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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 8. 2014 - 16:46

The daily Blumenau. Monday Edition, 18-08-14.

Medien, Politik und Wahrnehmung. Vier Beobachtungen aus den letzten Tagen.

The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Mit Items aus diesen Themenfeldern. Im August wegen Väterteilzeit und Urlaubstagen leider höchst unregelmäßig.

Neue Antisemiten im alten antisemitischen Kernland

#antisemitismus #islamismus #migrationshintergrund

Im Spectrum der seriösen, weitgehend unverlinkten Samstagsbeilage der Presse riskiert Autor Vladimir Vertlib einiges. Seine These zur neuen Qualität der von jungen österreichischen Muslims befeuerten, in klaren Antisemitismus abdriftenden Protestkultur ist kühn: Vertlieb kann ein gewisses Aufatmen autochtoner Österreicher hören, die ihren eigenen Antisemitismus so an Migrationshintergründler auslagern können, einerseits; andererseits bringe diese gemeinsame Klammer die scheinbar so weit auseinanderliegenden Lager näher, sorge der Antisemitismus also für Vertrautheit. Die scheinbar in einer Parallelwelt Lebenden würden Teil der eigenen Wirklichkeit, was zu einer völligen Neubewertung von Integration und dem Erkennen gemeinsamer Wurzeln führen könnte. Vertlib meint das positiv, hofft auf Erkenntnis "im Umgang mit destruktiven gesellschaftlichen Phänomenen".

Ich fürchte, er hat das Zentrum des Problems nicht im Blick gehabt: die neuen antisemitischen Pöbeleien können hierzulande (auch bei uns) so leicht übersehen werden, weil die Blindheit auf diesem Auge common sense ist, weil ein nur scheinbar ironischer, witzig sein wollender, schludriger Alltags-Antisemitismus in Österreich Normalität ist. Und wo Antisemiten eine kritische Masse stellen, die gefühlte Mehrheit sind, dort lassen sich auch die Antisemiten unter den Neuzuwanderern leichter und lieber nieder. Ich kann keine Möglichkeit des Lehrenzugs erkennen, ich sehe nur Verstärkung und Verdopplung.

Geschichts- und hinterfraglose Philosophie

#schlafwandler #kriegstreiber #medienzensur

Precht am Sonntags-Kurier-Cover. Precht, der in seiner letzten Sendung so viel besser als der von ihm eingeladene Experte Beschied wusste, dass er zwei Drittel der Redezeit in Anspruch nahm.

Das Interview ist mainstreamkritisch, Precht gibt den gemäßigten Putin-Versteher, prangert Kriegslüsternheit und Zündelei an, vergleicht Bewertungen und spricht im Wir-Ton, wenn es um EU oder NATO geht und er erwähnt die Widerkehr des mythischen Weltbildes von Zuschreibungen und Ängsten, das ein rationales Weltbild abgelöst habe.

Belege dafür? Precht wendet sich den Auslösern der Konflikte in Gaza bzw der Ostukraine zu: "Bis heute wissen wir nicht, wer die Jugendlichen tatsächlich getötet hat, so wie wir bis jetzt nicht wissen, wer die MH 17 abgeschossen hat."

Jetzt bin ich mir nicht sicher: Brauche ich für eine derart an der Oberfläche surfenden Boulevard-Kommentatoren-Stil einen Philosophen? Oder wäre der aufgerufen, relevante Fragen hinter der Ereignissen sichtbar zu machen.

Etwa die Tatsache der Emo-Kaperung (mit landesweiten Veranstaltungen) der angeblichen Entführung der israelischen Kids durch die Regierung/das Militär zu einem Zeitpunkt, wo man sich deren Todes schon sicher war - was öffentlich aber niemand äußern durfte. Oder die vergleichende Bewertung der Reaktionen rund um den Abschuss von Flug 655. Und die dahinterstehende Frag, ob sich seit den Schlafwandlern von 1914 und ihrem überaus mythischen Weltbild allzu viel geändert hat. Das wäre ein wirklich interessantes Thema jenseits der Schlagzeilen-Gier. Und dann wäre vielleicht noch die Frage nach der von Precht angesprochene Phase des rationalen Weltbildes: Wann genau soll die historisch existiert haben?

Eingebetteter Journalismus und seine Doppelmoral

#islamismus #kalifat #socialmediabashing

Youtube, Facebook und auch Twitter haben in den letzten Tagen und Wochen einiges abbekommen (in den alten, den normalen Medien), was Fragen der Ethik betrifft. Vor allem bei Facebook wurde höhnisch auf die Doppelmoral des Zuckerberg-Unternehmens hingewiesen: harmlose Nacktheit wird sofort ansatzlos gelöscht, widerlich radikalislamische Gewalt nicht, da greife die Freiheit der Meinungsäußerung. Wie zynisch.

Reportagen wie diese, die direkt aus der Kampfzone der IS-Kalifen berichten, müssen sich hingegen keiner Medien-Kritik stellen. Sie sind mittlerweile klassischer embedded journalism, folgen selbstverständlich weitgehend der Logik der Objekts der Berichterstattung (weil sie ja deren Perspektive einnehmen). Erfunden haben's die westlichen Militär-Propagandisten, die Djihadisten können's aber mittlerweile genau so gut. Die dort auftauchenden Bilder sind wenig blutig, sondern eher paintballmäßig-aufregend.

Ich bin jetzt nicht sicher, wo sich der propagandistische Hintergrund besser ausleben und durchsetzen kann: in rohen Einzelvideos, die (je nach Verfasstheit der User) ebenso entsetzen wie aufgeilen können, oder in einer geschönten, professionell medial gesetzten Version, die genau das zeigt, was eine Kriegspartei will.
Sicher ist nur, dass die Ungleichgewichtung in der Behandlung und öffentlichen Debatte mehr mit dem Kampf um die Deutungshoheit der alten Medien zu tun haben, als mit wahrhaftiger Entrüstung über gefährdende Inhalte. Womit die angeprangerte Doppelmoral auf diesem Weg direkt auf die Prangerer zurückfällt.

Österreich-Bild

#niederösterreich

Gefunden, gesehen, gehört, gelesen hab ich all das am Wochenende in Niederösterreich, wo die NÖN das Land regiert, medial gesehen. Und da war so ein Bild auf Seite 18 der aktuellen Landeszeitung: da lachen der VP-Klubobmann, der Theater-Prinzipal und der Landeshauptmann um die Wette; ungestelzt geschnappschusst, muss ein guter Witz gewesen sein. Es ist ein erschreckendes, furchteinflößendes Bild, das eine unheilige Allianz signalisiert. Auf den ersten Blick.

Der Prinzipal hat, nachdem man ihn anderswo nicht (mehr) wollte, ein Angebot aus NÖ angenommen und führt seine Alma, die schon in L.A., Berlin, Lissabon oder Venedig zu sehen war, jetzt in Neustadt auf.

Dass sich der Prinzipal dafür in Posen und in Medien widerfindet, die er sonst nur mit der Feuerzange der Verachtung angreift, liegt in der Natur seiner Rolle (letztlich geht es auch hier darum, einer prekären Situation zu entkommen) und ist ihm nicht zum Vorwurf zu machen.
Ebenso wenig wie dem Landeshauptmann, dessen einzige private Kulturleistung das Lesen des Schatz im Silbersee darstellt, der sich aber als Zurverfügungsteller und staatlicher Mäzen als Zoon politikon reinsten Wassers präsentiert. Wie auch in gar nicht so wenigen anderen Fällen. Auf den zweiten Blick wäre es also noch furchtbarer, wenn es Bilder wie das erwähnte gar nicht geben würde.