Erstellt am: 12. 8. 2014 - 16:03 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 12-08-14.
The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Mit Items aus diesen Themenfeldern. Im August wegen Väterteilzeit und Urlaubstagen leider höchst unregelmäßig.
#medien #machtpolitik #politischekuktur
Es war in der (vergleichsweise dezenten) Nachberichterstattung zu den diesjährigen ORF-Sommergesprächen, deren erstes (das mit Neos-Chef Strolz) gestern on Air ging. Das Studio-Publikum vor Ort (das nicht aus peinlichen Claqueuren, sondern echten Menschen bestand) wurde nach seinen Erwartungen gefragt. Es war von "Aufklärung und Information" die Rede; und erst ein recht junger Mann sprach dann aus, was sich die anderen nicht trauten - er hoffe, dass einer der Gesprächspartner "in eine unangenehme Lage" gebracht werde.
Nochmal, es handelt sich um die Sommergespräche, ein nicht wahlkämpfendes Präsentations/Erhellungs-Vehikel für die gesellschaftlichen Standpunkte der politischen Parteien Österreichs (also einen Ankerpunkt der politischen Verantwortung der Medien) und nicht um die Leider-Nein-Abteilung einer Casting-Show.
Und nein, es geht nicht darum, hier diesen sehr spezifische Satz eines sicherlich törichten jungen Erwachsenen dazu zu missbrauchen, die mangelnde politische Bildung des Nachwuchses über Gebühr zu dramatisieren; oder gar als "unglückliche Formulierung" abzuschwächen.
Genau darum geht es nämlich im politischen Journalismus: ums Ins-Stolpern-Bringen, ums Auflaufen-Lassen, um den Voyeurismus, den man sonst nur im Unterhaltungsbereich ungestraft aufbringen darf, um die Schadenfreude wenn ein populistisch agierender Sido/Rapp jemandem eine reinwürgt oder jemanden aus der Balance wirft. Und nicht mehr um Aufklärung und Information.
Der junge Mann mit der großen Hoffnung auf die unangenehme Lage (vielleicht mit Slapstick-Charakter, das wäre am lustigsten) ist kein missgünstiger Einzelfall, sondern bereits ein Produkt. Ein Produkt einer zunehmend seine Aufgabe aus den Augen verlierenden Medien-Maschine ohne Ethos.
Es gibt keine andere Bevölkerungsgruppe, die sich der permanenten Vorführung stellen muss, keine Sportausübenden, Kulturschaffenden, Wirtschaftstreibenden oder Experten aller Art, nicht einmal Polizeisprecher oder Grasser-Anwälte müssen derlei erdulden. Selbst für Casting-Show-Teilnehmer gilt irgendwann, über das Mitleid des Live-Publikums dann das Menschenrecht auf argumentative Unversehrtheit.
Für Politiker werden diese Basics außer Kraft gesetzt. Für sie gilt ausschließlich die Schuldhaftigkeits-Vermutung. Und wenn man ihnen nicht beikommt, dann tritt das Mühle-Auf-Mühle-Zu-Spiel in Kraft.
Wenn man, wie gestern der EU-Abgeordnete Michel Reimon im Zentrum einer humanitären Katastrophe agiert/hilft/organisiert/lobbyiert, also den best-practice-Beweis für die Verantwortungsnahme von Mandataren abliefert, dann kann er sich sicher sein, nach langfristigen Konzepten abgefragt zu werden, anstatt die Dringlichkeit der Situation zu thematisieren. Umgekehrt, wäre Reimon in Brüssel gesessen, hätte man ihm den fehlenden Praxisbezug um die Ohren gehaut.
Das ist ein Journalismus, der sich auf das Graben von Fallen spezialisiert hat, der die exklusive Beschränkung auf das Auslegen von Stolperdrähten anstrebt.
Und weil die Mainstream-Medien (nicht nur in Österreich, aber in Österreich mit dieser greinenden Louis de Funès-Lust an der Sache) seit Jahren nichts anderes mehr betreiben, weil die zu wenigen Ausnahmen über keine Definitionsmacht verfügen, weil der Boulevard und die Schein-Qualität sich da unbehindert Doppelpässe übers hierzulande eh schmale Spielfeld schieben, kann der arme Bursche, der drauf hofft, dass einer ordentlich ausrutscht auf den vielen Bananen-Schalen, über die man ihn tanzen lässt, echt nichts dafür.
Er hält diese Art der Herangehensweise für normal. Er kann sie nur für normal halten, weil er nichts anderes vorgesetzt bekommt.
Und sie ist das auch längst: ganz normal. Ganz normale Gehässigkeit, die sich vor allem aus den alten Neid-Komplexen der Herr-Karl-Nation nährt. Die Gehässigkeit ist allgegenwärtig, sie äußert sich platt und plump im Boulevard, hinterfotzig in den Schein-Qualitäts-Medien und auch in scheinbar nicht im Zusammenhang stehenden Details, auch bei untadeligen Kollegen, die mittlerweile die einstens sinnvolle Unterbrecher-Kultur zu einer Treibjagd pervertiert haben, in der das eigentliche Ziel (die Anschauung, die Gedankenwelt und die Handlungsanleitungen der Politiker zu erfahren) genau gar keine Rolle mehr spielt.
Weil man das Publikum zwar in diesem Fall nicht in Schuldhaft nehmen kann, es aber in anderen, sehr viel prinzipielleren Bereichen auch einen ordentlich großen Vorhaltungs-Spiegel braucht, kommt morgen (oder übermorgen) eine Art zweiter Teil zu diesem Text.
Dachte ich.
Dann sagt Armin Thurnher in seinem Falter-Editorial von Mittwoch so vieles von dem, was mein Thema sein sollte, dass ich den Text erst einmal neu eindenken muss.
In vielerlei Hinsicht ist der heimische Politjournalismus eine Laokoon-Gruppe, die gerade den Kampf mit der Schlange des Populismus, den sie selber herbeigerufen hat um zeitgemäßer und lässiger zu agieren, verliert.
Nutznießer sind - wie auch im Fall des EU-Bashings - jene Kräfte, die mit diesen und anderen Destabilisierungs-Kampagnen die (west)europäische Demokratie per se schwächen wollen. Das reicht von globalen Multis über einzelne Treiber der heimischen Wirtschaft (weshalb deren Kandidat Strolz dann auch nicht komplett unschuldig zum Handkuss kommt; wie keiner der Parteichefs, aber darum geht es nicht - auch für sie haben Grundrechte zu gelten) bis hin zu Rechtsaußen-Recken, die sich einen Orban- oder Putinismus, also die gemäßigte Diktatur aus den feuchten Träumen von Felix Baumgartner, eine schnellkräftige autoritäre Herrschaft mit populistischen Plebisziten und regulierender Polizeiordnung herbeiwünschen. Die hätte dann allerdings nur einen einzigen (zynischen) Vorteil: Sie würde der aktuellen Politiker-Vorführungs-Kultur den Garaus bereiten; und sie in ihr noch deutlich gruseligeres Gegenteil verkehren.