Erstellt am: 26. 8. 2014 - 14:40 Uhr
Anatomie eines Rücktritts
Try to see it my way...
Man könnte versuchen, den heute Morgen eiligst inszenierten Abgang des österreichischen Vizekanzlers und Finanzministers aus den Augen und Erzählsträngen von Michael Spindelegger zu sehen:
Seit drei Jahren bemüht er sich, so das vermutete Selbst-Narrativ, die ÖVP - die in der Aufarbeitung der Wenderegierung dringend ein Image zu korrigieren hatte - als Partei der braven Kirchgänger und fleißigen Saubermänner weich zu zeichnen. Jedes Mittel ist recht, so lernt sich der mitunter eher biedere Spindelegger auch das eine oder andere Kunststück aus dem Fundus der TV-Publikumsinteraktion an. Selbst die Sprachmuster werden, mit wechselndem Erfolg, adaptiert und teils verzerrt. Alles dem Willen zur Dynamik unterworfen.
APA/ROLAND SCHLAGER
Lederhosen & Laptop auf Kremser Kirtag
Denn eines war Spindelegger immer wichtig: In all der Beliebigkeit moderner Innenpolitik wenigstens eine Ahnung einer Handschrift zu bewahren, selbst wenn diese vormoderne Zierzeilen zeichnet. Und davon hat die ÖVP noch immer einige im Gepäck, wer das nicht glaubt, möge sich anschauen wie man parteiintern reagiert, wenn jemand mit der vergleichsweise urbanen CDU daher kommt. Wenn die "Sozialdemokratisierung" der ÖVP so läuft wie jene unter Merkel müsste man in der Lichtenfelsgasse eigentlich dankbar sein. Steht doch die deutsche Schwesternpartei auch für andere, gesellschaftliche Entwürfe – aber auch für wirtschaftspolitische Entscheidungen, die in der ÖVP bis heute undenkbar waren. Allen voran natürlich:
Die Steuerreform
Jeder in Volkspartei weiß, dass Bundeskanzler Faymann diese Reform braucht wie einen Bissen Brot. Noch gestern hat das ganze Land, auch wenn man es heute schon wieder vergessen hat, über die SPÖ und ihr Verhältnis zu Frauenquoten gelästert - dass Spindelegger nun den Scheinwerfer auf sich selbst und seine Partei richtet, wird die Genossen nicht gestört haben. Trotzdem: Wenn Faymann nicht bis Weihnachten eine Steuerentlastung der arbeitenden Bevölkerung auf Schiene bringt, macht er sich neben den Frauen und den Jungen auch die Gewerkschaften zum Gegner .- und das überlebt er politisch möglicherweise nicht. Alleine: Wie will eine spürbare Entlastung kleiner bis mittlerer Einkommen, also etwa ein Senken des Eingangssteuersatzes, gegenfinanziert werden - wenn nicht mit neuen Steuern?
Der letzte Warner?
Mit einem Finanzminister und VP-Chef Spindelegger war diese Tür verschlossen, immerhin hat er seine gesamte politische Rest-Glaubwürdigkeit mit einem Ablehnen neuer Steuern verknüpft. Dass es nun, nach seinem Abgang, dann doch "Richtung Populismus" geht wird Spindelegger vermutlich ein wohlig-selbstmitleidiges "Ich habe es euch ja immer gesagt"-Gefühl geben. Mit Spindelegger wird wohl auch der Fundamental-Widerstand gegen vermögensbezogene Steuern verschwinden. Dass selbst Landeshauptleute wie Pühringer in diese Richtung argumentierten, wird wohl seinen Rückzug befeuert haben.
Spindelegger macht, als siebter Obmann in 25 Jahren, nun, nach seinen Vorgängern Mock, Riegler, Busek, Schüssel, Molterer und Josef Pröll, also wieder Platz für eine „andere“ ÖVP.
Möglicherweise eine, die neue Steuern nicht mehr kategorisch ablehnt.