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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

22. 8. 2014 - 15:44

Öfter aufs Land fahren!

Zum Beispiel dieses Wochenende zum Rostfest nach Eisenerz. Dort will man freiwillig einen Werkzeuggürtel tragen und Nächte durchtanzen.

Rostfest bis Sonntagfrüh in Eisenerz

"Shhhh!" So beginnt die "Intensivierung der Stille" in der fast nur mit Wachskerzen beleuchteten Wehrkirche Eisenerz. Le Tam Tam kennen GrazerInnen als Elektro-Rabauken, für ihre Eröffnung des Rostfests finden sie sich an Kirchenorgel und Keyboard wieder. Das Rostfest ist ein Festival mit einem großen Alleinstehungsmerkmal: Da wäre die Stadt Eisenerz. Mitten in den Bergen, mit Häusern voll Stuck, ist die einstige Industriemetropole als Austragungsort für ein Festival schmuck und zugleich für FestivalbesucherInnen ein großes Experimentier-Feld.

Vordernberg, nicht weit mit dem Auto von Eisenerz, wirbt für neue BewohnerInnen aktuell gar mit einem Willkommensgeld

Denn die BewohnerInnen von Eisenerz heißen einen willkommen. In Eisenerz steht gefühlt jedes vierte Geschäftslokal leer. "Kürzlich erst habe ich gelesen, dass Eisenerz die Stadt mit den meisten rückläufigen Bewohner-Zahlen ist und der größten Überalterung", erzählt ein Einwohner. "Das Durschnittsalter liegt bei 54 Jahren. Das ist eklatant. Wie man dagegen ankämpft, ist ungewiss. Auf jeden Fall: Leben kann man nicht allein von der guten Luft und der schönen Umgebung. Das wird zu wenig sein." Momentan stimmt die Infrastruktur noch, doch auch ältere Personen stört es, dass unter dem Jahr wenig Jugend da ist.

Umso herzlicher wird man als Rostfest-Besucherin aufgenommen. In der Siedlung Münichtal steht die Hälfte der Wohnungen leer. Die verbliebenen BewohnerInnen begegnen einem freundlich, sie bringen den Urban Campern Kuchen und Marmelade.

Luster mit angezündeten Wachskerzen in der Kirche in Eisenerz

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Nicht im Bild: Le Tam Tam an der Orgel und an Keyboard in der Eisenerzer Wehrkirche

Auch von der Offenheit des Pfarrers kann man sich etwas abschauen. Wie früher beim Schulgottesdienst fordert dieser Ort für ein Konzert von Le Tam Tam ein wenig Aufmüpfigkeit heraus, gepaart mit überspielter Unsicherheit des Publikums, ob die Bierdose tatsächlich auf der Betbank abzustellen wäre. Damit hat sich die Aufmüpfigkeit allerdings. Eineinhalb Stunde nichts zu tun, nur zuzuhören, das ist ungewohnt und eine Herausforderung, die mit den Minuten mehr und mehr BesucherInnen nicht brauchen und aufstehen, um zu den Konzerten in der Stadt zu schauen. "Wie Animal Collective im 14. Jahrhundert und katholisch geworden", an diesem Stimmungspunkt sind wir nach eineinviertel Stunden in der eindrucksvollen Wehrkirche. Das findet meine Sitznachbarin, und zwei Plätze weiter kreischen erneut Möwen aus einem Smartphone. Ein Signalton, der gut zum sphärischen Improvisationskonzert mit Gesangspassagen, deren Wortbedeutung sich von Anfang an absichtlich aufgelöst hat, passt.

Beim Rostfest wird es lauter und bunter

Das in Eisenerz ansässige Metal-Label Napalm Records ist ebenso mit Bands vertreten wie das Elevate Festival eine Nacht auf einem der elektronischen Floors in Leerständen kuratiert. Das Programm muss man sich im Detail ansehen. Oder ohne Plan durch die Stadt spazieren und Dinge entdecken.

"Die Ressource Raum motiviert ungemein. Wenn wir Räume zur Verfügung stellen können, haben sehr viele Menschen große Motivation, diese Räume mit Inhalten zu füllen", sagt Rostfest-Mitorganisator und -initiator Rainer Rosegger.

Das beginnt bereits in der Münichtal-Siedlung, knapp vor Stadtende, wo für das "Urban Camping" leerstehende Wohnungen offen stehen. Ohne Strom und ohne Wasser zu wohnen bereitet für wenige Festivaltage augenscheinlich Vergnügen. Das Indie-Label Numavi Records hat ein ganzes Haus bezogen und ein temporäres Tonstudio eingerichtet.

