne den gewaltigen magischen Sog, der so viele Generationen mitgerissen hatte.
Von den Prequel-Episoden, die George Lucas, der wohl am meisten überschätzte Regisseur des Science-Fiction-Kinos, schließlich in die Merchandise-Schlacht schickte, blieben mir überhaupt nur wenige Momente in Erinnerung. Und sie finden sich alle in den letzten zehn Minuten von „Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith“, in denen Darth Vader endlich keuchend sein Comeback feiert.
Mitten drin in diesem mir eher wurschtigem Universum haust aber eine Figur, die all die schrecklich infantilen und pseudospirituellen Szenen vergessen macht. Ein Typ, der zwar nicht im Besitz der Macht ist, aber etwas viel besserem: Er trägt den schwarzen Gürtel in Sachen Lässigkeit. Han Solo, du Mann mit der schnoddrigsten Schnauze von Mos Eisley bis Alderaan, du über dem ganzen Unfug stehender Space-Cowboy, der zuerst schießt und dann argumentiert, du an den Grenzen des Gesetzes agierender Schmuggler-König, von dir hätte ich mir immer einen Spinoff-Film gewunschen.
Lucas Film
Outlaws, Hitzköpfe und Weltall-Womanizer
Den Han-Solo-Solofilm gab es bekanntlich nie. Dass Harrison Ford aber nun tatsächlich in der Fortführung der „Star-Wars“-Saga Ende 2015 zurückkehrt, vermutlich altersmilde und verlangsamt, macht auch mir als Force-Agnostiker, durchaus gute Laune. Solos Vermächtnis wurde ja im Sci-Fi-Blockbuster-Genre leider kaum fortgeführt, wer von der bissigen Attitüde und seinen schnittigen Sprüchen nicht genug bekommen konnte, musste sich schon an Indiana Jones halten.
Erst eine TV-Serie, die leider 2002 in den USA wegen zu geringer Quoten mitten in der ersten Staffel gecancelt wird, führt die Tradition des rauen und dennoch herzlichen Outlaw-Captains fort. Malcom "Mal" Reynolds (gespielt vom fantastischen Nathan Fillion) steuert in den wenigen Folgen von „Firefly“ einen rostigen Frachtenkreuzer durch eine Zukunft, die frappant der Ära des Wilden Westens ähnelt.
Der Schöpfer dieses nahezu genialen Serienkosmos ist kein Unbekannter. Joss Whedon, Geek-Ikone, Mastermind hinter dem „Buffy“-Kult und natürlich Fädenzieher hinter Marvels „The Avengers“, leugnete damals gar nicht, dass bestimmte Elemente seiner Geschichte an die alte „Star-Wars“-Trilogie erinnern und auch an die noch viel älteren Abenteuer des Raumschiffs Enterprise.
Captain Kirk, der Lieblings-Hitzkopf der Sternenflotte und berüchtigter Womanizer in sämtlichen außerirdischen Betten darf auch wohl als die Blaupause aller Laserwaffen-Hallodris gelten. "Mal" Reynolds erinnert an ihn und Han Solo, gleichzeitig ist er aber auch ein schüchterner Anti-Frauenheld und knallharter Killer. Überhaupt versperrt sich „Firefly“ sämtlichen streichelweichen Sci-Fi-Stereotypen. „Es gab schon immer die Punk-Rebellion der Jungen gegen ihre Väter", meint Whedon.
FOX
Gestatten, mein Name ist Starlord
Nach dem Ende von „Firefly“, dem noch ein sträflich unterschätzter Kinofilm folgt („Serenity“), verschwindet die Figur des coolen Milchstraßen-Cowboys erstmal aus dem Popkultur-Bewusstsein. Wer auf schnoddrige Oneliner im Maschinengewehrtempo steht, hält sich an die irdische Figur von Tony Stark alias Iron Man, dem passenderweise Joss Whedon die großartigsten Dialogzeilen schreibt.
Als Marvel-Produzent Kevin Feige, spätestens seit dem epochalen Erfolg der „Avengers“ einer der mächtigsten Player in Hollywood, das beinahe unbekannte Comic „Guardians of the Galaxy“ zu verfilmen plant, kündigt sich eine langwierige Suche nach dem passenden Regisseur an. Es ist Whedon, der seinen Kumpel James Gunn ins Spiel bringt, einen anarchischen Indiefilmer, dessen rabenschwarze Comichelden-Dekonstruktion „Super“ für Kontroversen sorgt.
Der nerdigen Freunderlwirtschaft verdanken wir nun eine ganze Menge: Den mit Sicherheit irrwitzigsten, ungewöhnlichsten und die üblichen Schemata unterlaufenden Film, der je die Marvel Studios verlassen hat. Ein Science-Fiction-Epos, das für heutige Generationen fast etwas sein könnte wie „Star Trek“ und „Star Wars“ früher. Einen Blockbuster, der jetzt schon als erfrischendster in diesem Kinojahr gelten darf.
