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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

21. 8. 2014 - 16:00

Der globale Kollateralschaden von Ferguson

Von russischen, chinesischen und anderen TV-Kanälen autoritärer Staaten wurden die Krawalle in Ferguson tagelang als Spitzenmeldungen in den Nachrichten gebracht.

Nach mehr als einer Woche Chaos hat sich die Lage in Ferguson durch den Besuch von Justizminister Eric Holder am Mittwoch etwas stabilisiert. Es gab sechs Festnahmen, aber die zweite Nacht in Folge keine Schüsse und kein Tränengas, die Übertragungswagen der TV-Stationen dürften die gepanzerten Militärfahrzeuge zahlenmäßig übertroffen haben. Das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten wie Medienberichterstatter aber hat einen Kollateralschaden angerichtet, der die Außenpolitik von Präsident Barack Obama noch lange verfolgen wird. Die Krawalle waren nach der Erschießung eines schwarzen Jugendlichen durch einen weißen Polizisten vor elf Tagen ausgebrochen.

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US commentator Steven Hill gives his analysis of the handling of the Ferguson riots by the White House, and the importance of the recent events in the evolution of civil rights in the United States.

Neben europäіschen Medien waren auch die staatlichen TV-Kanäle Russlands, Chinas und anderer autoritärer Staaten groß vertreten. Der von Krawallen erschütterte Vorort von St. Louis, Missouri war in den Weltnachrichten von RT, CCTV, Al Jazeera, TRT Türk und anderen tagelang stets unter den Spitzenmeldungen gewesen. Die Repression gegen die Medien in Ferguson aber ging noch am Mittwoch unvermittelt weiter. Kurz vor dem Eintreffen Holders wurde mit einem Journalisten der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu der 14. Berichterstatter festgenommen.

Screenshot RT

RT

Das Nicht-Medienereignis

Der Besuch des Justizministers war hingegen nicht als Medienereignis angelegt. Es gab weder eine Pressekonferenz, noch Interviews, sondern Gespräche hinter den Kulissen mit den Betroffenen, Polizei und Politik. Der brutale Mord an einem US-Journalisten durch IS-Terroristen vor laufender Kamera hatte da die Repression in Ferguson bereits als Spitzenmeldung in den Nachrichten abgelöst.

Davor schon war hinter den Kulissen von Washington eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, die ebensowenig an die große mediale Glocke gehängt wurden wie der Besuch Holders in Ferguson. Verkündet wurde nur, dass Präsident Obama und seine engsten Berater Vertreter schwarzer Communities getroffen hätten, sehr viel mehr wurde davon nicht bekannt.

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Der britische Dschihadist auf dem Video, das die Enthauptung des US-Journalisten James Foley zeigt, soll Anführer einer Gruppe von drei britischen Dschihadisten innerhalb der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat sein

Pentagon prüft Vergabepraxis

Ganz offensichtlich fürchtete man in Washington, dass jede offensivere Form von Medienpolitik die Wut in Ferguson und damit das internationale Medienecho erneut anheizen könnte. Am Dienstag schaltete sich auch das Pentagon in die Politik der Deeskalation ein und kündigte an, die Vergabepraxis von militärischem Gerät an Polizeibehörden zu überprüfen.

Screenshot RT

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Bereits vor einer Woche war genau dieses Thema von Abgeordneten der Demokraten aufgegriffen und ein Antrag zur Änderung des betreffenden Gesetzes im Eilverfahren verfasst worden. Im Rahmen des mittlerweile berüchtigten Programms 1033 wird seit Beginn der 90er Jahre überschüssige Militärausrüstung an Polizeibehörden abgegeben, seit der Gründung des Ministeriums für Heimatschutz im Jahr 2002 steht ein vergleichsweise riesiges Budget dafür bereit. Insgesamt wurden bis dato 35 Milliarden Dollar dafür ausgegeben, um Einheiten der Polizei paramilitärisch hochzurüsten.

