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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

18. 8. 2014 - 02:16

Gamescom, gestopft

Nerd- und Geek-Kultur sind Mainstream geworden. Auf der Gamescom in Köln gehen die unzähligen Besucher/innen auf knappste Tuchfühlung. Sie sind gekommen, um zu spielen.

Ab Freitag wird es erwartungsgemäß eng bei der Gamescom, erzähle ich immer gerne, wenn mich jemand fragt, wie es denn bei der größten europäischen Publikumsmesse für Computer- und Videospiele so zugeht. Doch diese Information ist seit circa zwei Jahren eigentlich überholt, denn der Run in die Messehallen beginnt mittlerweile schon am Mittwoch, dem Pressetag. Dort sollte zwar theoretisch nur Fachpublikum zugelassen sein, allerdings fangen die Veranstalter die überbordende Vorfreude schon im Vorfeld etwas ab und lassen eine geringe Anzahl an regulären Besucher/innen schon am Mittwoch, also vor dem ersten offiziellen Tag, aufs Gelände.

Viele wartende Menschen vor dem Einlass der Gamescom 2014.

Robert Glashüttner

Auch, wenn sich Nerd- und Geekgemeinschaften weiterhin gerne als seltsame Außenseiter definieren und Videospielkultur im Allgemeinen oft immer noch in einer merkwürdigen Parallelgesellschaft stattfindet: über die stattliche Anzahl und die gesellschaftliche Relevanz der Digitalspielfreund/innen besteht kein Zweifel mehr. Die Machtverhältnisse haben sich durch die schiere Menge an zumeist jungen Fans verschoben, sodass das ehemals Schrullige zur Norm geworden ist. Statt schüchtern ist man nun stolz, wirft sich in sein neuestes Cosplay-Kostüm und schwingt zuversichtlich die realpixeligen "Minecraft"-Schwerter aus Schaumstoff. Den ehemals mit abschätzigen Sprüchen ausgestatteten Normcore-Leutchens ist die Oberhand abhanden gekommen, oder sie haben inhaltlich ohnehin längst umgeschwenkt. Denn nie war Bro sein so schön, wie mit dem neuesten "Call of Duty" oder "Battlefield" anno 2014.

Zwischen den Riesen

Von Jahr zu Jahr werden die Stände der großen Verlage umfangreicher, steigern mit noch lauteren Präsentationen den Lärmpegel in den vier Haupthallen in ungeahnte Höhen. Hauptsächlich kommt man auf die Gamescom, um die kommenden Spiele auf diesen Riesenständen vorab mal zehn Minuten spielen zu können. Für diese Gelegenheit nehmen viele Besucher/innen oft Wartezeiten von bis zu vier Stunden in Kauf.

Wer nicht nur spielen will, wartet stattdessen auch mal auf seinen Lieblings-Youtuber bzw. Let's-Player - diese Plapperpersönlichkeiten werden auf Gamescom-Plakaten mittlerweile so protzig angekündigt wie Bands auf einem Festivalposter.

Gamedesigner Hideo Kojima auf einem großen Screen.

Robert Glashüttner

Für sein neuestes Spiel konnte man sich dieses Mal noch nicht anstellen. Hideo Kojimas fünfter Teil von "Metal Gear Solid" wurde gerade erst angekündigt.

Retro und Not Retro

Ein bisschen ruhiger geht es nur in den zwei Ebenen von Halle 10 zu, wo es neben einigen langen Reihen an Anime- und Japan-Pop-Merchandise-Verkaufsständen auch etwa den Retrobereich gibt. Dieser wird traditionell vom langjährigen Games-Sammler René Meyer aus Leipzig betreut. Dieses Mal hat er besonders viele Vereine und Clubs aus unterschiedlichen Orten in Deutschland eingeladen, um Teile ihrer Sammlungen zu präsentieren. Man sieht übliche und unübliche alte Geräte von damals, und es gibt natürlich auch jede Menge Möglichkeiten, die Spiele von damals selbst anzutesten.

In den Retrobereich reingeschmuggelt haben sich zusätzlich dazu die fantastischen Neuinterpretationen alter Klassiker vom Hobbyentwickler-Duo Stabyourself. Hier gehorcht das Labyrinth aus "Pac-Man" plötzlich physikalischen Gesetzen und es wird in beide Richtungen stufenlos mit einem Lenkrad gedreht. Nebenan spielt man "Tetris" (oder besser "Not Tetris") mit frei herumfliegenden Steinen, und "Super Mario Bros." wird mit praktischen Portalen aus "Portal" ergänzt. All das passiert völlig unkommerziell, ist im Netz spielbar und pfeift auf jegliche Copyrightfragen. Stabyourself-Titel liefern schlaue Interventionen in die über Jahrzehnte konditionierte Wahrnehmung großer Games-Meilensteine, die zwar ähnlich aussehen, aber völlig andere Spiele sind.

