Erstellt am: 14. 8. 2014 - 11:56 Uhr
Whistleblower: "NSA hat sich selbst ausgeschaltet"
Das auffällige Versagen der US-Nachrichtenaufklärung im Nordirak wie auch beim Militärcoup Russlands auf der Krim ist nach Ansicht des NSA-Veteranen William Binney nicht auf Fehler zurückzuführen, sondern systembedingt. "Die Geheimdienste haben sich selbst operativ ausgeschaltet, indem sie einen solchen Overhead an Daten sammeln, die wiederum einen Wildwuchs an Analysten, Technikern und Verwaltung zur Folge hatten. Für Geheimdienstarbeit braucht es dagegen ständige Fokussierung und die haben sie abgeschafft", sagte Binney am Dienstag zu ORF.at.
"Was mit dieser Sammelwut betrieben wird, ist keine Geheimdienstarbeit sondern Forensik. Da wird im Nachhinein versucht, einen Tathergang möglichst genau und umfassend zu rekonstruieren. Bei Nachrichtenaufklärung dreht sich dagegen alles darum, Ereignisse möglichst bald voraussagen zu können", so der Mathematiker und Kryptologe weiter. Binney hatte in leitender Funktion über 30 Jahre lang Nachrichtenaufklärung für die NSA betrieben, momentan ist der hochrangigste aller bisherigen "Whistleblower" für Dreharbeiten zu Besuch in Wien.
Der Nordirak und die Krim
Aktuell dazu im ORF
Auch im Fall der in die Berge geflüchteten Jesiden im Nordirak konnten die US-Dienste offenbar keine verlässlichen Daten liefern. Eine Rettungsaktion wurde am Donnerstag abgeblasen, als sich herausstellte, dass sich dort weit weniger Flüchtlinge aufhalten, als wochenlang angenommen worden war.
Im Fall der Krim wurden die USA und die gesamte NATO klar auf dem falschen Fuß erwischt. Man reagierte erst, nachdem die ukrainischen Militärbasen dort schon von den Separatisten eingenommen worden waren. Das kurz danach abgehaltene Referendum zur Angliederung der Krim an Russland unterstrich dann nur den neuen Status Quo, vollendete Tatsachen wurden jedoch schon in den Monaten davor geschaffen.
Der Eroberungsfeldzug der ISIS-Terroristen wiederum wäre nach Ansicht Binneys besonders einfach zu erkennen gewesen, da die USA über die weltweit weitaus größte Flotte an Aufklärungssatelliten verfügen. "Alle 90 Minuten fliegt einer dieser Satelliten, die bis auf den Zentimeter genaue, hochauflösenden Bilder liefern, über den Nordirak", so Binney weiter. Wolle man noch genauer wissen, was dort vor sich gehe, so ließen sich weitere Satelliten auf dasselbe Terrain scharfstellen.
Friedrich Moser/blueandgreen
Tatsächlich ist es schwer erklärbar, warum die USA in beiden Fällen tatenlos zusehen mussten, wie die Situation in zwei wichtigen Staaten eskalierte, die bis dahin unter ihrem Einfluss standen. Neben den Spionagesatelliten verfügen sie auch über Zugriff auf die meisten Glasfaserkabel rund um die betreffenden Gebiete. Zudem werden über das weltumspannende Netz von Stationen des Echelon-Systems große Teile des Datenverkehrs und der Telefonate über diese beiden Regionen abgegriffen. Dass dennoch niemand Alarm geschlagen hatte, verwundert Binney nicht.
Die Sat-Spionagestation Königswarte an der Grenze zur Slowakei gehört zwar offiziell dem Bundesher. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist sie aber mit der Schweizer Onyx-Station und der BND-Anlage in Bad Aibling gekoppelt und damit Teil des Echelon-Systems der NSA
"Für Prognosen unbrauchbar"
"Vor genau diesem Problemen habe ich meine Regierung jahrelang gewarnt, was leider vergeblich war", sagte Binney, "Durch den wahllosen Abgriff aller Daten, deren man habhaft werden kann, werden die Analysten unter Datenbergen förmlich begraben. Einen großen Teil der Ressourcen verschlingen schon einmal Akquise, das Management und Speicherung der Daten, weil ja alles so lange wie möglich aufgehoben wird." Das neue NSA-Datencenter in Bluffdale Utah und der Ausbau in Ft. Meade zeigten den ungeheuren Aufwand, der betrieben werde, um Daten zu speichern, die für aktuelle Einschätzungen und Prognosen völlig unbrauchbar seien, sagte Binney.
