Erstellt am: 27. 8. 2014 - 12:31 Uhr
Zwischen Anarchie und Häuslichkeit
Tipp
Zum 20-jährigen Jubiläum der Platte L’état et moi haben sich Blumfeld nun in Originalbesetzung reuniert und spielen am 30. August in der Arena Wien und am 31. August im Posthof Linz.
Anfang der Neunziger Jahre gibt es wenig relevante deutsche Popmusik mit relevanten deutschen Texten. Klar, es sind noch übriggebliebene Inseln aus den Achtzigern wie die Neubauten, die Goldenen Zitronen, Andreas Dorau, oder von mir aus auch die Ärzte aktiv.
Aber der jungen Generation hat es die deutsche Sprache verschlagen. Aktuell kommentierendes deutsches Liedgut zu einer deutschen oder europäischen Befindlichkeit liefert am ehesten noch Rio Reiser, der Sänger von den Ton, Steine, Scherben. Rio Reiser ist da gerade in seinen Vierzigern, in Bälde tot und trotzdem noch eine der interessantesten Alternativen.
Blumfeld
Linderung kommt von spröden, neuen Rockmusik-Variationen aus Amerika in verschiedenen Härte-Verhältnissen. Wut und Zorn kann man beispielsweise mit dem Freigeist-Noise von Sonic Youth, dem Lo-Fi-Rock von Pavement oder dem sanften Hardcore von Helmet kühlen. Kommt halt darauf an, wie zornig und wütend man ist.
Und dann tauchen 1992 Blumfeld auf und übersetzen in Musik und Inhalt die neue amerikanische Rockmusik- und Jugendbefindlichkeit in deutsche Sprache und deutsche Gefühligkeit. Sänger Jochen Distelmeyer macht den Kampf der/des Einzelnen mit und gegen politische Umstände zu seinem wichtigsten Thema. Die deutschsprachige Diskursszene, die bis heute das Grüßen nicht gelernt hat, sauft Blumfeld wie süße Ovomaltine.
Weiterlesen
Und Endlich Unendlich: Für kurze Zeit waren Selig der Nabel der deutschen Rockmusik.
"Flucht in die Flucht": Die Hamburger Band Die Sterne kehrt mit einem sehr guten Album wieder. Und ist aktueller FM4 Artist of the Week.
Tocotronic spielen am 4. Oktober ein Konzert in Wien
Ein neues Selbstverständnis für den Gebrauch der deutschen Sprache ist da und es wächst so etwas wie eine alternative deutsche Identität. Die nächsten Jahre gehören den Sternen, Tocotronic, aber auch Selig.
Blumfeld werden mit ihrem Spätwerk dann noch mal kräftig viel Staub aufwirbeln. Mit Gesten, die schon von Anbeginn der Blumfeld-Zeitrechnung vorhanden waren, allerdings oft ignoriert wurden.
Meint er das ernst?
Der fast schon transzendente Nimbus von Blumfeld nährt sich aus der Uneindeutigkeit in der Positionierung und Präsentation von Sänger und Bandkopf Jochen Distelmeyer. Während Distelmeyer gegen System und Bevormundung ansingt, erzählt er im nächsten Atemzug vom schönen Hochzeitstag seiner Eltern. Das wird zum Zeitpunkt des Erscheinens des zweiten Blumfeld-Albums L’état et moi noch meist als Ironie gedeutet.
Blumfeld
Große Probleme bekommt die Diskurs-Polizei dann allerdings mit dem Wohlklang der Platte „Old Nobody“ und spätestens mit dem letzten Blumfeld-Album „Verbotene Früchte“. Die Häuslichkeit des Jochen Distelmeyer macht sich in den Blumfeld-Texten breit. Bienen und Äpfel und der Wunsch nach Auflösung in endgültiger Liebe werden zum Thema. Blumfeld tauchen ihren spröden Sound in Honig. Das Deuten von Blumfeld mit dem Hilfsmittel Ironie wird immer schwieriger. Blumfeld werden als privatistisch denunziert. Blumfeld sind sich der Irritationen bewusst, verwenden diese zwar nicht kalkuliert, spielen damit aber bis zu ihrer Auflösung 2007 kokett.
20 Jahre L’état et moi
All das ist wichtig zu erwähnen, denn nur mit dem Spätwerk von Blumfeld in Gedanken kann man das Meisterwerk L’état et moi von 1994 in all seiner Würde und Aufrichtigkeit wertschätzen.
Blumfeld
"L’état et moi" erschien 1995 auf dem britischen Label Big Cat und wurde dann auch prompt vom britischen Musikmagazin NME unter die besten Platten des Jahres 1994 gewählt. Und das obwohl die größte Stärke von Blumfeld, ihre Texte, im fremdsprachigen Ausland kaum ausgespielt werden konnte. Dissonanz und Melodie mäandern unaufhörlich nebeneinander, miteinander und gegeneinander und evozieren eine intime und dringliche Stimmung. Eine dichte aber spartanische Gitarrenrockarbeit. Als Verzierungen dienen ausschließlich im Hintergrund aufgetürmte Feedbackmeditationen. Diese Reduktion gewährleistet das Funktionieren und die Strahlkraft der textlichen Entblößungen von Sänger und Texter Jochen Distelmeyer. Auf ihrem nächsten Album "Old Nobody" verlassen Blumfeld dann ihr musikalisches Sicherheitsnetz aus Sprödheit, beginnen mit bunten Farben zu malen und die Zankerei um die Integrität der Band beginnt.
Aber zurück zur Geburtstagsplatte "L'État Et Moi".
Louis XIV, der absolutistische französische Sonnenkönig sagte: "L'état est moi", "der Staat bin ich". Blumfeld aber sagen "L'État Et Moi", "der Staat und ich". Das Album "L’état et moi" ist ein textliches Ringen; ein kompromissloser Gewaltakt um persönliche Autonomie und eine Sehnsucht nach Heilung. Ironie hat da nichts in der Nähe verloren.
Zum 20-jährigen Jubiläum der Platte L’état et moi haben sich Blumfeld nun in Originalbesetzung reuniert und spielen am 30. August in der Arena Wien und am 31. August im Posthof Linz.