Erstellt am: 12. 8. 2014 - 12:16 Uhr
Marilyn Manson in der Arena Wien
Marilyn Manson hat Fans. Ab der U3-Station Landstraße war klar, wohin dieser Zug fährt: Volldampf ins Golden Age of Grotesque, wo Born Villans auf dem Lost Highway unterwegs sind, oder, wenn ich mir eine Formulierung der großartigen Headbangers Ball Moderatorin Vanessa Warwick aus dem Jahr 1996 ausborgen darf:
„Sex, pornogaphy and medical fetishes are a part of everyday life for Marilyn Manson. Tonight we join them, to find out why they created music to bring about the apocalypse.“
Das trifft auch ziemlich gut, was ein Teil meiner Marilyn-Manson-Mission ist. Abgesehen vom Herbeispielen der Apokalypse, seiner Muppet-Show des Bösen, war Marilyn Manson immer eine säkularisierte Stimme der Vernunft. Er besitzt das Talent, kluge Antworten auf dumme Fragen zu geben. Und war deshalb schon zu einer Zeit, als er noch pinke Blazer mit Schulterpolstern trug, ein leuchtender Stern im Universum der Dumpfbackigkeit des amerikanischen Musik-Fernsehens .
Seine Strategie hat er immer ganz klar artikuliert: Er verwendet die Ästhetik derjenigen, die über unsere Moral, unser Seelenheil, unsere Lebensformen richten, entscheiden und urteilen wollen, überspitzt sie ein klein wenig, arrangiert die Symbole neu und schon hat man eine Melange, die auch noch 2014 selbstgerechte Spinner dazu bringt, gewalttätig zu werden und mit Bomben zu drohen.
Vielleicht schenkt Manson der Welt einmal ein Youtube-Tutorial zum Thema Sublimation, wenn nicht sein ganzes Oeuvre als solches gelesen werden kann. Zu so kleinen Streichen hat er wahrscheinlich keine Zeit. Seine Konjunktur in der Fernseh- und Mode-Welt hält auch schon seit über 20 Jahren. Eine kleine Kampagne für Yves Saint Laurent hier, eine Rolle als widerlicher Rassist in "Sons of Anarchy" da, Gastrollen in den Comedyserien "Californication", "Eastbound & Down", Auftritte in den cineastischen Höllenritten von David Lynch und Asia Argento füllen Mansons Terminkalender.
katarina balgavy
Es ist unmöglich zu sagen, ob dies schon 90er-Jahre-Retro ist oder Manson immer noch Neues collagieren kann. Oder - was ich glaube - er einen kathartischen therapeutischen Platz besetzt, der Konjunkturen der Popkultur überdauert.
Ich bin überzeugt, wir brauchen Marilyn Manson. Er ist ein gutes Mittel gegen Menschen, die sich auf metaphysische Mächte berufen, um sich die Entscheidungshoheit über Gut/Böse, Richtig/Falsch nicht nur im eigenen Leben, sondern im Leben aller anzumaßen. Für jede Verhetzungsanzeige wegen Pro-Abtreibungsslogans ein Manson-Konzert, das wäre meine Vorstellung von Karma-Balance. Bitte jetzt nicht wegen Hetzer- und Ketzerei klagen, es ist nur ein säkularisierter Fiebertraum.
katarina balgavy
So divers wie die Künstlerinnen, Regisseurinnen, Modeschöpferinnen,... die Manson einladen, ein Teil ihrer Welt zu werden, ist auch das Publikum, das seinen Weg in die Wiener Arena gefunden hat. Man sieht mit Autolack auftoupierte Neon-Iros, Facepaint, das aufgrund mangelnder Konsequenz mehr an "Planet der Affen" (den ich gestern in 3D gesehen habe) erinnert als an das Böse. Facepaint braucht Konsequenz.
Das Manson-Konzert wird besucht von Herren mit weißen Bärten jenseits der 50, bezaubernden Gothic Lolitas, Mansonklonen mit Herzchenbrillen, Rubensfrauen ebenfalls jenseits der 50 mit Hundehalsbändern, zitternden blassen Mädchen die im Regen am Randstein sitzen, mit Bier und Tschick; die früher, als es noch öffentlichen Raum für alle gab, in U-Bahn-Stationen anzutreffende Wien-Version der Christiane F.
My kind of people, beautiful freaks. Menschen, denen du anmerkst, dass sie sich nicht von einem noch härteren Entertainment-Kick flashen lassen wollen, sondern dass die Gegenwelt, die Marilyn Manson baut, ihnen viel bedeutet, ihnen ein Refugium, ein Wellnessbereich der Seele ist.
katarina balgavy
Dem Anlass entsprechend ist der Himmel düster und es nieselt. Nebel im August für Marilyn Manson. Die Bühne ist mit einem schwarzen Schleier verhangen und man sieht Manson, wie er mit Uniform und Mikroständer als Schatten über die Bühne geistert. Der Schleier fällt, die Schreie erheben sich, Manson steht mit schwarzem Ledermantel, weißem Make-Up und Seitenscheitel vor uns. Zu Beginn wählt er den „tobenden Diktator“-Performance-Stil. Schon bei der ersten Nummer kriecht er auf allen Vieren über die Bühne, im Hintergrund ein riesiges Lothringer Kreuz, das Symbol, das die französische Exilregierung im zweiten Weltkrieg verwendet hat, um dem Hakenkreuz etwas entgegenzustellen. Manson beherrscht die Schrill-Dumpf-Dynamik beim Schreien perfekt, arbeitet mit Stroboskop und buntem Licht. Altes und Neues, Hits und Attacken waren im Programm.
Aber der wirkliche Star beim Manson-Konzert war das Publikum.
natalie brunner
Die Mädchen mit den zerrissenen Strümpfen an den Unterarmen, die auf den Schultern eines Begleiters den Ich-bin-Vampir-ich-wiege-meine-Arme-geheimnisvoll-und-langsam-in-der-Luft-Tanz aufführten, die Typen im Manson-Shirt mit Krankenkassabrille, die so voll waren, dass sie nur mehr gegen die Wand gelehnt so halbwegs aufrecht bleiben konnten und in völligem Glück mit geschlossenen Augen jedes Wort mitbrüllten, die Kids aus Maria Saal, Maria Gail, Maria Elend, die mit ihren gefärbten Kontaktlinsen angereist sind. Das waren die Stars der Anti-Dope Show wegen der ein Tomorrow möglich ist.
natalie brunner