Erstellt am: 19. 8. 2014 - 16:08 Uhr
"Eine Epidemie, die nicht unter Kontrolle ist"
Durch die Ebola-Epidemie in Westafrika sind in den vier direkt betroffenen Ländern Guinea, Liberia, Nigeria und Sierra Leone wahrscheinlich über 1.200 Menschen umgekommen. Seit letztem Donnerstag sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO über hundert neue Fälle gemeldet worden.
Dr. Reinhard Dörflinger, Präsident der Ärzte ohne Grenzen Österreich war zu Gast bei Esther Csapo im FM4 Studio.
Esther Csapo: Gleich ein paar grundlegende Fragen zur Krankheit: Wie infizieren sich denn Menschen mit Ebola?
Dörflinger: Ebola ist eine Viruserkrankung. Es ist nicht wie die Grippe oder die Vogelgrippe damals oder das SARS-Syndrom über die Luft übertragbar, also wenn jemand niest, sondern man braucht Kontakt mit infiziertem Material. Das kann Schweiß sein, Blut, Stuhl, Urin oder irgendein anderes Sekret. Und die Viren müssen irgendwo eindringen können. Das heißt, es braucht irgendeine Handverletzung zum Beispiel, oder eine Stichverletzung, damit sich dieser Virus dann ausbreiten kann.
Händeschütteln alleine wäre also ungefährlich?
So ein Kontakt ist eigentlich ungefährlich. Es sei denn, der Patient wäre zum Beispiel akut verstorben. Also: Jemand mit Ebola hat hohes Fieber und verstirbt, und dann kommt eine Person hin und wäscht ihn ab und hat beispielsweise irgendwelche Schrunden an den Händen. Da kann sein, dass das ausreicht, um eine Infektion zu bekommen. Das ist auch ein Grund, warum unter den Opfern doch relativ viele Leute aus dem Gesundheitspersonal sind. Es gab zum Beispiel in Sierra Leone eine Cholera-Epidemie und es gab da eine Tradition, sich die Hände mit Chlor-Wasser zu desinfizieren. Die Leute haben dort schon deswegen einfach sehr schrundige Hände, je nachdem auch, was sie sonst noch so machen, Feldarbeit oder ähnliches. Das war eine ideale Eintrittspforte. Man wusste ja am Anfang auch nicht genau, woran die Menschen gestorben sind.
Und wie ist dann der klassische Krankheitsverlauf?
Der ist sehr unspezifisch, und das macht die Sache auch so schwierig. Man kriegt Fieber, Muskelschmerzen, Unwohlsein, Schwitzen... bis hin dann zu Durchfall, Erbrechen und diesen Blutungen, die aber relativ spät auftauchen. Das ganze braucht also eine gewisse Zeit. Das kann zwischen drei und zehn Tagen sein. Die Observationszeit bei Leuten, die in Kontakt mit Ebola gekommen sind, beträgt 21 Tage. Das ist die Zeit, in der eventuell doch noch eine Infektion ausbrechen kann. Wenn die Leute angesteckt sind, sind sie aber noch nicht infektiös. Das heißt, wenn jemand ein Ebola-Virus in sich hat, aber keine Symptome, kann ich dem noch die Hand schütteln, den Rücken waschen oder sonstwas, er ist normalerweise nicht infektiös. Ansteckend sind die Leute dann, wenn sie Symptome haben, also Menschen, die hohes Fieber haben, die schwitzen, die Durchfall haben. Alle diese Sekrete sind infektiös und da müssen diese ganz strengen Quarantänemaßnahmen in Gang gesetzt sein, damit da keine Verbreitung stattfindet.
Ist Ebola immer tödlich?
