Erstellt am: 22. 8. 2014 - 16:51 Uhr
Der Circle von Dave Eggers
Dave Eggers Roman "Der Circle" steht gleich nach Erscheinen der deutschen Übersetzung an der Spitze der Spiegel Bestsellerliste. Kein Wunder, schließlich schreiben sich Zeit, FAZ und die anderen deutsche Dampfer des Literaturbetriebs seit Wochen die Finger wund, um das Buch zu einem "brandaktuellen Roman", einen "beklemmenden Pageturner" etc. hoch zu jazzen. Dabei hatte ich mich auf das Buch im leuchtend rot/silbernen Einband mit der extrasamtigen Griff-Haptik schon richtig gefreut.
David Shankbone
Dave Eggers gilt nicht zu Unrecht als superschlauer, mit allen postmodernen Wassern gewaschenes Player der amerikanischen Literatur. Seine Romane sind nicht so schwer lesbar und deprimierend wie die des geistesverwandten David Foster Wallace, dafür hat er mehr Politik im literarischen Portfolio („Hatoum“). Das Drehbuch für den tollen Hipster-Kinderfilm „Wo die wilden Kerle wohnen“ steht auch noch auf der Plus-Seite im Lebenslauf. Außerdem hat Eggers das fantastisch seltsame Literaturmagazin McSweeney gegründet und seine Organisation 826 National hilft mittellosen Jugendlichen auf ein anständiges College zu kommen. Dave Eggers – Guter Typ, muss man sagen. Und dann kommt Mae.
Lebt und arbeitet bei "The Circle"
Mae ist die Hauptfigur in "Der Circle". Typ "Unschuld vom Land", 24 Jahre alt, und enttäuscht von ihrer bisherigen kleinstädtischen Existenz. Ihre alte Freundin Anne hat ihr den Traumjob in der Firmenzentrale von „Circle“ vermittelt. Sie darf in der Abteilung „Customer Experience“ Kundenanfragen abarbeiten. Früher hätte man Call Center dazu gesagt, aber jetzt geht das natürlich alles online. Dafür wird alles dafür getan, dass sich die paar tausend Circle-Mitarbeiter auf dem Campus wohlfühlen. Tägliche Barbecues, Musikshows, Vorträge, Neigungsgruppen, Sportclubs etc. halten die Leute an der Stange, sie haben ihr „Partizipationsranking“ ständig im Auge. Alles wird ständig von allen bewertet, kommentiert, dokumentiert. Die drei Grundsätze der Firma lauten:
- Geheimnisse sind Lügen
- Teilen ist Heilen
- Alles Private ist Diebstahl
Die Erfindung mit der „The Circle“ seine Vormachtstellung in der digitalen Welt erobert hat, heißt bei Eggers „TrueYou“, eine Art digitaler Identität, mit der man in allen Bereichen des On-Line Lebens und darüber hinaus mit nur einem (realen) Namen, einem Passwort, einem Click unterwegs ist. Man fragt sich beim Lesen, ob sich Dave Eggers schon jemals bei Google eingeloggt hat. Das Armband, das ständig Gesundheits-Daten misst und aufzeichnet gibt es doch schon längst beim Elektronikmarkt in der Shopping Mall deines Vertrauens. Die entsprechenden Vorbehalte und Kritiken kann man in den entsprechenden Amazon-User-Rezensionen nachlesen. Dafür braucht es die papierene Brücke der Romankonstruktion nicht. Noch dazu, wenn sie so wenig über das hinausgeht, was im Netz tagtäglich verhandelt wird.
McSweeneys
Auf Deutsch ist "Der Circle" ist in einer Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
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Die Schullektüre der Zukunft
Für Dave Eggers ist die totale Transparenz der düstere Kern seiner Zukunftsvision. Wir überwachen uns gegenseitig, sogar freiwillig, und ein gewinnorientiertes Unternehmen verkauft uns freudig die Werkzeuge dafür. Die Selbstoptimierung des Lebens ist komplett „game-ifiziert“ und macht dafür umso mehr Spaß. Das klingt jetzt als Grundidee für einen Science-Fiction-Roman nicht rasend originell, wird aber durch den kaum vorhandenen Plot auch nicht besser. Und wenn es an manchen Stellen doch zu „menscheln“ beginnt wird es unfreiwillig komisch, etwa wenn der „geheimnisvolle Fremde“ sich nach einem Gespräch über Datenschutz mit Mae zum leidenschaftlichen Sex auf einem Klo am Circle-Campus verabredet. Das wirkt dann wie eine schlechte Fortsetzung von „50 Shades of Grey“ im Internetmilieu. Als einzige - wenig überzeugende - Alternative zum überwachten Leben bietet Dave Eggers ein altes Ehepaar an, dass auf einem Boot vor der Küste herumschippert und den Seelöwen zusieht. „Der Circle“ liest sich über weite Strecken wie ein viel zu lang geratener „Jugendroman“ mit Problembewusstsein. Das Buch will allzu offensichtlich Schullektüre werden und ist doch nur oldschool Kulturpessismus.
Schönere neue Welten findet man vielleicht in diesen Büchern:
Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County
Schöne Menschen in pastellfarbenen Polohemden gleiten in silbernen Monorails auf sauber polierten Oberflächen. Probleme hat man (vorerst) abgeschafft.
Iain M. Banks: Der Kulturzyklus
Ein bessere Science Fiction Welt ist möglich: 10 Bände über eine hedonistische Gesellschaft in der Gehirne eigens dazu konstruiert werden, das Leben der Menschen von existentiellen Nöten frei zu halten. Die Menschen beschäftigen sich derweil mit Spiel, Sport, Kunst, Sex, Philosophie und was auch immer ihnen Freude bereitet.
Douglas Coupland: Generation A
In Couplands Zukunft sind die Bienen ausgestorben. Obst ist Luxus dafür sind wir alle vernetzt. Science Fiction ohne Raumschiffe und Zeigefinger.