Schub durch Rückzüge

Diese Entwicklung erlebte mit den Rückzügen aus dem Irak und Afghanistan einen regelrechten Schub, denn plötzlich gab es große Mengen an gepanzerten Truppentransportern, insgesamt wurden nämlich 27.000 dieser bis zu 18 Tonnen schweren Geräte an das US-Militär ausgeliefert. Mit dem Erscheinen dieser minenresistenten Panzerfahrzeuge (MRAPs) auf den Straßen von Ferguson waren die Krawalle erst richtig losgebrochen.

Screenshot CCTV

CCTV

Von der Armee alleine waren über 400 schwere MRAPs an Polizeibehörden quer durch die USA übergeben worden, noch einmal so viele gab es in leichteren Ausführungen. Das sind jedoch noch längst nicht alle, denn eine unbekannte Zahl solchen Militärgeräts wurde von verschiedenen Polizeibehörden aus eigenen Mitteln angeschafft.

Große Budgets der Polizei

Die Polizei von St. Louis allein verfügt über ein jährliches Budget von fast 170 Millionen Dollar, dazu kommen noch einmal 90 Millionen für den umliegenden Bezirk. Die Angabe des städtischen Polizeichefs, dass die MRAPs in den Straßen von Ferguson nicht im Rahmen des Programms 1033 angeschafft worden warten, ist also durchaus plausibel. Es müssen weit mehr als 800 solcher Fahrzeuge den verschiedensten US-Polizeibehörden zur Verfügung stehen, auch die nach Ferguson eingerückte Nationalgarde verfügt über dasselbe Gerät.

"Trainieren Sie Ihre Truppen auf die richtige Einstellung", heißt es in den Trainingsunterlagen für die Polizei des Provinzstädtchens Farmington, "um die Pläne von Terroristen zu durchkreuzen, die unsere Schulkinder abschlachten wollen".

Zum gewaltigen, weltweiten Medienecho hatte die offene Repression vor allem gegen ausländische Reporter maßgeblich beigetragen. Etwa die Hälfte der verhafteten Journalisten waren Mitarbeiter europäischer Medien. Gleich zu Beginn der Unruhen war ein Kamerateam des Senders Al Jazeera (Katar) gezielt mit Tränengasgranaten beschossen worden, Kameras wurden zerstört und Journalisten in Handschellen abgeführt.

Screenshot Al Jazeera

Al Jazeera

Verhaftungen in Aussicht

Die Polizei von St. Louis hatte so versucht, dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Berichte von etablierten Medien in TV und Print publiziert würden. Bei einer Pressekonferenz hatte auch der neue Kommandant Ron Johnson noch am Dienstag weitere Verhaftungen von Journalisten in Aussicht gestellt. Man könne ja nicht wissen, ob es sich um echte Medienmitarbeiter oder um Demonstranten handle, die nur eine Kamera umgehängt hätten, sagte Johnson.

Warum die Polizei von St. Louis verhindern wollte, dass Berichte von Medien wie der Financial Times erscheinen, zeigt ihre Strategie der Desinformation. Die begann direkt nach der Erschießung des unbewaffneten Teenagers Michael Brown durch einen weißen Polizisten, mit der Veröffentlichung eines Videos aus einer Überwachungskamera durch die Polizei.

Für 4. September ist in Kalifornien die Verkaufsmesse "Urban Shield" für Polizeibehörden angesetzt. Der Name erinnert an die Operation "Desert Shield", die den von George H.W.Bush geführten ersten Golfkrieg einleitete. Unter den Ausstellern ist mit der Firma Lenco auch der Produzent jener MRAPs vertreten, die täglich in Ferguson zu sehen waren.