Jugendliche spielen Games des unkommerziellen Labels "Stab Yourself," darunter eine Abwandlung von "Pac-Man", wo man den Bildschirm mit Hilfe eines Lenkrades fließend in beide Richtungen drehen kann.

Robert Glashüttner

Nur scheinbar alt: Die schlauen Retro-Interpretationen von Stabyourself.

Abteilung Indie

Ebenfalls in Halle 10 befindet sich der Indie Megabooth, ein ambitioniertes Projekt aus den USA, wo sich einige unabhängige Spieleentwickler mit ihren jeweiligen Games zusammentun, um gemeinsam (günstig) ausstellen zu können. Der Stand besteht aus vielen kleinen Einzelständen, beherbergt insgesamt 36 Spiele und ist ziemlich groß bzw. lang. Von Indie-Entwickler/innen erwartetet man oft besonders kreative Einfälle und ein gutes Gespür für visuelles Design und charmante Basteleien aller Art. Das ist beim Megabooth allerdings kaum vorhanden, die Stände reihen sich verblüffend konventionell aneinander. Heraussticht allerdings die eigens für die Gamescom bzw. die Indie Megabooth produzierte Sonderpublikation "Independence Amazing", herausgegeben vom A MAZE.-Festivaldirektor Thorsten Wiedemann, die als schicke Zeitung für lau aufliegt.

Die Zeitung "AMAZE INDEPENDENCE AMAZING" liegt in mehrfacher Ausführung auf einem Tisch.

Robert Glashüttner

Zwei Jugendliche spielen das Game "SpeedRunner".

Robert Glashüttner

Abhängen an einem der vielen Stände des Indie Megabooth.

Außerhalb von Halle 10 und abseits des Business-Bereiches wird es ab spätestens Freitag besonders dicht gedrängt. Wer nicht schon vorab lange Wartezeiten einplanet und von unfreiwillig engem Körperkontakt ausgeht, wenn es nur mal darum geht, von einer Halle in die nächste zu wechseln, hat schon verloren.

Aber auch in den "großen" Hallen gibt es Ungewöhnliches zu sehen, und sogar einen weiteren Indie-Games-Sammelstand - in Form der "Indie Arena". Hauptorganisator Oliver Eberlei hat, wie bereits im Vorjahr, rund ein Dutzend aktuelle, kleinere Games aus dem deutschsprachigen Raum zusammengetragen und präsentiert sie in einem ungewöhnlichen, sehr netten Ambiente, bestehend aus offen zugänglichen Holzverbauten, die man nach Herzenslust bemalen kann.

Thomas Bedenk in der Indie Arena: bemalte Holzstände, wo aktuelle Computerspiele von unabhängigen Entwicklern gezeigt werden.

Robert Glashüttner

Thomas Bedenk präsentiert sein (Meta-)Spiel "Team Indie" auf der Indie-Arena.

Langsames Zusammenwachsen

Die Trennung zwischen großen Produktionen und dem Off-Computerspiel ist sowohl für ihre Gestalter/innen als auch für die Konsument/innen weiterhin relevant um Identifikation und Zugehörigkeit zu schaffen und Aufmerksamkeit zu wecken. Dennoch scheint es so, als ob es immer weniger ein Entweder/Oder ist sondern mehr ein befruchtendes Nebeneinander. Trotz sinnvoller Communities und Zusammenschlüsse kleiner Entwicklerstudios wird die Segregation von allem, was "Indie" ist, mit dem, was meist als "Triple A" bezeichnet wird, zunehmend sinnlos. Menschen begreifen auch so, das kleinere Studios sich leichter tun, unkonventionelle Spielideen umzusetzen und andersartige Geschichten zu erzählen, wohingegen große Teams besser die Basis für umfassendere und technische herausragende Spielerlebnisse schaffen können.

"Below" etwa, das kommende Spiel von Capybara Games (das bereits in der vorigen fm4.ORF.at-Geschichte hier kurz vorgestellt wurde), wird sowohl am Indie Megabooth präsentiert als auch im Xbox-Bereich des Business Center gezeigt. Diese übergreifende Vorstellung macht Sinn, erweitert die Zielgruppe und macht die oftmals dogmatisch geführte Schubladisierung von Computerspielen in bestimmte Entwicklungsideologien zunehmend obsolet. Zeit, auch die eigenen Scheuklappen abzulegen.

Gamedesigner Nathan Vella vor einem Screen, der das Game "Below" darstellt.

Robert Glashüttner

Kurz vor Dienstschluss, zufrieden: Nathan Vella von Capy Games mit "Below".