Erstellt am: 13. 8. 2014 - 12:23 Uhr
Spielekonferenz in Köln
Die ersten zwei Tage der Gamescom-Woche sind meistens die besten. Ich habe nie verstanden, warum nicht mehr Journalisten die Spieleentwicklerkonferenz GDC Europe besuchen. Im Vergleich zum Trubel der Gamescom - sowohl in der "Business Area" und natürlich im Publikumsbereich - sind der Montag und der Dienstag die einzigen beiden Tage, wo man Entwicklerinnen und Entwicklern in einem ruhigen, entspannten und vergleichsweise, ja doch, intimen Rahmen begegnen kann.
Die Gamescom 2014 auf fm4.ORF.at:
Sicher, zwei Drittel der Vorträge beschäftigen sich mit Programmier-, Artwork- oder Vermarktungsaspekten und sind damit für nicht darauf spezialisierte Medienmenschen nur mäßig interessant. Doch die Design-Vorträge, Post Mortems (Analyse des Werdegangs eines Spieles nach seiner Veröffentlichung), persönlichen Präsentationen und Meta-Diskussionen sind auch jedes Jahr verlässlich vorhanden. Ein ratloses Herumstehen überforderter Redakteure ist mir in den sechs Jahren GDC Europe noch nicht untergekommen.
Kleine Welten, große Wunder
Ein erster Höhepunkt, nicht nur für Spielemacher, war der Vortrag des in London arbeitenden Designers Ken Wong. Er hat das wundersame "Monument Valley" erdacht, das uns seit April diesen Jahres mit unmöglicher Architektur, fantastischem Artwork und verschlungenen Pfaden begeistert. "Monument Valley" ist spielerisch sehr reduziert und besteht darin, mit einfachen Fingertappern das jeweilige architektonische Konstrukt zu ergründen und zu manipulieren.
Entwicklerinnen und Entwickler sollten sich mehr trauen, zu grundlegenderen Interaktionsmöglichkeiten zurückzugehen, meint Wong. Keiner sei etwa gezwungen, die in mobilen Games oft verwendeten Wettbewerbs- und Perfektionselemente wie Leistungsbewertungen (ein bis drei Sterne) oder Achievements zu implementieren. Sich auf "pure joy" zu konzentrieren wäre oft die bessere Lösung.
Robert Glashüttner
Mit allem abrechnen
Es gibt den Typ (ehemaliger) britischer Games-Journalist, männlich, schlau, popkulturell vielseitig gebildet, leicht arrogant und chauvinistisch und so wirkend, als wäre er mit sich und der Welt selten im Reinen. Das renommierte Fachmagazin EDGE ist das Hauptbiotop dafür, Beispiele sind etwa Steven Poole oder Kieron Gillen, letzter der Quasi-Begründer des sogenannten "New Games Journalism". Mein Verhältnis zu diesem Typ Spielejournalist ist gespalten: So gerne ich die meist reflektierten und wohltuend kompromisslosen Texte dieser Autoren lese, so sehr kann das Gehabe der jeweiligen Person dahinter nerven.
Ste Curran fällt zur Gänze in diese Kategorie. Er betont gerne, wie sehr ihm diese ganze Spielekiste eigentlich missfällt, wie penetrant und tumb die Industrie und die dazugehörige Kultur wären und wie man die Schnauze eigentlich voll hätte. Nur, naja, am Ende des Tages ist das ja doch mit großem Abstand jenes Feld mit dem er sich am besten auskennt und das ihm einen Hauch von Popglamour verschafft, und sei es nur innerhalb der geschassten Videospiel-Communities. Das ist ja schon auch nett und bringt außerdem genug Geld um zufriedenstellend über die Runden zu kommen.
Sarkasmus beiseite: Kritiker wie Curran haben selbstverständlich eine wichtige Funktion. Sein Vortrag auf der GDC Europe, der bereits davor auf der Nordic Game im Mai debütiert hat, rechnet mit allem ab, was dem "Gamer" und der Games-Industrie hoch und heilig ist. Weil Ste Curran sich auch mit Dramaturgie und Bühnenpräsenz beschäftigt, ist sein Vortrag gleichzeitig ein Theaterstück, eine Geschichte über die personifizierte, sterbende Spieleindustrie. Nun ist er auf der Suche danach, wer sie getötet haben könnte und findet gleich 100 Tatverdächtige.
Robert Glashüttner
Love for you, love for games
Zuerst die Ausbildung, dann das körperliche und partnerschaftliche Vergnügen - so oder so ähnlich tönt es oft von Erziehungsberechtigten. Liebe, Lust und Libido können einem schon ordentlich den Kopf verdrehen - bleibt dann noch Zeit und Muße für das Eintauchen in viel Arbeit? "Ja" ist die klare Antwort von Claudia Molinari und Matteo Pozzi. Die beiden waren zuerst nur Arbeitskollegen, jetzt sind sie auch ein Liebespaar, und haben sich vor kurzem sogar dazu entschlossen, unter dem eingängigen Namen We Are Müesli Visual Novels und Interactive Storytelling zu betreiben.