Desinformation und gezielte Leaks

Bis heute ist nicht eindeutig verifiziert, ob der dabei gefilmte Mann Michael Brown ist, und ob im Laden überhaupt ein Raub begangen wurde. Sicher ist nur, dass die besagte Szene in keinem direkten Zusammenhang mit den sechs Schüssen auf Brown kurz darauf steht. Ein zweites Überwachungsvideo, das seitens der Demonstranten in Umlauf kam, zeigt einen Schwarzen, der ebenfalls Brown ähnelt, zusammen mit einem Begleiter, der eine Kiste Zigarren auf einen Kassatisch legt, während "Brown" dort bezahlt.

Am Montag wiederum war an Medien wie Fox News und andere ausgewählte TV-Kanäle von der Polizei lanciert worden, dass in Browns Blut Rückstände von Marihuana gefunden worden seien. Wenn diese Angabe stimmt, dann muss sie aus dem Obduktionsbericht der Polizei stammen. Zeitgleich dazu waren die vorläufigen Ergebnisse einer zweiten Obduktion veröffentlicht worden, die von der Familie Browns in Auftrag gegeben worden war. Vier Schüsse trafen den Brustkorb, zwei den Kopf, der sechste Schuss aber kann nur gefallen sein, als Brown bereits kniete oder am Boden lag. Der Einschuss saß in Kopfmitte auf dem Scheitel.

Screenshot CCTV

CCTV

Militarisierung

Der zweite Schwarze, der am Dienstag von der Polizei erschossen wurde, war angeblich mit einem Messer bewaffnet und hatte davor einen Gemüseladen überfallen. Auch dieser Mann wurde nicht außer Gefecht gesetzt, indem auf die Beine gezielt wurde - wie es überall in Europa Vorschrift ist - sondern sofort gezielt getötet. Der Ablauf beider Fälle entspricht weniger einer polizeilichen als vielmehr einer militärischen Vorgangsweise, nämlich den "Gegner zu neutralisieren" oder "auszuschalten", was nichts anderes als "vernichten" heißt.

Screenshot TRT

TRT

Mit der militärischen Aufrüstung der US-Polizei während der letzten zwanzig Jahre wurden die Grenzen zwischen Militär und Polizei bis zur Unkenntlickeit verwischt. Polizisten wurden vielfach schon allein deshalb militärisch ausgebildet, weil sie davor in Kriegseinsätzen waren, wie die von der American Civil Liberties Union veröffentlichten Trainingsunterlagen wurden sie auch systematisch von militärischen Ausbildnern im Umgang mit den Militärwaffen trainiert.

Kriege nach innen

Die Politik der beiden Präsidenten George und George W. Bush hat zu dieser Militarisierung maßgeblich beigetragen, indem sie Kriege erklärt hatten, die nicht nach außen, sondern innen gerichtet waren. George Bush hatte den "War on Drugs" ausgerufen, George W. danach den "War on Terror" und so ist es nicht ganz verwunderlich, dass viele Polizisten ihre Einsätze als militärische Aktionen sehen.

Bereits 1982 hatte der damalige Vizepräsident George H. W. Bush begonnen, CIA und Militär im "War on Drugs" einzusetzen. Zwanzig Jahre danach rief Präsident George W. Bush in Analogie dazu seinen "War on Terror" aus

Im September wird sich auch das Repräsentantenhaus wahrscheinlich bereits in der ersten Sitzung mit dem Gesetzesantrag "Stopp der Militarisierung der Polizei" befassen. Der Antrag wurde im Eiltempo von Abgeordneten der Demokraten während des Höhepunkts der Straßenschlachten in Ferguson verfasst.

Die Chancen, dass er angenommen wird, sind allerdings eher gering. Rund um die Debatte um das Budget des Verteidigungsministeriums im Juni hatte der demokratische Abgeordnete Alan Grayson einen Zusatzartikel zur "Demilitarisierung der Polizei" eingereicht. Der Antrag war mit einer großen Mehrheit von 355 zu 62 Stimmen abgeschmettert worden.