Susanne Schwarz und ihre Kollegen Thomas Baumegger, Wolfgang Möstl und Florian Giessauf sowie Mario Zangl vom Kulturverein Numavi haben "alles raufgekarrt". Schaut man sich im "Numavi Haus" um, entdeckt man einen Tischtennis-Tisch, gebastelt aus einer alten Türe; einen DJ-Raum und im oberen Stockwerk nächtigen Crew und Bands. "Das ist einfach eine gemeinsame Geschichte, und das ist schön", freut sich Susanne. "Wir haben uns an den Nebengebäuden angeschlossen für den Strom, die Leute sind alle so freundlich, man kann einfach sagen, wir brauchen Strom. Und mal holt man sich einen Liter Wasser für den Wasserkocher." Für das Tonstudio bekam man Starkstrom geliefert.

Zwei Eisenerzer Bands - Free To Fall und Remember This Day - nutzten die Gelegenheit für Tonaufnahmen neben jenen Bands, die Songs für eine eigene Compilation einspielten. So auch Just Friends And Lovers.

Lina von "Just Friends And Lovers"

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Am Weg ins "Numavi Haus" und ins temporäre Tonstudio: Lina von Just Friends And Lovers.
Von außen: In einem leerstehenden Haust ist das temporäre Studio von Numavi Records in der Münichtalsiedlung in Eisenerz eingerichtet.

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Mit fünf Bands, großer Bühne und "riesengroßer Sause" ist Numavi Records am Freitag und Samstag auch im Stadtzentrum von Eisenerz vertreten. Beendet wird der Reigen mit Hardcore-Punk von Franz Strosuk, in der Nacht von Samstag auf Sonntag um drei Uhr früh.

Die Visual-MeisterInnen von Ochoresotto filmten die Aufnahme-Sessions, samstags erfolgt die Präsentation. Ochoresotto bespielen zudem in Eisenerz etliche leerstehende Häuser und erleuchten die Stadt des Nächtens. Mit einem mobilen Generator werden Ochoresotto auch ausfahren.

Eisenerz

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Beim Rostfest gibt es keinen Eintritt. Dem Organisationsteam ist es ganz wichtig, "dass wir keine Stadt abriegeln und nur mit Zutrittskontolle zugänglich machen", sagt Rainer Rosegger. Die Finanzierung des Rostfests ist jedoch alles andere als eine g'mahte Wiesen. Darum versucht man dieses Jahr erstmals, Unterstützung via "Rostanteil" anzukurbeln.

Nahe am Hauptplatz, hinter dem einstigen, großen Einkaufshaus, das in Rostfest-Nächten zwei Tanzflächen beherbergt, hat sich der "Rote Keil" platziert. Roter Keil sind ein Kunst- und Kulturverein und eine selbst bezeichnete "Gemischtwaren-Werkstatt" mit MalerInnen, Goldschmieden, GlasbläserInnen und BildhauerInnen. In Eisenerz trifft man sich zum Symposium. Eigentlich wollte Roter Keil in Graz auf Brachflächen arbeiten, doch die Flächen wurden zugebaut und Genehmigungen waren umständlich zu bekommen. Also: Ausfahrt nach Eisenerz.

Ein Bildhauer baut an einer Schaukelbank aus ausgesonderten Bahnschwellen und einem zerschnittenen Schwung Schneiderad. Sein Kollege lötet an einer Mülltonne. "Das wird eine Cabrio-Hollywoodschaukel-Sonnenstuhl-Mühltonne!" Eisenerzer schauen sich um.

Mülltonne, umfunktioniert zur Hollywoodschaukel

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An der Fassade des ehemaligen Forums und derzeitigen Rostfest-Festivalzentrums sieht man elf Porträts von EisenerzerInnen. Miriam Raneburger und Gregor Schlatte vom Kollektiv Graukarte präsentieren hier die Arbeit der letzten Monate, das Foto-Doku-Projekt "4418". Miriam war im letzten Jahr zum ersten Mal beim Rostfest, heuer wollte sie selbst mitmachen "und Kommunikation schaffen". Zwei Monate hindurch waren die Fotografen in Eisenerz immer wieder unterwegs.

Einst ein Geschäft, heute temporär das Festivalzentrum des Rostfests in Eisenerz

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Ausblick

Samstag gibt es Frühschoppen mit Schlager - im ersten Rostfest-Jahr war es noch Heavy Metal, diesmal findet zugleich ein Poetry Slam statt. Unter den Interventionen tagsüber ist das "Picknick mit Erscheinung" mit den TheatermacherInnen "Rabtaldirndln" garantiert ein Highlight. Die Rabtaldirndln rocken und scheren sich wenig um Konventionen. Umso schöner und erlebnisreicher sind ihre Performances. Die Künstlergruppe Monochrom hat im vergangenen Jahr beim Rostfest einen Hackerspace namens "Hittrach" versprochen. Ob es nun beim Hackerbus bleibt, der schon im Münichtal parkt? Fad wird einem nicht, dieser Tage in Eisenerz.