Erstellt am: 12. 8. 2014 - 13:34 Uhr
Mein bester Freund ein Moslem, ein Jude
Die Muslim Jewish Conference (MJC) findet noch bis 14. August in Wien statt. Die MJC ist eine international agierende NGO, die sich für den Dialog und den Abbau von Feindbildern zwischen JüdInnen und MuslimInnen einsetzt. Die Jährliche Konferenz findet zum fünften Mal statt.
"Wir haben essenstechnisch die wohl beste Konferenz organisiert seit Beginn der Muslim Jewish Conference (MJC)", sagt Ilja Sichrovsky stolz. Er ist der Gründer der Plattform, die seit fünf Jahren versucht, "Frieden durch die Hintertür" zu machen, indem er junge MuslimInnen und JüdInnen zusammenbringt. Bei 100 TeilnehmerInnen aus 35 verschiedenen Ländern ist die Essensfrage nicht zu unterschätzen: Gekocht wird täglich von Muki, einem sudanesisch-österreichischen Koch, der im Brotberuf im Wiener Café Crossover internationale Küche serviert. Gespeist wird aus Platzgründen unter dem Dach der Donaucity-Kirche, einer katholischen Kirche. Für die "Herberge" sei man sehr dankbar, sagt Ilja Sichrovsky. Denn: dadurch schließe sich ein Kreis, der ihm sehr gefalle.
Daniel Shaked for MJC © 2014 | www.danielshaked.com
Während in der arabischen Welt derzeit eine Schreckensmeldung die nächste jagt - in Israel/Gaza, Syrien, und im Irak die Waffen sprechen - wird im fernen Wien versucht, am Frieden zu basteln. Nicht von PolitikerInnen, sondern von jungen Menschen in Eigeninitiative. Die TeilnehmerInnen sind junge Studierende, AktivistInnen, AkademikerInnen, angehende DiplomatInnen oder Führungspersonen von Organisationen. Eine Woche lang sollen sie die Chance haben, einander kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Dabei gibt es Exkursionen in Moscheen und Synagogen, Arbeitsgruppen zu Themen wie Gender & Religion und Islamophobie & Antisemitismus und verschiedene Vorträge. Zum Beispiel von Compatents for Peace, eine Organisation, die gegründet wurde von Menschen, die mit Waffengewalt in den Israel-Palästinenser-Konflikt involviert waren, und jetzt gewaltlos an Konfliktlösungen arbeiten.
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Miteinander statt gegeneinander
Die Idee für so eine Konferenz kam Sichrovsky vor sieben Jahren bei einer Model-UN-Konferenz in der Schweiz, wo er sich das erste Mal mit muslimischen Studierenden intensiv auseinandergesetzt hat. Zwei Jahre später gründete der 31-jährige Wiener die Muslim Jewish Conference. Aus ehemaligen "GegnerInnen" wurden FreundInnen, aus Vorurteilen Vertrauen. Nach der Gründung in Wien zog die MJC jedes Jahr in eine andere europäische Stadt weiter. Zum fünfjährigen Bestehen habe man sich aber bewusst entschieden, wieder zurück zum Ursprung zu kommen, sagt Nura Siddgi, eine der OrganisatorInnen.
Unabhängigkeit wichtiger als Geld
Unterstützt wird die Konferenz von Bundespräsident Heinz Fischer und Ex-US-Präsident Bill Clinton, das Geld kommt von sehr engagierten individuellen SpenderInnen, erzählt Sichrovsky. Weitere Geldgeber sind die Kahane-Stiftung, das Außenministerium, die US-Botschaft in Wien oder das American Jewish Committee. Trotzdem sei es jedes Mal zu wenig und ein "shoestring budget", sagt Sichrovsky. Man würde gerne mehr Leute einladen und auch mehr Stipendien und Flugtickets vergeben, an Jugendliche, die sich die Reise nicht leisten können. Allerdings sei die Unabhängigkeit wichtiger. Die MJC kooperiert offiziell mit keiner Organisation. "Obwohl es einfacher wäre, sich als Jugendarm von sonst wem integrieren zu lassen, mit einem schönen Jahresbudget", sagt der Gründer. Seiner Meinung nach brächten aber alle jüdischen und muslimischen Organisationen immer eine Agenda mit, wenn es um den Nahost-Konflikt gehe. Das sei mit ihren Grundsätzen nicht vereinbar.