Vor allem aber markiert „Guardians of the Galaxy“ die Rückkehr des lässigen Antihelden-Typus, dem der faule Sternenzauber eigentlich den Buckel runterrutschen kann. Peter Quill nennt sich diese Figur, verkörpert von Chris Pratt, dessen komödiantisches Talent bislang überwiegend in TV-Serien („Parks and Recreation“) funkelte. In den hintersten Winkeln der Galaxis kennt man den All-American-Boy, der mit neun Jahren von Außerirdischen entführt wurde, aber nur unter seinem Pseudonym: Star Lord.
Marvel
Liebe für die Loser-Gang
Schon der allererste Auftritt des halbseidenen Weltraum-Desperados Peter Quill, als er von finsteren Gestalten bei einem Diebstahl erwischt wird, macht klar: „Guardians of the Galaxy“ spielt nicht nach den düsteren Regeln des aktuellen Sci-Fi-Blockbuster-Kinos. Der heilige Ernst, der in Werken wie „Godzilla“ oder „Dawn of the Planet of the Apes“ durchaus angebracht wirkt, weicht hier einer beinahe slapstickartigen Grundstimmung.
Was allerdings nicht heißen soll, dass James Gunn seine Space Opera mit falscher Ironie vergiftet. Man lacht in diesem Film mit den Charakteren, nicht über sie, all die Absurditäten der Story und den Zauber der fremden Welten zelebriert der Regisseur mit ungefilterter Liebe zum Genre. Extrem verknallt scheint Gunn vor allem in die titelgebende Außenseiter-Truppe zu sein, in der Starlord sich zum Anführer emporkämpft.
Da ist die wunderbare Zoe Saldana, bereits seit „Avatar“ und „Star Trek“ erprobte Actionheroin in fremden Welten, die als Killerin Gamora unter Schichten von grünem Make-Up triumphiert. Der Wrestlingchampion Dave Bautista überrascht als Muskelpaket Drax mit Brachialität und Charme zugleich. Als Szenenstehler erweisen sich aber die beide CGI-Figuren im Underdog-Haufen: Vin Diesel schafft es mit einem einzigen, ständig wiederholtem Satz die Baumkreatur Groot zum Leben zu erwecken. Und Bradley Cooper rockt als Waschbär-Mutant Rocket dermaßen, dass seine Auftritte schon alleine den Kinobesuch wert sind.
„Guardians of the Galaxy“ auf sein spitzenmäßiges Ensemble zu reduzieren, in dem auch noch Michael Rooker, Benicio del Torro und John C. Reilly brillieren, würde dem Ausnahme-Blockbuster aber nicht gerecht werden. James Gunn gelingt es auch dem Retrofuturismus ein vor Freude fast zu Tränen rührendes Denkmal zu errichten. Voller Leidenschaft und Ehrfurcht zapft er die popkulturelle Vergangenheit an, um in die Zukunft zu verweisen.
Marvel
Hooked on a Feeling
Konkret heißt das: „Guardians of the Galaxy“ verzichtet auf die üblichen Blickwinkel auf das All, wie sie seit den „Star Wars“ Filmen etabliert sind. Die Marvel-Produzenten gehen zurück zu den Schundheften und Groschenromanen der 60er und 70er, mit ihren knallbunten Welttraumkreuzern auf dem Cover. Deren legendären Starzeichner Chris Foss, mit dem sogar Underground-Guro Alejandro Jodorowsky einst arbeiten wollte, holt James Gunn aus der Versenkung.
Passend zu den psychedelischen Schlachtschiffen, die durch schillernd farbige Sonnensysteme cruisen und damit sogar an Trash-Jahrhundertwerke wie „Star Crash“ erinnern, drückt auch der Soundtrack ungewohnte Knöpfe. Konnte man sich vergleichbare Sci-Fi-Epen bisher nur mit orchestralen Scores á la John Williams vorstellen, gibt es zusätzlich zur Filmmusik von Tyler Bates auch noch knalligsten Poprock zu hören. Peter Quill, der sentimenale Hund, kriegt nämlich nicht genug von jenem Mixtape, dass sich als kleiner Junge in seinem Rucksack befunden hat, als er von den Aliens entführt wurde.
So geben also das reichlich Tarantino-erprobte „Hooked On A Feeling“ von Blue Swede oder die unerreichbaren The Runaways mit ihrer Überhymne „Cherry Bomb“ den Ton in der Milchstraße an, abgespielt von einem alten Kassettendeck. Als in einer von sämtlichen Farben berauschten Sequenz auch noch der Schmachtfetzen „I’m Not In Love“ von 10cc läuft, fallen mir im Kino Electrobands wie M83 ein, die ebenfalls den Spirit ihrer kuscheligen Kindheit mit utopischen Fantasien verknüpften oder auch beinahe vergessene Begriffe wie Chillwave.
Han Solo und Captain Kirk und Perry Rhodan auf narrischen Schwammerl in einem Glo-Fi-Epos mit erhöhtem Rock’n’Roll Faktor: Dass sich ein Konzern wie Marvel so einen Film leistet und damit auch Erfolg hat, lässt viele "Transformers"-Attacken verschmerzen. Und J.J. Abrams wird sich im nächsten Jahr verdammt bemühen müssen, denn, liebe „Star Wars“ Gemeinde, die „Guardians of the Galaxy“ sind der real deal.
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