Die ersten Zahlen in Guinea, das war noch im Februar/März - als Ärzte ohne Grenzen auch mit 40 Leuten den ersten großen Einsatz gemacht hat, inzwischen sind wir bei 1.000 angelangt, die in drei Ländern arbeiten - zeigten eine Sterblichkeit von 80%. Wenn man sich jetzt die Zahlen anschaut, liegt die Zahl der Patienten, bei denen ein Virusnachweis auch gelungen ist, bei fast 2.000, die Zahl der Toten bewegt sich bei ungefähr 1.000. Das heißt, die Sterblichkeit beträgt momentan ein bisschen mehr als 50%. Es gibt also auch Leute, die gesund aus unseren Behandlungszentren hinausgehen, wo die Krankheit einen glücklichen Ausgang nimmt. Aber das heißt eben auch, dass von zwei Patienten einer nicht mehr lebendig aus diesen Zentren hinausgeht, was doch eine sehr ungewöhnliche Situation ist.
P.K. Lee/Medecins sans frontiers
In den letzten Tagen hören wir immer wieder auch von Ebola-Verdachtsfällen in Europa. Wie hoch ist tatsächlich das Risiko, sich in Europa mit der Krankheit anzustecken?
Soweit man das sagen kann, mit allen berühmten Einschränkungen, sehr, sehr gering. Das Problem bei Ebola ist: Wenn jemand aus Afrika kommt und Fieber hat, dann kann das sehr viel sein. Das kann von Malaria über Dengue-Fieber bis hin zu Meningitis alles sein. Trotzdem werden jetzt natürlich Leute, die Fieber haben und aus einem Infektionsgebiet kommen, in Infektionszentren dirigiert. In Europa gab es bisher, soweit ich das weiß, keine bestätigten Fälle. Außerhalb von Sierra Leone, Liberia und Guinea, diesen westafrikanischen Staaten, wo die Infektion momentan grassiert, gab es eigentlich nur in Lagos in Nigeria bestätigte Fälle. Was natürlich trotzdem eine sehr komplizierte Situation ist, weil Lagos eine Millionenstadt ist und daher auch das ganze Paket des Tracings und Nachverfolgens sehr schwierig ist. Das heißt: Bei uns ist das extrem unwahrscheinlich, da ja auch der Flugverkehr inzwischen reduziert worden ist, Reisebeschränkungen da sind und Leute, die aus dem Gebiet kommen - vor allem auch mit erhöhter Körpertemperatur -, kontrolliert werden.
Wie schätzen Sie denn Ebola im Vergleich zu anderen Pandemien wie Vogelgrippe, Schweinegrippe etc. ein? Ist da der Umgang der Medien in Europa richtig oder überzogen?
Der Unterschied liegt doch in der Sterblichkeitsrate. Einer von zwei überlebt diese Krankheit nicht, und das macht natürlich Angst. Die Zahl der 2.000 bestätigten Patienten ist scheinbar relativ überschaubar. Es ist aber etwas, das nicht behandelbar ist, trotz aller therapeutischen Versprechen mit diesen berühmten Antikörpern, die in Amerika aufgetaucht sind, oder den Versuchen, das Blut von Leuten, die überlebt haben, den Patienten als Antikörper-Reservoir zu geben. Ich hab heute früh schon einmal überlegt, womit man es vergleichen kann. Ist es wie die Pest im Mittelalter, die auch soviel Angst und Furcht erzeugt hat, bis man drauf gekommen ist, woher das kommt und was man dagegen tun kann. So ähnlich ist es, glaub ich, jetzt bei dieser Ebola-Epidemie. Noch dazu bei einer Krankheit, die da scheinbar aus dem tiefen Urwald kommt, mit all den Phantasien, die damit zusammenhängen.
Jetzt sind ja Ärzte ohne Grenzen, auch Österreicher, in den betroffenen Ländern. Wie ist denn die Lage in Westafrika?
Also ich kenne von diesen Ländern persönlich Guinea. Ich war selbst vor zwei Jahren in dem Gebiet, wo die Krankheit jetzt ausgebrochen ist, wir hatten damals dort ein Malaria-Projekt. Das sind sehr arme Länder mit sehr elementaren Gesundheitseinrichtungen, sehr viel traditioneller Medizin, sehr viel Glauben an Geister und Verschwörungen. Wenn es in so einem Land zu so einem Ausbruch kommt, kann man sich an fünf Fingern abzählen, wann die Überforderung da ist. In Monrovia hat Ärzte ohne Grenzen inzwischen ein Hundert-Betten-Spital aufgebaut, nur für Ebola-Fälle. Was auch notwendig war, weil in Sierra Leone zum Beispiel das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist, weil Ärzte verschwinden, Pfleger verschwinden, es gab ja auch diese hohe Todesrate unter dem medizinischen Personal. Das ist schlicht und einfach - und das sagt auch die WHO - eine Epidemie, die momentan nicht unter Kontrolle ist.
