Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Fließen, fliegen"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

10. 8. 2014 - 17:07

Fließen, fliegen

Der Song zum Sonntag: Erlend Øye - "Garota"

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Wenn das Herz gerade frisch gestochen worden ist und das junge Gefühl vom Verliebtsein in der Brust rosa Blüten schlägt, dann ist für ein paar Momente alles richtig. Die Welt scheint voller toller Apfelsinen und der Himmel voller Lieder. Sicher, in irgendeiner Zukunft wird wieder alles in Schutt und Asche liegen, alles zerstört und kaputt, aber daran können wir jetzt gerade nicht denken. Wir können es uns auch gar nicht vorstellen. Lieber genießen wir den Moment.

Erlend Øye besingt auf seiner aktuellen Single die Flüchtigkeit, die Vergänglichkeit, die Emotionen, die in der Luft herumschwirren. Er singt davon, dass man ab und zu versuchen muss, den Blitzschlag festzuhalten, die Chance zu ergreifen und vielleicht auch ins Ungewisse zu springen. "Choose the life you want to live / Give the love you want to give / Take the moment when it comes", säuselt der norwegische Charmebolzen auf die ihm eigene seidenweiche Art in dem Song prominent, gerade so, als würde er einem kleinen Kind das Weltgeheimnis ins Ohr flüstern.

Erlend Øye

Erlend Øye

"Garota" nennt sich der neue Song von Erlend Øye, das ist Portugiesisch und bedeutet "Mädchen". Man sieht schon am Titel, dass es hier um Essenzielles gehen soll. Schlicht und klar, das Lied will vom so ziemlich Wichtigsten handeln, dem Funkenflug zwischen zwei Menschen und davon, wie das Suchen, das Bewahren, das Verblassen der Liebe auch als Modell für eine ganze Lebensphilosophie herhalten können. "There is only so much juice / you can suck out of a fruit / and the colour changes fast / when an apple's cut in half", heißt es gleich zu Beginn des Stücks. Veränderungen geschehen.

Erlend Øye ist bekanntlich ein Meister der nachlässigen Eleganz, der Schluffigkeit, der Verstrubbeltheit, der Verschlafenheit, des wundersam ungelenken Tanzes, der grinsenden Zurückgelehntheit, der überhippen Entspanntheit. So entspannt, es nervt. Ein König der Bequemlichkeit. Der U-Bahn hinterherlaufen - sowas macht Erlend mit Sicherheit nicht. Sein demnächst erscheinendes Album hat er mit der isländischen Reggae-Band Hjálmar eingespielt. Einer Reggae-Band. Aus Island. Da hat sich Erlend Øye wieder etwas ausgedacht.

Mit den üblichen Klischees vom Rauchen in der Hängematte und Jamaica-Haube haben Hjálmar aber nichts am Hut, vielmehr sehen die Herren in der Band aus, wie so coole Isländer so aussehen, mit Bärten. Und freilich passen derlei Musik und Vibe nur bestens zur grundlegenden penetranten Lässigkeit des Erlend Øye und ebenso zum Thema des Songs "Garota": Die Bläser, der Schunkel-Rhythmus, die Orgel, die die Konsistenz von edelstem Honig vertont.

"Life is long and the world is small / our paths will cross / some other time" lauten die zentralen Zeilen des Refrains. Ein Song, der die Melancholie und die Hoffnung kennt. Eine feine Weisheit gibt Erlend Øye der Welt noch mit: "You can not fail, you can not act wrong". Im HipHop-Milieu wird diese Botschaft, nämlich, dass man nur einmal lebt, zwar deutlicher formuliert, wir verstehen aber auch die müde Stimme in "Garota". Es ist möglich: Mit den Schultern zucken, den Duft des Windes spüren, das Licht fangen.