Erstellt am: 29. 8. 2014 - 14:12 Uhr
Blutegel als Haustiere
Die schreckliche Kindheit wäre nicht mal eine Ausrede. Viel mehr eine Begründung für das Verhalten, das Nora in Beziehungen an den Tag legt. Doch diese Nora aus "Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause" ist schlicht pragmatisch und dabei von der ersten Seite dieses Debüts an hoch sympathisch. Das ist eine Überraschung.
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Denn schön ist das nicht, was Nora tut - wenn sie auf der Stelle Sex mit ihrem Freund haben will, weil sie bangt, sonst noch schneller verlassen zu werden, oder wenn sie den Hund ihrer Mutter, ein gesundes Tier, einschläfern lässt.
Czernin Verlag
Kantig und tragisch-komisch
Nadine Kegele hat ihren Roman fertiggestellt, aus dem sie vor einem Jahr bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur vulgo Bachmannpreis gelesen hatte. Zu kryptisch war ihr Romanauszug dem einen und anderen Juroren. Doch das fertige Buch liest sich leicht.
Denn Kegele stellt ihrer Nora drei beste Freundinnen zur Seite, um all das in Angriff zu nehmen, was in ihrem Leben Anfang Dreißig wieder in den Griff zu bekommen ist. Da wäre die Füchsin, die sich Blutegel als Haustiere hält, sich fürchtet, im Lift von einem Unbekannten mit einer Axt ermordet zu werden, und Yogalehrerin ist; Ruth ist Religionslehrerin und will in Frieden gelassen werden mit Fruchtbarkeitsyoga, wünscht sich allerdings dringlich ein Kind, aber ohne Mann, weil sie lesbisch ist. Vera hingegen reicht ihre Katze, sie ist Tochter von Beruf und stolz darauf. Diesen Attributen entsprechend, gestalten sich die Dialoge des Freundeskreises als furiose Selbstverteidigungen. Die Freundinnen sind einander großherziger Beistand und gnadenloses Korrektiv zugleich. Der Humor, gerne dunkler, ist ein Talent von Kegele. 1980 in Bludenz geboren, sind die Charaktere aus der Altersliga ihrer Autorin.
Behaupte sich mal eine
"Vielleicht werde ich verrückt. Wenn man allein ist, merkt man das nicht sofort, oder erst, wenn es zu spät ist. Die Katze ist kein guter Gradmesser. Ich meine: Wir reden miteinander." - Knappe Leseprobe des Verlags.
Damit nicht genug an Frauenleben in diesem Debüt. Parallel zu den in der Gegenwart verankerten Monaten, in denen Noras Geschichte spielt, erzählt Nadine Kegele das Leben von Erika, die Noras Mutter sein und damit einiges erklären könnte.
Frauenleben zu beschreiben, das ist in der österreichischen Literatur der letzten dreißig Jahre zu einem eigenen Topos angewachsen. Tristesse in nüchternen Sätzen anzusammeln ist Standard; an Elfriede Jelineks scharfsinnige Gesellschaftsanalysen und Marlene Streeruwitz’ Zustandsbeschreibungen kommt so schnell keine und keiner heran. Mit Streeruwitz' Roman "Kreuzungen" hat sich Kegele für ihre Diplomarbeit beschäftigt, Streeruwitz' Stil eifert sie allerdings nicht nach. Nichts gegen toll geschriebene Unterhaltungsliteratur.
Katharina Roßboth
Reizvoll ist das Wechselspiel zwischen dem Innenleben Noras und der äußeren Gegenwart. "Die Kaiserin", Noras Therapeutin, schaltet sich in Gedanken ein, doch die hat Sommerpause und plötzlich "hängt der Himmel niedrig wie eine Neubauwohnung". Nora rückt die Katze, die ihr für die Dauer eines Urlaubs anvertraut wurde, nicht mehr heraus und kapselt sich ab. Eine neue Freundin tritt auf den Plan: Noras Wohnungsnachbarin ist eine ältere Dame mit Rollator und Moby, einem Hund. Damit es genügend Brüche in ihrer Biografie gibt, schreibt ihr Kegele zu, eine Überlebende der Shoah zu sein.
Es geht um tausend Dinge in diesem rasanten, tragisch-komischen Buch. Doch schließlich dreht sich Kegeles Roman um Selbstbehauptung. Bloß wie sich behaupten, wenn das Umfeld einen längst akzeptiert hat? Nicht zuletzt erzählt "Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause" mit vielen so niedlichen wie messerscharfen Passagen davon, dass man sich in Freundschaften nichts beweisen muss.
Selten war bei einem Buch der Wunsch nach einem Happy-End derart bestimmend. Aber eine Geschichte, die von A bis Z erzählt wird, die würde diese Autorin nicht interessieren, wusste die Literaturkritikerin Daniela Strigl beim Wettlesen um den Bachmannpreis 2013 über Nadine Kegele. Schade eigentlich.