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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

20. 8. 2014 - 10:40

Auf der Suche nach der "Bettelmafia"?

Gibt es Boss oder Benz? Theresa Wailzer hat sich auf die Suche gemacht.

JedeR kennt das Bild von der so genannten Bettelmafia: Mafiabosse karren verstümmelte Menschen oder schwangere Frauen mit dem Mercedes in innerstädtische Einkaufszonen und sammeln später das von ihnen erwirtschaftete Geld ab. Theresa Wailzer hat sich in ihrer Diplomarbeit auf die Suche nach dieser "Bettelmafia" gemacht und über hundert BettlerInnen kennengelernt. Mit fünfzehn rumänisch-stämmigen BettlerInnen hat sie tiefergehende Interviews geführt. Und - so viel darf verraten werden - weder Boss noch Benz gefunden.
"Man ist täglich mit BettlerInnen konfrontiert auf der Straße, man hört viel über das Thema, aber mit den Betroffenen wird wenig gesprochen", sagt Theresa Wailzer über ihre Motivation, sich in ihrer Diplomarbeit im Fach Internationale Entwicklung mit BettlerInnen auseinander zu setzen.

Die gesamte Diplomarbeit ist online als PDF verfügbar.

Sie spricht selbst Rumänisch, deswegen hat sie sich für ihre Diplomarbeit auf die Straßen Wiens begeben und mit rumänisch-stämmigen BettlerInnen, aber auch PassantInnen und einem Polizisten gesprochen. Über die Menschen aus Rumänien weiß man so viel: Sie verlassen ihr Land mangels Perspektiven, um in Österreich eine bessere Zukunft zu finden. "Betteln ist für die Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, vorübergehend. Es ist kein Endzustand, sondern derzeit der einzige Weg, um ihre Familien zu ernähren." Manchmal sind es ganze Familien, die kommen. die Kinder gehen in Österreich zur Schule. Damit, so hoffen die Eltern, werden sie es eines Tages besser haben als sie.

Bettelnder Mann

APA/HANS KLAUS TECHT

Wo sind Boss und Benz?

Auf die angebliche Mafia angesprochen, sagten die Betroffenen zu Theresa Wailzer, sie hätten auch davon gehört, dass es die geben soll. "Sie sagen: Das stimmt nicht. Die Mafia sei ja korrupt und mit Betteln würde das nichts bringen. So viel, wie in der Zeitung steht, kann man mit Betteln gar nicht verdienen. Eine Frau meinte sogar, sie würde gerne bei dieser Bettelmafia arbeiten, wenn man da so viel Geld verdienen könnte wie in den Zeitungen gesagt wird!" Die Bettellobby Wien geht davon aus, dass BettlerInnen an einem sechs- bis zwölfstündigen Arbeitstag zwischen fünf und 25 Euro verdienen können.

Seit 1. Jänner dieses Jahres dürfen rumänische und bulgarische StaatsbürgerInnen in Österreich legal Arbeit suchen. Ob das die Situation der BettlerInnen verbessert hat, kann man bis dato noch nicht so genau sagen. Es gibt aber in Wien ein Projekt, mit dem man BettlerInnen Arbeit verschaffen kann: den Verein Goldenes Wiener Herz.

Auch den Mercedes oder andere teure Autos, mit denen die BettlerInnen angeblich geholt oder gebracht werden, hat noch nie jemand gesehen. Ulli Gladik von der Bettellobby ist zum Beispiel einem Polizeibericht nachgegangen, in dem ein solcher erwähnt wird. Aber auch darin erzählt nur jemand davon, ihn gesehen zu haben, die BeamtInnen haben ihn nicht gesichtet. Der Grazer Vinzipfarrer Pucher, der auch für die Diplomarbeit interviewt wurde, hat sogar mehrmals einen Preis von 1.000 Euro ausgeschrieben für jemanden, der ein Foto von einem "Bettelmercedes" hat - ohne Erfolg. "Beweise gibt es keine - in der heutigen Zeit mit Smartphones wäre es doch eigentlich nicht so schwer, ein Foto von diesem vermeintlichen Mercedes zu machen!"

Zusammenhalt gegen die Polizei

Was Theresa Wailzer schon beobachtet hat, ist Zusammenhalt und Unterstützung untereinander. Sie erzählt von einer Situation mit einem bulgarischen Bettler: "Ein behinderter Bettler sitzt auf der Straße und bettelt. Ich habe ihn angesprochen und dabei bemerkt, dass jemand daneben steht und uns zwei beobachtet. Später bin ich drauf gekommen, dass der nur die Unterstützung war, um zu warnen, falls die Polizei kommt, dass er ihn wegbringen kann oder ihm das erbettelte Geld abnehmen kann."

BettlerIn in München

CC BY-SA 3.0 Usien

CC BY-SA 3.0 / Usien

Die Bettelverbote und Gesetze verunsichern die BettlerInnen, sagt Theresa Wailzer. Für aggressives Betteln kann man zum Beispiel in Wien von der Polizei mitgenommen werden. Dabei wird einem/einer das erbettelte Geld abgenommen und es gibt Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. Dabei lässt das Gesetz einen großen Handlungsspielraum, was zu ahnden ist: Sitzen vor einem Gebäude ist ok, sitzt man aber mit ausgestreckten Beinen, verletzt man schon die Straßenverkehrsordnung und kann mitgenommen werden.

Gegenseitiges Helfen unterstützt Bild der Mafia

Diese Verunsicherung führt dazu, dass sich bettelnde Menschen gegenseitig helfen: Einer bettelt, der andere hält Ausschau nach der Polizei und sammelt das Geld ab, damit es nicht weggenommen werden kann. Das verstärkt wieder das Bild einer Bettelmafia oder großer organisierter Gruppen. "Es ist natürlich nie ausgeschlossen, dass von Armut betroffene Menschen auch ausgebeutet werden", sagt Theresa Wailzer zusammenfassend. "Aber diese Bettelmafia habe ich einfach nicht gefunden. Ich glaube, das ist ein sehr hartnäckiges Bild, das sich durch die Medien und durch Erzählungen weiterverbreitet. In den Gesprächen mit den Betroffenen habe ich herausgefunden, dass das so nicht der Realität entspricht."