Daniel Shaked for MJC © 2014 | www.danielshaked.com
Interview mit Ilja Sichrovsky und Nura Siddgi:
Wie genau funktioniert die Muslim Jewish Conference?
Ilja Sichrovsly: Also kurz gefasst: die Muslim Jewish Conference ist ein Grassroots-Projekt, also eine Initiative von individuellen Menschen, die sich zusammengeschlossen haben. Eine Plattform, wo Muslime und Juden, speziell Führungspersönlichkeiten von morgen, also sogenannte Young Leaders die Chance haben, Themen miteinander zu besprechen ohne den Einfluss einer Agenda von außen und auf Augenhöhe.
Was wollt ihr damit erreichen?
Ilja Sichrovsky: Im besten Fall soll es Vorurteile und Stereotype aber auch puren Rassismus abbauen. Und darüber hinaus sollen nach den sieben Tagen gemeinsam Projekte entstehen, die aktuelle Themen und Probleme angehen, die beide Religionsgemeinschaften betreffen.
Nura wie bist du dazugekommen, warum machst du mit?
Nura Sidggi: Ich fand das einfach eine coole Sache. Ich bin in Wien aufgewachsen und habe mein ganzes Leben nie mit Juden Kontakt gehabt. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und wollte mir das einmal ansehen. Dann war ich überrascht, was für ein tolles Projekt das ist und dass man damit echte Anti-Rassismus-Arbeit leisten kann.
Ilja du hast diese Organisation gegründet, was war für dich der Auslöser?
Ilja Sichrovsky: Ich bin auch aufgewachsen in Wien, und habe bis ich 25 Jahre alt war kein Gespräch mit einem Muslimen gehabt, das länger als fünf Minuten gedauert hat, außer es ging vielleicht um mein Essen, ob ich es jetzt scharf oder nicht scharf haben will. Erst auf internationalen Konferenzen habe ich Studenten aus dem Libanon, aus Pakistan kennengelernt. Aus all diesen Ländern, die mir zu Hause als böse, unsicher und gefährlich verkauft wurden. Da habe ich erst bemerkt, dass diese fehlende Interaktion und diese fehlende Information einen Rassismus hervorrufen, der Mainstream ist in beiden Gruppen und vor allem in der Jugend beider Religionsgemeinschaften.
Und warum dann eine Konferenz?
Ilja Sichrovsky: Wir haben gemerkt, dass das Problem eigentlich extrem leicht behandelbar ist, nämlich indem man miteinander redet und nicht übereinander. Vor fünf Jahren gab es da keine Plattform, die das unabhängig gemacht hat. Alles war entweder von der einen oder anderen Seite finanziert. Durch persönliche Erfahrung mit anderen Studierenden und mittlerweile sehr, sehr guten Freunden aus eben all diesen so genannten 'problematischen Ländern' bin ich zum Schluss gekommen, dass es notwendig ist, das wir das selbst in die Hand nehmen. Und mit sehr viel Glück, Schweiß und Arbeit und vor allem unserer Freiwilligen sind wir heuer im fünften Jahr.
Nura, du kommst aus der sehr kleinen sudanesischen Community in Wien, Ilja, du bist verwurzelt in der jüdischen Gemeinde. Wie ist da der Austausch im Alltag?
Ilja Sichrovsky: Also es gibt den Austausch natürlicherweise sehr selten zwischen Muslimen und Juden. Einen ganz normalen regen Austausch gibt es nur in Ländern, wo die Multikulturalität der Gesellschaft so hoch ist, dass man auch die die Chance hat, auf jemanden von der anderen Religionsgemeinschaft in der Schule, am Arbeitsplatz oder im privaten Leben zu treffen. Wie zum Beispiel in den USA oder in anderen Ländern. In Österreich ist das nicht der Fall, schon gar nicht, wenn man weiter in den Nahen Osten geht. Die Pakistanis, die zu uns kommen, haben in ihrem Leben noch keinen Juden gesehen, weil es dort, wo sie herkommen, keine jüdische Gemeinde gibt und in den Ländern, wo es Gemeinden gibt, sind sie leider nicht gerade darauf bedacht, jeden Tag ein großes Kommunikationsprojekt zu starten.
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Das wird ja in Österreich gerne auch der türkischen Community vorgeworfen. Wie erlebt ihr das? Lebt man zu abgrenzt voneinander in Wien?
