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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 8. 2014 - 01:59

Schminke schmilzt

Musikrundschau vom FM4 Frequency, Samstag: Bear Hands, die Kooks, Editors, Placebo.

Ein Raumgleiter dürfte gelandet zu sein. Und damit ist nicht das orangene UFO gemeint, das als eine Art Logo des Festivals dient und so beispielsweise prominent die Main Stage ziert. Auf der Bühne stehen, rübergebeamt aus anderer Dimension, vier verrückte Japaner, also so japaner-mäßig verrückt, und spielen am Samstagnachmittag eine weird vertrackte Krachmusik.

FM4 Frequency 2014

Bilder, Reviews, Videos: Das war das FM4 Frequency 2014 - Ein handlicher Überblick über das Geschehen

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Bo Ningen, kennt wieder mal kein Mensch, ursprünglich aus Tokio, mittlerweile längst in London ansässig nudeln sich, weltvergessen, vermutlich ahnungslos, wo sie sich gerade befinden, eine schöne Sauce aus Noise, Punk, Psychedelik und Krautrock aus den Instrumenten. Verwirrend, verstörend, man wird sich in Folge noch mehr solche Bands wünschen wollen, die von der eigenen Musik elektrisiert, in Trance versetzt und aus dem ewigen Ablieferungs-Zwang und Funktionierungsdiktat geworfen scheinen, Nur ein besonders glücklicher Zufall kann Bo Ningen zu uns geführt haben.

bo ningen

Patrick Wally / FM4

In der Weekender Stage ist um 16 Uhr eine Band zu sehen, die ebenfalls in der Aufmerksamkeitssphäre von wesentlich mehr Menschen gelangen sollte. Eine Band nämlich, die interessante, gewitzte, gar schon unter dem Verdacht, irgendwie "modern" zu sein, stehende Musik fabriziert. Bear Hands. Das Quartett aus Brooklyn macht Musik, die so ähnlich klingt wie es Bandname und Wohnort schon so in etwa nahelegen würden

bear hands

Patrick Wally / FM4

Eine eigene Deutung und Neuverramschung ziemlich vieler Hip-Musiken, die in den letzten 10 Jahren im Band-Format inklusive Gitarre zu haben gewesen sind: Hibbelig-nervöser Art-Rock, der die Talking Heads hochhält, geklöppelter Dance-Punk, der die Band !!! gerne mag. Bubblegum-Psychedelia aus dem Synthesizer in Nachbarschaft zum ersten Album von MGMT, näselnde, von Paranoia geplagte, knackige Schmerzrocknummern wie beispielsweise von den Antlers, da und dort Flirts mit Afropop und Calypso.

Man merkt schon: Hier wird nicht unbedingt die Weltformel destilliert, Bear Hands glückt jedoch eine spaßiges, kleinteiliges Update und eine Aneignung von Styles, die zumindest gestern noch halbfresh gewesen sind.

Danach wird es am Samstag programmtechnisch etwas bitter, bzw. eben gerade nicht - sondern zu lieb, beliebt und beliebig. Es gilt Bands zu erleben, brav, manche gut, souverän, Garanten und Magneten, Ausschussware und Lückenbüßer. Egal, tun keinem Menschen weh, außer genau deshalb. Keine Brandstifter und Risikojongleure. Pete Doherty ist bekanntermaßen zuhause geblieben.

Die deutsche Band Gloria, das Projekt von einem Viertel Wir sind Helden und der Fernseh-Personality Klaas Heufer-Umlauf, hat gefühlig-erdigen Deutschrock im Gepäck, der die Poetik des Herbert Grönemeyer als großen Inspirationsspender begreifen dürfte. Selbstredend: Solide gemacht, "lässig", sympathisch, und Heufer-Umlauf kann das auch: So richtig singen-singen und bedeutsam-singen. Musik für die Stunden, in denen Revolverheld zu wenig krass geworden ist. Popakademie 4 Life.

klaas von gloria

Franz Reiterer / FM4

Gogol Bordello reiten den Gag vom "Gipsy Punk", vom durch allerlei Weltmusikalisches und Folkloristisches aufgeladenen Revolution Rock und der unbändigen, trinklustigen "Lebensfreude", der vor ein paar Jahren kurz, ganz kurz, lustig gewesen ist, unerbittlich. Demnächst als Hochzeitskappelle. Der australische Musiker und Produzent Benjamin Stanford versucht mit seinem Projekt Dub FX Beatboxing, manipulierte Stimme und Dubstep unter einen Hut zu bringen. Demnächst in Ihrer Fußgängerzone.

