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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

20. 8. 2014 - 11:49

Ein Sommermärchen

"Maria, du schönes Huhn, willst du meine Frau werden?" Ich bin das erste Mal auf einem Romageburtstag. Langsam verwandelt sich der Geburtstag in eine Hochzeit.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

"Die Leiden des jungen Todor"
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Die Mutter von meiner lieben M. hat ein Haus im Sofioter Außenbezirk Gorna Banja. Eigentlich gibt es dort ein Haus, aber ob es genau der Mutter von M. gehört, ist etwas fraglich. Die Geschichte fing so an: Da die Mutter von M. eine sehr beschäftigte Person ist, hatte sie einige Monate keine Zeit, um ihr Haus zu besuchen. Als sie endlich hinging, fand sie eine vielköpfige Romafamilie, die sich im Haus einquartiert hatte. Es war Winter. Die Mutter von M. fand es unmenschlich, die Romafamilie mit der Polizei hinauszujagen. Außerdem versprachen die Roma, dass sie im Frühling ausziehen und außerdem Miete zahlen würden – jedes Mal, wenn sie das Haus besuchte, sollte sie einen Lamm bekommen. Sie übergaben ihr das erste Lamm mit großen Feierlichkeiten. Da sie aber nichts mit dem Lamm in Sofia anfangen konnte, ließ sie es da.

Lamm

CC-BY-SA-2.0 / Peter aka anemoneprojectors / flickr.com/anemoneprojectors

Sie kam wieder im Frühling, um zu sehen, ob die "Mieter" schon weg waren. Sie waren aber da, dieses Mal sogar noch zahlreicher und noch fröhlicher. Sie hießen sie mit Liedern und Tänzen willkommen und übergaben ihr wieder die Miete – ein Schaf. Die Mutter von M. hatte den Verdacht, dass das das ausgewachsene Lamm vom Winter war. Sie ließ das Schaf wieder dort und die Roma versprachen, dass sie im Herbst ausziehen würden. Die Mutter von M. ging mehrmals zu „ihrem“ Haus und wurde jedes Mal herzlichst willkommen geheißen und ihr wurde immer ein Schaf übergeben.

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Wenn die Mutter von M. jedes Schaf tatsächlich mitgenommen hätte, dann hätte sie jetzt eine ganze Herde. Sie hat aber gar nichts und die Roma wohnen immer noch im Haus. Sie nennen sie „unsere Vermieterin“ und sogar „unsere Mütterchen“. Sie ist ein Ehrengast bei jeder Familienfeier.

Jetzt sind wir auf dem Geburtstag von Gianni (benannt nach dem berühmten Designer Versace). Plötzlich springt Gianni auf und bittet Maria seine Frau zu werden. All das passiert mit einer Pathetik, Hinknien und Tränen wie in einem schlechten Hollywoodfilm. Maria stimmt zu und weint vor Freude. Eigentlich leben Gianni und Maria seit Jahren zusammen und haben schon vier Kinder. Das fünfte ist auch schon auf dem Weg im Bauch der stolzen Braut. Die Lage wird ein kleines bisschen konfus, da der Ring von Gianni nicht an Marias Finger passt. Vielleicht hat sie ein bisschen zugenommen. Der alte Kassettenrecorder ertönt mit voller Kraft. Die Jungen Tanzen und die Alten trinken und umarmen alle der Reihe nach. Sie umarmen auch die Mutter von M., M. und mich. Mehr und mehr Verwandte kommen dazu. Ein Liveorchester ist auch schon da. Eine Ziehharmonika, eine Klarinette und ein Schlagzeug.

Ich versuche mit der Mutter von M. zu scherzen, sie soll als Hochzeitsgeschenk ihre Schafherde zurückschenken. Sie sagt, ich solle nicht das Fest ruinieren. Bald tanzt sie auch. Der Rhythmus der Musik zieht alle in ihren Bann. Sogar ich, der zwei linke Beine hat, fange an zu tanzen. Hier gibt es aber keine Regel. Die Zeit ist stehen geblieben. Wen interessiert es, dass wir im 21. Jahrhundert leben? Die Liebe ist ewig. Summertime and the living is easy…