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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

22. 8. 2014 - 19:27

Wie die Tiere

Am Sonntag geht die HBO-Show "True Blood" nach sieben Staffeln zu Ende. Eine letzte Würdigung.

Die vorletzte Episode von "True Blood" ever, insgesamt die 79., die vergangenen Sonntag gelaufen ist, trägt den sprechenden Titel "Love Is To Die", benannt, wie bei "True Blood" üblich, nach einem Song: Der Abspann der Folge wird mit dem gleichnamigen, wunderbaren Stück der kalifornischen Band Warpaint untermalt. Eine überraschend moderne, nachgerade fast schon zu hippe, aber letztlich genau so passende Wahl für diese Show, die konstant, über sieben Staffeln hinweg, nicht zuletzt durch ein sicheres Händchen in Hinblick auf Musikselektion glänzen konnte.

Blut, Sex, Vampire, Humor, Tod, Action, Drama, Schmalz, Sex, Blut, Sex, Werwölfe, Feen, Blut, Wer-Panther, Hexen, Nachtclub, ein imposantes Dildo-Sortiment, geile Körper – falls es in der von Alan Ball ersonnenen HBO-Serie "True Blood" und ihrem Schauplatz, dem vermeintlich verschlafenen Hinterwäldler-Dörfchen Bon Temps, seit 2008 an irgendetwas gefehlt hat, dann ist es die Subtilität.

True Blood

HBO

Zwischen prall ausgestelltem Fleisch, Ekstase, Schweiß und Explosion ist der Einsatz der Begleitmusik jedoch meist, selbst wenn es sich um donnernden Sumpfrock handeln sollte, ein vergleichsweise behutsamer gewesen. Klassiker und weniger bekanntes, großteils aus den Abteilungen Country und Neo-Country, Folk, Blues, Americana und Wüsten-Indie zauberten da hinter extremem Muskelspiel, Körperflüssigkeitsfontänen und Camp ein Aroma, in dem Louisiana, Sumpf, Truckstop, Sauf-Kaschemme, finsterer Wald und Cajun-Küche erfahrbar wurden.

Lucinda Williams, Mazzy Star, Wilco, der Songwriter Robbie Fulks, der das allererste Erscheinen der Lichtkönigin Sookie Stackhouse begleitet hat. "Lost Cause" von Beck, eine Metal-Coverversion des Talking-Heads-Klassikers "Burning Down The House" von The Used oder auch der Augenblick in Episode 4 der aktuellen, letzten Staffel, in der Sheriff Andy auf einer Party Holly einen Heiratsantrag macht, und der dunkle Grübler Bill Compton versucht, sich ausnahmsweise einmal dezent gehen zu lassen und lässig zu Marvin Gayes "Gotta Give It Up" abzugrooven – "True Blood" hat mit schönen, mal leiser inszenierten, mal die Handlung deutlich kommentierenden Musikmomenten nicht gegeizt.

Allein der Theme-Song von "True Blood" – "Bad Things" von Jace Everett – ist schon mit Season 1 in den Kanon der Legende eingegangen: Über der kunstvoll geschnitzten Titelsequenz, die klischeebesetze Bilder des Südens der USA, Rednecktum, Kirche, Gospel, kernige Männer, Waffenliebe und Stripbar als einzige künstliche Nummernrevue inszeniert, singt der Song von der Doppeldeutigkeit, von der "True Blood" handelt: I wanna do bad things with you. Jetzt, wo es dem Ende entgegengeht, muss noch einmal mit dem ganz fetten Kajalstift aufgetragen werden, der Kreis geschlossen werden. Love. Is. To. Die. Darum geht es.