"In Zeiten in denen der Speicher für ein Terabyte an Daten gerade einmal so groß wie ein Daumen ist", werden da hunderttausende Quadratmeter an Datencentern gebaut, in denen die gesamte Weltkommunikation für zig Jahre gespeichert werden könnte. Doch dabei bleibt es offenbar nicht, denn es sind weitere Programme neu angelaufen, die Daten aus Facebook und anderen sozialen Netzwerken sammeln. Zu glauben, dass man über diese unvorstellbaren Datenmengen Analysenmechanismen laufen lassen kann, die automatisch zu irgendwelchen Erkenntnissen führen, ist mehr als nur naiv, das ist schlicht dumm."
Friedrich Moser/blueandgreen
30 Jahre NSA
Der Mathematiker und Kryptologe William Binney weiß, wovon er spricht, denn seine Warnungen datieren in die Mitte der 90er Jahre. Binney war damals technischer Direktor einer der wichtigsten Abteilungen der NSA, nämlich der "World Geopolitical and Military Analysis Reporting Group", die 6.000 Analysten koordinierte. Am damaligen Höhepunkt seiner Karriere hatte er bereits 30 Jahre beim Geheimdienst hinter sich.
Aktuell dazu in Ö1
Die wenigsten Länder Europas haben den Schutz von Whistleblowern gesetzlich verankert, wer also "die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd". Das hat in jüngster Vergangenheit auch der Fall Edward Snowden gezeigt. Matrix über Whistleblower, Sonntag 22.30 Radio Ö1
Nach fünf Anfangsjahren bei der "Army Security Agency" wurde er 1970 in die NSA geholt und legte dort als Codebrecher und Analyst einen rasanten Aufstieg hin. Damals war klarerweise die Sowjetunion das primäre Ziel aller Aktivitäten und Binney war bald einer der wichtigsten Russland-Spezialisten.
Datenminimierung und Moore's Law
Bei dem im Vergleich zu heute lächerlich geringen Datenaufkommen der analogen Zeit ließen sich hohe Anteile des gesamten Weltverkehrs nicht nur abgreifen, sondern auch analysieren. Mit dem Aufstieg des Internets zum Medium für Weltkommunikation Beginn der 90er Jahre änderte sich die Situation jedoch rasant und die in der analogen Zeit gebräuchlichen, umfassende Abgriffsmethoden erwiesen sich als nicht weiter anwendbar.
Unter Binneys Direktorat entstand ein neues Analyseprogramm namens "ThinThread", wie schon der Name sagt, war Datenminimierung oberstes Ziel. Hier trafen von Moore's Law angefangen gleich mehrere Faktoren zusammen. Die aus den 60er Jahren stammende Erkenntnis, dass sich die Komplexität von Prozessoren - das heißt ihre Leistung - etwa alle 18 Monate verdoppelte, wurde gerade während der 90er Jahre noch unterstrichen.
Datenexplosion
Die erste Explosion des Datenverkehrs im Internet hatte sich lange vor dem Aufkommen der WWW genannten grafischen Oberfläche Ende der 80er Jahre ereignet. Mit dem WWW stieg dann der Anteil an unbrauchbaren Daten nichtlinear an, andererseits wurden Daten aus den Telefonienetzen durch deren Digitalisierung viel einfacher zu verarbeiten.
"Wir haben uns daher bei 'Thin Thread' auf den Abgriff ausschließlich jener Metadaten konzentriert, die für die Analyse brauchbar waren, alles andere wurde sozusagen im Flug weggeschmissen. Inhalte von Kommunikationen griffen wir gar nicht erst an. Damit wir rechtlich auf der sicheren Seite waren, wurden dabei abgefangene Daten amerikanischer Herkunft pseudonymisiert, das zugehörige personenbezogene Datenmaterial war zwar verknüpft aber verschlüsselt gespeichert. Erst wenn sich ein konkreter Verdacht gegen den Anschlussinhaber ergab, wurde die Verschlüsselung aufgehoben."