Gestritten wird schon hin und wieder, so die Antwort auf das neugierige Publikum im Entwicklerpärchenvortrag, aber oft arbeitet man sowieso seperat an verschiedenen Dingen und würde sich so nicht ständig im Weg sein oder aneinander kleben. Außerdem hätte man verschiedene Hobbys. Dass Liebespaare oft gute Gamedesign-Teams sein können, wird vielfach unter Beweis gestellt, man denke nur an Tale of Tales, die Northways oder einige andere, die von den Müeslis extra dafür interviewt worden sind.
Robert Glashüttner
Future Cloud, Macht der Crowd
Natürlich ist die GDC Europe in erster Linie eine Fachkonferenz, bei der es im Endeffekt darum geht, wirtschaftlich erfolgreiche Produkte und Unternehmen hervorzubringen. Dementsprechend hoch ist auch der Bullshit-Bingo-Faktor, wenn man es darauf anlegt: Cloud, Crowdfunding, Free-to-Play-Monetarisierung, you name it. Aber auch beeindruckende und vor allem unterhaltsame technische Innovation gibt es zu sehen - noch dazu aus Österreich. Cyberith, jene Firma, die mit dem "Virtualizer" eine besonders aufwendige Bewegungssteuerung für den ganzen Körper konzipiert hat, präsentiert sich mit einem eigenen Vorführstand auf der GDC Europe in Köln.
Robert Glashüttner
"The Naked Nazi Zombie"
Wenn als trocken geltende Institutionen wie die deutsche Altersfreigabestelle Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) mit Vortragstiteln wie "The Naked Nazi Zombie" gewitzt um Aufmerksamkeit buhlen, wird man neugierig. Die Lecture ist sehr aufschlussreich, berichtet über internationale Altersfreigabestellen, die Arbeit der USK im Laufe der letzten Jahre und die jeweiligen Elemente, die in Computerspielen in bestimmten Ländern und Regionen als jugendgefährdend angesehen werden (z.B.: USA: Nacktheit; Deutschland: Hakenkreuze). Das junge Vortragsteam trägt professionell vor, ist gleichzeitig überraschend kritisch und versteckt sich nicht hinter Gesetzestexten, die eben zu erfüllen wären. Einen ausführlichen Bericht zum Thema USK und Altersfreigaben in Spielen gibt es demnächst hier auf FM4 und fm4.ORF.at.
Robert Glashüttner
#1ReasonToBe
Es ist ernüchternd, dass es weiterhin notwendig ist, als Frau innerhalb der Spieleindustrie auf sich aufmerksam zu machen. Viel lieber würde man das endlich sein lassen, sich gemeinsam an die Arbeit machen und als geschlechtlich und ethnisch möglichst gemischtes Team gute Spiele entwickeln. Doch sexistische Vorfälle, Shitstorms gegen weibliche Entwickler oder schlichte Vorurteile gegen Frauen, die Spiele machen, sind leider weiterhin keine Seltenheit. Deshalb helfen nur Zusammenhalt, Aufmerksamkeit, das Erzählen des persönlichen Werdegangs und das Berichten von unangenehmen Vorfällen. So haben die Gamedesign-Veteranin Brenda Romero (vormals Brenda Brathwaite) und die Journalistin Leigh Alexander Spielemacherinnen eingeladen, um - zum ersten Mal auf der GDC Europe - über sich, ihre Arbeit und ihre Erfahrungen als Frau in der Games-Industrie zu sprechen.
Robert Glashüttner
Das fade Aug' im All
Im Weltraum ist es vor allem dunkel und leer - dieses Faktum versuchen wir durch einfallsreiche Science-Fiction-Fantasien von uns zu drängen, doch es ändert an der Tatsache nichts. Dennoch sind space games eine der Urformen des Computerspiels, war es doch von Anfang an sehr leicht möglich, einen schwarzen Hintergrund (geht immer, auch ohne Strom!) mit ein paar Sternen (= weißen Punkten) darzustellen.
Weltraumspiele haben sich in den letzten 40 Jahren bahnbrechend weiterentwickelt, und heute ist es selbstverständlich, dass wir - bei bester Grafik - wilde Dogfights im All machen und unser eigenes interstellares Wirtschaftsimperium aufbauen. Als vor knapp zwei Jahren der "Wing Commander"-Designer Chris Roberts wieder auf der Bildfläche erschienen ist um einmal mehr das beste Weltraumspiel von überhaupt und sowieso zu machen, waren die Fans umgehend aus dem Häuschen und haben dem Mann via Kickstarter gleich mal gut 2 Millionen US-Dollar gereicht.
Auf der GDC spricht der Journalist Mike Rose mit Chris Roberts, um sich und dem Publikum aktuelle Informationen über "Star Citizen" einzuholen. Dabei darf natürlich auch viel nostalgisch geschwelgt werden, wie das damals, 1986, so war, und so weiter. Roberts wälzt unentwegt die ewige Fantasie vom perfekten Spiel und die alte Floskel, dass er sich nur mit den besten Ergebnissen zufrieden geben würde. Außerdem sei Crowdfunding ja so toll, weil man da endlich mit seinen Fans in direktem Kontakt stehen könne. Chris Roberts knödelt eine seltsame Mischung aus beinahe vergessenem britischen Akzent und US-amerikanischem Genuschel. Ein Fan fragt nach dem Interview, das mehrheitlich aus einzelnen Monologen bestanden hat, ob es denn auch einen "Star Citizen"-Film geben würde. Das Spiel ist doch noch nicht mal erschienen! Nicht aufgepasst, setzen.
Robert Glashüttner