Welche Maßnahmen würden denn helfen? Was müssten denn der Westen und Europa machen, um da zu helfen?
Ärzte ohne Grenzen - Spendenkonto:
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Spendenzweck "Ebola"
Für uns als medizinische Organisation ist klar: Wir sind da für die Behandlung. Wir machen Behandlungszentren, wir machen diese Quarantäne, wir bilden aber auch Gesundheits-Informatoren aus. Weil einfach ganz wichtig ist, die Leute aufzuklären, was das ist, wie man sich schützen kann, wie man sich verhält, wenn die ersten Symptome da sind. All die Bilder, die da herumgeistern, die Menschen in Plastikanzügen mit Plastikbrillen, das ist natürlich nicht sehr vertrauenerweckend. Noch dazu sind es Weiße, die kommen daher und auf einmal taucht dieses komische Ebola auf und dann verschwinden die Kranken in diesen Quarantänen und von denen kommt dann mindestens die Hälfte tot wieder heraus. Und dann kann ich die Toten auch nicht richtig begraben, weil sie uns die traditionellen Riten verbieten. Dementsprechend schwierig ist die Vermittlung von diesem elementaren Umgang mit Epidemien. Das heißt, die Patienten zu isolieren, zu versuchen zu behandeln, die, die in Kontakt zu ihnen gewesen sind, zu "verfolgen" und über 21 Tage zu schauen, ob sie Symptome zeigen. Aber auch zu versuchen, Traditionen zu identifizieren, die einfach kontraproduktiv sind. Vor allem im Zusammenhang mit Begräbnissen. Da sind Sachen vom Waschen des Körpers bis hin zu Noch-einmal-Umarmen einfach lokale Traditionen, die gerade in dieser Epidemie-Phase ein absoluter Seuchen-Herd sind. Es ist also wichtig, den Leuten zu vermitteln, dass sie ein sicheres Begräbnis haben müssen. Die therapeutische Botschaft hingegen ist eher null. Medizinisch versuchen wir nur, die Leute die erkrankt sind, zu stabilisieren. Wir versuchen Infusionen zu geben, Schmerzen zu bekämpfen, versuchen, dass sie nicht in ein Koma abgleiten. Der Rest ist dann eher Hoffen und diese unklare Sache, warum dann vier von zehn doch überleben.
Das klingt alles schon nach einem sehr langen Projekt. Schnelle Hilfe ist quasi unmöglich?
Schnelle Hilfe ist notwendig für die, die jetzt erkrankt sind, und die, die unmittelbar in Kontakt sind. Und da gab es auch einen Aufruf von unserer Seite an die WHO, die nationalen Regierungen, alle Kräfte zu mobilisieren, um den stetigen Anstieg irgendwie einzubremsen. Es werden trotzdem noch Leute kommen, weil sie infiziert worden sind in den letzten zwei, drei Wochen. Aber um diese Kette zu durchbrechen, muss man Eingriffe machen, muss man schauen, dass die Gesundheitseinrichtungen einigermaßen hygienische Voraussetzung haben. Also Sachen zu vermeiden wie: Wenn jemand mit Fieber kommt und die Leute haben nicht einmal Handschuhe. Damit ist dann sofort die Infektions- und Verbreitungsgefahr da. Zum Zeitraum: Unsere internationale Präsidentin, Dr. Joanne Liu, war in Guinea und Liberia zu Besuch und meinte, die nächsten sechs Monate würden zeigen, ob die Maßnahmen greifen können, ob die Ausbreitung verhindert werden wird. Das heißt, wir werden uns noch eine längere Zeit mit dieser Epidemie beschäftigen müssen.