Ilja Sichrovsky: Das ist eine komplizierte Sache. Da liegt es wirklich an den einzelnen Menschen, diesen Schritt über den Tellerrand zu machen und den Austausch mit dem anderen zu suchen. Nur das ist eine unglaublich schwierige, zeitaufreibende, emotional fordernde und auch komplizierte Arbeit, die natürlich nicht jeder einfach Mal am Nachmittag zwischen Game of Thrones, der Fußball-WM und seinem eigenen Job macht.
Ist Religion überhaupt ein Thema für euch?
Nura Sidggi: Also ich persönlich bin nicht sehr religiös, aber für mich ist es Anti-Rassismus-Arbeit, deswegen bin ich dabei.
Ilja Sichrovsky: Ich glaube, das Schöne an der MJC ist, dass wir genauso wie wir der muslimischen und der jüdischen Seite ein sehr ausgewogenes Projekt bieten, dass es genauso auf der säkularen, wie auf der religiösen Ebene funktioniert. Wir haben 50/50 Teilnehmer, die aus jeder Intensität religiösem Lebens kommen und es auch vertreten. Und das ist natürlich ungemein wichtig, das die jeweils andere Seite sieht, da ist keine hegemoniale Masse, die alle derselben Meinung sind, die dich alle als Feind identifizieren, sondern da gibt innerhalb schon genug Meinungsverschiedenheiten. Es gibt in der jüdischen Religionsgemeinschaft das Sprichwort: zwei Juden, fünf Meinungen. Das ist glaube ich bei Muslimen ebenfalls so.
Wie ist da eure "Taktik", die Menschen zusammenzubringen?
Nura Sidggi: Das funktioniert so, dass wir die Teilnehmer in unterschiedliche Gruppen teilen und diskutieren lassen. Zum Beispiel Gender & Religion, Conflict Transformation und so weiter. In diesen Komitees gibt es immer zwei Gruppenleiter, einmal jüdisch einmal muslimisch, und die leiten eben das Gespräch und die Diskussionen. Das tolle an der MJC ist, das man alles sagen darf. Dadurch und weil es so eine Feel-Good-Atmosphäre ist, trauen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch Sachen offen zu sagen und das ist einfach unglaublich toll. Die Atmosphäre ist dafür ganz wichtig, es ist ein wenig wie auf einer Schullandwoche (lacht).
Ilja Sichrovsky: Das spannende dabei ist, dass man endlich mal die Möglichkeit hat das zu fragen, was man eigentlich fragen möchte, ohne Angst haben zu müssen. Wir wollen nicht zu dieser Bewegung gehören, die übereinander postet und übereinander spricht, aber nie die Chance hat, einmal miteinander zu sprechen.
Was war deine erste Frage, die du dort gestellt hast?
Ilja Sichrovsky: Also die inoffizielle erste Frage, die ich im Kopf hatte, als Mustafa - mein mittlerweile bester Freund - mich im Hotelflur in der Schweiz angesprochen hat, war: lässt er mich eh wieder unversehrt aus dem Gespräch raus. So hoch waren meine persönlichen Vorurteile der anderen Seite gegenüber. Also da fängt man wirklich oft bei null an. Fragen wie: habt ihr Hörner oder kontrolliert ihr die Medien oder jagt ihr uns jetzt in die Luft, aber auch bis hin zu ganz spezifischen differenzierten Diskussionen, die dann hoffentlich im Laufe der Woche stattfinden.
Daniel Shaked for MJC © 2014 | www.danielshaked.com
Wenn ich mir aber die Nachrichten ansehe, da gibt’s kein Feel-Good, wo man alles fragen kann. Der Gaza-Konflikt dominiert die Nachrichten, es herrscht defakto Krieg im Gaza-Streifen. Wie geht ihr damit um bei eurer Konferenz?
Ilja Sichrovsky: Natürlich ist der Nahost-Konflikt ein wichtiges Thema, das nicht unterschätzt oder ausgeklammert werden darf. Wir sind aber der Meinung, dass es nicht funktioniert, den Nahost-Konflikt um acht Uhr Vormittags aufs Programm zu setzten und dann zu sagen um zwölf machen wir Mittagspause, um vier reden wir noch schnell über Gaza und um 21 Uhr ist dann Social-Event. Das hat nie funktioniert und wird nie funktionieren, weil es die Leute dazu ermutigt, ihre eigenen Propaganda-Bänder abzuspielen, die sie auswendig gelernt haben in den letzten zwanzig Jahren.
Wo wird dann über den Nahost-Konflikt diskutiert?