Kaum jemand wird über dieses Ende ernsthaft zermürbt sein. Keine Erlösung, keine Überraschung, kein genialer Twist mehr ist kommenden Sonntag mit der letzten Episode von "True Blood" zu erwarten. Bill wird wohl als Messias den Tod finden. Dem stattlich arroganten Sympathen Eric Northman wollen wir ebenfalls den True Death wünschen, am besten durch einen bizarren Sex-Unfall mit Leder- und Lack-Beteiligung auf seinem Thron. Es soll niemand auf die Idee kommen, rund um den Fanfavoriten ein Spin-Off spinnen zu wollen. Ein Ableben der treudoofen Sookie Stackhouse wäre im Dienste der schweren Emotion genauso wünschenswert. Sonst verliebt sich die Arme noch am nächsten Tag wieder unsterblich in einen brandgefährlichen Schwarzmagier, der ihr im Straßengraben auflauert.

"True Blood" scheint lange schon den Faden verloren zu haben, hangelt sich scheinbar unmotiviert von einer Liebes-Neukonstellation zum nächsten Charakter der Grusel- und Fantasy-Literatur zur nächsten feuchtfröhlichen Pfählung. Aber auch genau darum geht es in dieser fantastischen Show: Ein abstruser Ritt von Szene zu Szene, eine oft schon beliebig wirkende Druckbetankung durch Reize, hinter der der große, große, gewichtige Handlungsbogen fast schon als schlichte Notwendigkeit in den Hintergrund treten muss.

In der dramaturgisch wieder straffer gezurrten letzten Staffel taucht nun auch die Yakuza auf, weil, hey, why not, schwertschwingende Japaner haben wir in "True Blood" bislang vermisst. "You're a very brave girl. Brave and stupid", meint einer der Japaner zu Sookie, "So I've been told" entgegnet Sookie. Being Stupid - das ist seit jeher die Kernkompetenz von "True Blood" gewesen. Ein albernes Love-Triangle, bisweilen auch -Quadrat oder -Fünfeck, den Gefühlen ist nicht immer so genau zu folgen, sie sind flüchtig und nur in genau diesem Moment bedeuten sie die Welt.

Ein Schelmenroman, ein überdrehter Entwicklungsroman, in dem der liebenswürdige Tölpel und Sexgott Jason zum Cop und Erretter wird. Rauschmitteleinsatz und Queerness werden, am deutlichsten an der Figur des Lafayette abzulesen, moralisches Zentrum. Der tollpatschige Andy wird zum Draufgänger. Eine Nebenfigur wie die heillos überschminkte "Go Fuck Yourself"-Pam ist in dieser bunten Welt der Neonlichter und Dancing Poles eine der größten Sympathieträgerinnen.

Gleichzeitig hat uns "True Blood" ein paar der sweetesten Love Stories aller Zeiten beschert: Jessica und Hoyt. Andy und Holly. Jason und Amy (Remember? Lizzy Caplan vor "Masters of Sex"-Fame). Arlene und Terry. Außerdem: Schärfste Dialoge, großartige Darsteller, heißer Witz, durchdesigntes Muskelwerk, Strapse, Jason in der Unterhose.

Die Vertreter von Kirche und Regierung stehen klarerweise für das Bigotte, das falsche Wohlwollen. Bester Bösewicht: Denis O'Hare als lüsterner Obervampir Russell Edgington. Bester Bösewicht: Arliss Howard als sadistischer Governor Truman Burrell. Bester Bösewicht: Anna Camp als intrigen-spinnende, mit dem Wind sich drehende Pastoren-Frau Sarah Newlin.

In uns drinnen, und gar nicht mal so tief, sind wir alle Hunde und Wölfe, Blutsauger, erregte Pferde, wir wollen laufen, spielen, spritzen, uns entladen. Eine Geschichte über Freundschaft und Verlust, Liebe, Lust und Tod; die schillerndste Parabel über Ausgrenzung, Scheinheiligkeit und Vorurteile, erzählt mit dem Schlagobersspray. Ein großer, derber Spaß, der der Selbstzüchtigung und Zügelung entgegenarbeitet und die Körperlichkeit und die Maßlosigkeit feiert wie keine andere Show davor. "True Blood", you will be missed. When you came in, the air went out.