"Kronjuwelen für Contractors"
Noch vor der Jahrtausendwende sei "Thin Thread" bereits soweit entwickelt worden, dass es möglich war, aus Glasfaserkabeln abgezapfte Datenmengen so weit "einzudampfen", dass jene Kommunikationen isoliert werden konnten, hinter denen man her war, erzählt Binney. Das Programm war kurz davor in der Praxis eingesetzt zu werden, doch dann kam alles anders.
Friedrich Moser/blueandgreen
"1999 hatte der damalige NSA-Direktor Michael Hayden mit dem Outsourcing begonnen. Von Hard- und Software angefangen wurde die IT und schließlich die gesamte Infrastruktur an Vertragsfirmen ausgelagert. Man gab also die Kronjuwelen her, um mit den Contractors rundherum eine Art Imperium zu errichten. Diese inzestuöse Beziehung zwischen dem Geheimdienstsektor und den Vertragsfirmen hat die späteren Enthüllungen Edward Snowdens erst ermöglicht.", sagte Binney.
Der NSA-Dienstweg
Die weitere Karriere des bis 1996 amtierenden NSA-Direktors Mike McConnell widerspiegelt das "inzestuöse" Verhältnis zwischen der NSA und ihren Vertragsfirmen besonders eindrucksvoll
Nach seinem Ausscheiden aus den Diensten der CIA war Snowden bekanntlich als Angestellter einer der größten Vertragsfirmen der NSA mit dem erklärten Ziel zurückgekehrt, geheime Dokumente abzugreifen. Am weiteren Schicksal der Person Bill Binney zeigt sich auch, wie verlogen diejenigen Politiker und Geheimdienstleute argumentieren, die Snowden Verrat vorgeworfen hatten, weil er nicht den Dienstweg sondern den an die Öffentlichkeit gegangen war.
Im Rahmen des umfassenden Outsourcing-Programms war offenbar soviel Geld vorhanden, dass sich Hayden gegen die fertige Eigenentwicklung ThinThread entschied. Stattdessen favorisierte Hayden zwei andere Programme, nämlich "Traiblazer" und "Stellar Wind", die von Vertragsfirmen vorgeschlagen worden waren.
Am Ende des Dienstwegs
Die Eingaben Binneys und seines Mitstreiters Kirk J. Wiebe wurden intern solange ignoriert, bis sich beide an das zuständige Senatskomitte zur Aufsicht der Geheimdienste wandten und die Geldverschwendung krisierten. "Trailblazer" und "Stellar Wind" unterschieden sich von Binneys Programm insofern, dass sie Milliarden kosteten und nur als Konzepte existierten. Ziel beider Programme war das Gegenteil von Datenminimierung, ihr Design war ein "All you can eat"-Konzept.
Erst in der vergangenen Woche hatte CIA-Direktor John Brennan überraschend eingestehend müssen, dass die Computer des Senatsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste von CIA-Agenten überwacht worden waren.
Die Antwort des Direktors war, dass beide internen Whistleblower von NSA-Direktor Hayden als Verräter bezeichnet wurden. Binney verlor seinen Posten als technischer Direktor, Wiebe wurde eine Beförderung wieder aberkannt. Die Situation wurde intern so unerträglich, dass beide kurz nach den Anschlägen auf das Worldtrade-Center ihren Abschied nahmen.
Aufklärung mit Verspätung
Erst in der Nacht auf Donnerstag - also mit wochenlanger Verspätung - hatte die US-Nachrichtenaufklärung Fakten und Zahlen über die vom Genozid bedrohten Jesiden im Nordirak liefern können. Eine von Präsident Barack Obama tags davor groß angekündigte Rettungsaktion mit Bodentruppen wurde daraufhin wieder abgeblasen. Es hatte sich herausgestellt, dass den meisten Eingeschlossenen bereits davor die Flucht gelungen war.
Wie Binney und vier andere Whistleblower nach ihrem Ausscheiden aus der NSA verfolgt und finanziell ruiniert wurden folgt am Sonntag im zweiten Teil.