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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

24. 8. 2014 - 11:23

Weltmeister im Problemlösen

Die deutschen Kletterer dominieren bei der Boulder-Weltmeisterschaft im Münchner Olympiastadion. Die ÖsterreicherInnen haben diesmal wenig entgegenzusetzen, der tschechische Ausnahmekletterer Adam Ondra schon.

Die einzige Erhebung, die man vom Münchner Olympiastadion aus sieht, ist ein Hügel: der Olympiaberg, der noch dazu künstlich entstanden ist, aus den Trümmern der zerbombten Stadt. Die Topographie ist es also nicht, die München zur "Hauptstadt der Berge" macht, wie sie von einer Politikerin bei der Eröffnung der Boulder-WM bezeichnet hat. Es sind ihre BewohnerInnen. Der Alpenverein hat hier über 125.000 Mitglieder, man sieht mehr Menschen in Funktionsbekleidung als in Lederhosen und Dirndl und das schlägt sich auch bei der Boulder-WM nieder.

Schon an den Qualifikationstagen der Boulder-WM strömen tausende ZuseherInnen ins Olympiastadion und am Finaltag sind die über 4.000 aufgelegten Karten ausverkauft. Mit ein Grund dafür sind auch die Leistungen der deutschen AthletInnen im Vorfeld der WM. Jan Hojer etwa ist wohl in der Form seines Lebens. Er hat heuer nicht nur drei Einzelsiege, sondern auch die Gesamtwertung des Boulderweltcups gewonnen. Auch bei den Frauen gibt es eine deutsche Favoritin, nachdem Juliane "Jule" Wurm, die erfolgreichste deutsche Kletterin, auch heuer einen Weltcupstop für sich entscheiden konnte und zwei weitere Male auf das Podium geklettert ist.

Jule Wurm schwärmt von der Atmosphäre im Olympiastadion, wo der Wettkampf unter dem riesigen Vordach aus Glas ausgetragen wird, das eine beeindruckende Kulisse abgibt. "Es ist immer wieder schön, vor deutschem Publikum zu klettern, besonders hier in München. Ich erkenn' auch viele Gesichter im Publikum, die ich schon in Kletterhallen getroffen habe, die feuern einen immer besonders an."

Ein Finale ohne österreichische Beteiligung

Sowohl Jule Wurm als auch Jan Hojer können ihre gute Form im Halbfinale bestätigen. Sie klettern jeweils die meisten Boulder bis zum Top und ziehen beide als Erstplatzierte ins Finale ein. Für die erfolgsverwöhnten ÖsterreicherInnen heißt es hingegen zusehen. Anna Stöhr musste schon im Vorfeld wegen einer Sehnenscheidenentzündung w.o. geben und Katha Sauerwein scheidet genauso wie Kilian Fischhuber im Halbfinale aus. Besonders Kilian Fischhuber, der die Qualifikation am Donnerstag noch gewonnen hat, kann sich sein Ausscheiden nicht recht erklären: "Die Boulder an sich waren teilweise gar nicht so schwer, die, die ich geklettert bin, waren eher auf der leichteren Seite. Aber es hat nicht immer mit der Schwierigkeit der Boulder zu tun, sondern mit der Gesamtsituation, mit der ich anscheinend nicht so gut zurechtgekommen bin."

Die österreichischen KletterInnen hadern mit ihrer Leistung, der Trainer der deutschen, Udo Neumann, mit dem Sieg seiner Schützlinge im Semifinale, weil sie dadurch im Finale als Letzte an der Reihe sind: "Das sehe ich mit gemischten Gefühlen, weil es ist wirklich schwierig, so einen Boulderwettbewerb von hinten zu gewinnen, gerade wenn die fünf vor ihnen das relativ schnell klettern, dann steigt der Druck. Mit jeder Begehung steigt der Druck. Eigentlich ist das nicht die ganz ideale Voraussetzung, als Letzter zu starten."

Favoriten unter Druck

Das Finale zum Nachsehen

Doch wie es scheint, können Juliane Wurm und Jan Hojer mit dem Druck vor dem Heimpublikum umgehen. Obwohl die Amerikanerin Alex Puccio und der tschechische Ausnahmekletterer Adam Ondra Topwertungen vorlegen, können die beiden Deutschen kontern, benötigen sogar weniger Versuche, um die Probleme zu lösen, und gehen in Führung. Besonders Jan Hojer sieht sehr souverän aus.

Bis zum letzten Boulder des Finales ist das Ergebnis offen, doch dann nimmt der Druck noch einmal zu. Adam Ondra klettert die schwierige Route wieder bis zum Top und auch Alex Puccio löst ihr Boulderproblem. Um sie noch abzufangen müssen Hojer und Wurm ebenfalls bis zum Top kommen und das in möglichst wenig Versuchen.

Das Münchner Publikum will die Locals mit seiner Begeisterung die Routen hinaufschreien, doch die ersten Versuche an der Wand enden schnell wieder am Boden. Bei ihrem allerletzten Versuch schließlich kann Jule Wurm den Topgriff festhalten. Sie schreit ihre Freude in die Menge hinaus. Jan Hojer hingegen findet keine Lösung für den letzten Boulder und rutscht noch hinter Jerneij Kruder auf Rang drei zurück.

Die Resultate im Überblick

Jule Wurm krönt sich in München zur Weltmeisterin, mit gleich vielen Topwertungen wie Alex Puccio, allerdings einem Versuch weniger. Dritte wird Akiyo Noguchi. Vor Heimpublikum zu gewinnen ist für Jule die "Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Schokotorte, einfach perfekt."

Den deutschen Doppelsieg verhindert Adam Ondra, das einstige tschechische Kletterwunderkind, der inzwischen zum weltbesten Felskletterer gereift ist. Erst diese Saison ist er wieder in das Wettkampfklettern eingestiegen, mehr aus Zufall heraus. Er hat zu studieren begonnen und dadurch nicht mehr soviel Zeit, um schwerste Routen am Fels zu projektieren, dafür umso mehr, um in der Halle zu trainieren. Nichtsdestotrotz hat er das Ziel ausgegeben, heuer Weltmeister zu werden, allerdings nicht im Bouldern, sondern in seiner Spezialdisziplin Vorstieg. Im Bouldern hatte er keine Erwartungen und ist deshalb auch ohne Druck in den Wettkampf gegangen, ein Riesenvorteil. So ist er jetzt schon Weltmeister, bevor "seine" Weltmeisterschaft überhaupt begonnen hat. Mal sehen, ob er in drei Wochen, bei der Vorstiegs-WM in Gijon, der erste Doppelweltmeister im Klettern werden kann.