Ilja Sichrovsky: Bei uns ist es so, dass es nach den Komitee-Sessions, die jeden Tag laufen, Social-Events gibt, die ganz ruhig ablaufen, wo die Leute den Zeitpunkt als auch den Gesprächspartner selbst wählen können. Da ist natürlich der Nahost-Konflikt meistens das ausgesuchte Thema. Nur wird dann sehr viel konstruktiver diskutiert. Man kann fast nicht glauben, wie erfrischt palästinensische und israelische Teilnehmer sind, wenn sie nur einmal Jude sein dürfen oder Muslime, anstatt immer und überall wo sie hinkommen die offiziellen Pressesprecher der Palästinenser und der Israelis sein zu müssen.
Nura Sidggi: Uns geht es darum, einen Raum zu schaffen, wo man sich nicht nur nicht mehr als Feind sieht, sondern eine nachhaltige Freundschaft mit dem anderen aufbauen kann, und es schafft, zu Themen wie dem Nahost-Konflikt oder anderen wirklich schwierigen Themen, wo man ganz offensichtlich nicht derselben Meinung ist, einfach einmal auch nur anderer Meinung sein zu können, das aber respektvoll und trotzdem gemeinsam Probleme angehen kann, die für beide Religionsgemeinschaften akut sind.
Was wäre das zum Beispiel?
Ilja Sichrovsky: Das ist in Europa eine steigende Zahl an Rechtsextremen, die uns beide als Ziel identifiziert hat. Das ist aber auch eine parlamentarische Bewegung, die das Beschneiden und Schlachten von Tieren im religiösen Stil verbieten will. Das ist in Polen mittlerweile nicht mehr erlaubt, in Dänemark auch. Das sind meiner Meinung nach Probleme, die weder die jüdische noch die muslimische Minderheit in Europa alleine bewältigen kann. Und das sind nur einige wenige Themenbereiche, wo wir ganz natürliche Überschneidungspunkte finden, die dann auch in ganz konkreten Aktionen umgesetzt werden sollen. Also es geht eben nicht nur darum, eine Woche zusammenzusitzen und Kumbaya zu singen, sondern wirklich einmal was weiterzubringen.
Euer Fokus liegt also sehr wohl auch in Europa. Wie ist da die Situation, seht ihr ein ähnlich großes Konflikt-Potential zwischen den Religionsgemeinschaften?
Ilja Sichrovsky: Der Antisemitismus wurde in Europa nicht vom Islam erfunden. Und die Strukturen, die jetzt innerhalb der muslimischen Gemeinde verwendet werden, sind auch nicht neu, genausowenig die Mechanismen, die in Europa verwendet werden, um Islamophobie zu betreiben. Es ist extrem wichtig, dass man das nicht verharmlost und auch nicht davon ausgeht, dass das ein Phänomen einer Randgruppe ist, einer extremen kleinen Gruppe, sondern es ist schon Mainstream, gerade auch in Europa.
Das sieht man auch jetzt an den Demonstrationen in Frankreich, das sieht man an den Ausschreitungen in verschiedenen europäischen Ländern und das sieht man auch, wenn man die Sprache von Muslimen und Juden auf Facebook und in sozialen Medien verfolgt. Allerdings sind wir der Meinung, dass das unglaublich leicht zu stoppen ist. Wir glauben, dass es wichtig ist, Antisemitismus und Islamophobie vor allem in Europa einmal dadurch zu bekämpfen, dass Leute in ihren eigenen Communities aufstehen und sich dagegen aussprechen, gegen Holocaust-Leugnung, gegen Islamophobie, gegen Antisemitismus. Dass es Juden sind, die innerhalb der jüdischen Gemeinde dagegen sprechen, dass es Muslime sind, die innerhalb der muslimischen Gemeinde dagegen sprechen, weil die Taktik, dem anderen zu erzählen, dass er uns doch bitte lieb haben soll, hat jetzt 5000 Jahre nicht funktioniert, zumindest in Europa aus jüdischer Sicht.
Nura Sidggi: Ich finde es in Österreich genauso schwierig wie in anderen Ländern. Ich habe auch Angst, wie sich das weiter entwickeln wird. Da kann ich nur dem Ilja zustimmen: man muss miteinander reden und nicht immer nur so tun, als ob das ein Randgruppenproblem ist von irgendwelchen Verrückten, nein es ist eigentlich schon eine breite Masse, die solche Ansichten teilt.