Da kann man die Gruppe Editors fast schon als Höhepunkt sehen. Die englische Band weiß, dass es beim Image-Engineering manchmal durchaus zielführend sein kann, in engen Bahnen zu denken. Eine Idee streng ausformulieren. So verwaltet die Band das Erbe von Trübsal-blasendem Postpunk und schwarzgrauem Wave schon über einige Jahre und vier Alben mit einigermaßen sicherem Händchen. Joy Division, Echo & the Bunnymen, mal zackig tanzbarer, mal synthesizer-schwelgerisch angelegt. Da und dort spritzen die Editors mit der dünnen Nadel Extrakte aus dem Pathos von U2 zu. Viel weiter wird der Radius nicht gezogen. Mal glücken bessere Songs, mal schlechtere.

tom smith von den editors

Franz Reiterer / FM4

So ist ein Auftritt der Editors schon in seiner Anlage durchwachsen. Die Editors arbeiten zuverlässig und schäkern mit dem Publikum. Visionen werden anderswo gesponnen. Finster herannahende Wolkenwände nutzt Frontmann Tom Smith als Anlass, um mit einem zugekniffenen Auge mit dem schwarzgewandeten Renommee seiner Band zu kokettieren: "Feels Like the End of the World – I like it." Mittlerweile sind die Editors schon zur eigenen Retro-Veranstaltung geworden. Sie muss halt weiterlaufen und tut es.

Danach hat man die Wahl zwischen Travis, auf der Green Stage, und den Kooks, auf der Main Stage. Gedankenpause. Wer es nicht glauben mag: Die Kooks retten die Nacht. Festival - das kann eben auch bedeuten, dass einen, wenn man ein bisschen offen für eine mögliche Verzauberung ist, eine bestens gelaunte, aufgekratzte, beschwingte Band, mit der man für gewöhnlich, bedingt durch die Wahrnehmung aus dem Elfenbeinturm, draußen in der öden Selbstherrlichkeit, nicht gar so viel am Hut hat, doch noch kriegen kann. Frontmann Luke Pritchard hat das weltbeste Juckpulver in der Hose. Eine Band, der man auch eine abgehalfterte Zeile wie "I Know You Wanna Make Love To Me" gerne abnimmt.

the kooks

Franz Reiterer / FM4

Der Headliner auf der Main Stage ist eine Band, die seit Jahren von dem Umstand lebt, dass sie willkürliche Klischees und Posen des Glam, des Rockstar- bei gleichzeitigem Outcast-Sein, des Drogenschicks und der Ambiguität zu einem für sich allein genommen völlig nutzlosen Passepartouts aneinandernagelt. Man kann sich als Hörerin und Hörer so leicht selbst hineinimaginieren. Placebo bieten für alle Begehrlichkeiten des Schmerzens die leere Projektionsfläche, den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ideen von Androgynität und Ambivalenz inszenieren Placebo als ihre unverrüttelbare Marke, als Tauschwert, ohne Brisanz, aufgeschminkt.

Fotos von Placebo folgen.

Placebo erscheinen und spielen - anders als vor zwei Jahren, als sie mit einer krankheitsbedingten Absage von der Bühne herab das Wort "kurzfristig" neu definierten - ihre Lieder. Sie heißen beispielsweise "Every You, Every Me" oder "Special K", wobei das "K" im Songtitel hier nicht für "Kasteiung" stehen dürfte.

Ein Auftritt gilt als gelungen, wenn nichts Schlimmes passiert. Wenn er funktioniert. Irgendetwas ist dennoch faul. Der Vibe ist nicht gut - und nicht auf eine Weise "nicht gut", die Placebo für gewöhnlich eventuell als begrüßenswerte Weltsicht interpretieren würden. Kurzfristig scheint Frontmann Brian Molko ernsthaft angepisst. Das Publikumsaufkommen erinnert in seiner Kargheit an das Konzert der Queens of the Stone Age zwei Tage davor.

Der Mensch strebt nach Wiederholung und will das Punk-Rock-Gefühl erleben, indem er die Lieder, die er kennt, von einer Band mit Kajal-gerandeten Augen vorgespielt bekommt. Deshalb werden Placebo in zwei Jahren, spätestens, bei aller Ernüchterung vielleicht doch wiederkehren. Die Pubertät ist ein Ritual, das man sich nicht ausgesucht hat.