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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

9. 8. 2014 - 18:30

Lass den Schein herein

Ein junges Wiener Spielestudio hat schon 50.000 US-Dollar gewonnen, sich mit dem "Tetris"-Erfinder angefreundet und Youtube verwirrt. Nun ist ihr Debüt "Schein" erschienen.

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Ein vor Kreativität und Tatendrang strotzendes junges Spieleentwicklerteam, das aus einer Lehrveranstaltung einer Uni oder Fachhochschule hervorgeht, hat oft eine besondere Dynamik: Man hat ein gemeinsames Ziel, einen Zeitplan (wegen der notwendigen Abgabe) und kann sich des Feedbacks vom Lehrpersonal sicher sein. Fällt dieses Feedback überdurchschnittlich gut aus und hat man auch sonst das Gefühl, dass das, an dem man hier gerade arbeitet, mehr sein könnte als nur der Weg zu einer Note, kann die Idee, von der Uni in die junge Selbstständigkeit zu wechseln, schon mal in einem wachsen.

Lange Jahre über hieß das unabhängige, österreichische Spieleentwickler-Vorzeigeteam, das vom Hörsaal in die eigenen Firmenräumlichkeiten gewechselt hat, Broken Rules: Vier Studenten der TU Wien haben Ende der 2000er Jahre ihr Projekt "And Yet It Moves" zu einem vollwertigen Spiel zurechtgeputzt und dafür viel internationale Aufmerksamkeit geerntet. Mit den Nachfolgespielen "Chasing Aurora" und "Secrets of Raetikon" haben sie sich von ihrer Studierendenherkunft schließlich zu einem vollwertigen Indie-Studio gewandelt.

Eine ähnliche Karriere wie der von Broken Rules könnte nun dem jungen Team von Zeppelin Studio bevorstehen, das sich 2011 an der FH Technikum Wien formiert hat - FM4 hat über den Werdegang berichtet. Zeppelin Studios Debüt "Schein" ist Mitte Juli für Windows erschienen und hat bereits die Monate davor viel mediales Interesse auf sich gezogen.



Sieh' das mal in einem anderen Licht!

Nichts ist so, wie es scheint - das ist das Grundprinzip von "Schein". Man steuert einen verzweifelten Vater durch einen mysteriösen Sumpf auf der Suche nach dem verlorenen Sohn. Begleitet wird er von einem Irrlicht, das wir zu jeder Zeit ein- und ausschalten können. Es gibt aber nicht nur eine Lichtform, sondern gleich drei verschiedene. Manche Dinge werden nur im richtigen Licht sichtbar. Das kann schon mal ziemlich knifflig werden, wenn innerhalb von Sekundenbruchteilen - oft während eines Sprungs - das richtige Licht an- oder abgedreht werden muss. Dieser hohe Schwierigkeitsgrad war etwas, wozu sich das Team von "Schein" schnell bekannt hat, wie Tiare Feuchtner und Michael Benda im FM4-Interview erzählen:

"Uns wurde damals eingebleut: Das ist wahrscheinlich euer erstes und einziges Mal, dass ihr ein Spiel machen könnt, das ihr wollt - also macht etwas daraus! Und genau das haben wir gemacht. Ein Spiel, das uns selbst begeistert: vom Schwierigkeitsgrad her, aber auch von der Mechanik, die mindbending ist, die zum Umdenken führt."

"Schein" wird oft mit den erfolgreichen Indie-Games "Limbo" und "Braid" verglichen - auch hier lotst man als Spielerin und Spieler eine herumirrende Figur durch eine unwirsche Gegend und hofft, nicht von ihr getötet zu werden. Der Fachterminus lautet Puzzle-Platformer, also ein Geschicklichkeitstest mit gleichzeitig sich immer neu formierenden Denksportaufgaben. Wer (noch) zu wenig Sprungtalent besitzt und nicht geistesgegenwärtig zur richtigen Zeit das Licht wechselt, wird die selbe Stelle immer und immer wieder spielen. Wobei, wie Michael Benda betont, das Spielerlebnis zwar herausfordernd, aber nicht frustrierend sein soll. Das gelingt durchwegs gut - nur in der ersten halben Stunde fühlt man sich vom schnell ansteigenden Schwierigkeitsgrad noch leicht vor den Kopf gestoßen.

Ein Bildschirmfoto aus dem Computerspiel "Schein". Die Spielfigur hüpft auf einen Plattform.

Zeppelin Studio

Die Stachelranke ist tödlich - doch wenn man das Licht abdreht, verschwindet sie.

Indie as it gets

Kleine, junge Teams straucheln oft an der Umsetzung ihrer Spielidee. Es stellen sich substanzielle Fragen wie: Sind wir talentiert genug, um rechtzeitig fertig zu werden? Können wir uns das länger als drei Monate leisten? Auch unabhängige Studios mit durchwegs erfolgreichen Projekten, wie jüngst etwa "Shovel Knight", verfolgen oft einen ziemlich riskanten Plan. Doch man probiert es trotzdem, lebt eine Weile von der Hand in den Mund und hofft auf das Beste. So mutig haben es - also trotz fehlender Erfahrungswerte - auch Zeppelin Studio gemacht, wie Tiare Feuchtner erzählt:

"Die Hälfte von uns hat nebenher sowieso einen Job, der einen über Wasser hält. Die andere Hälfte hat sich etwas angespart. Klar ist irgendwo das Verantwortungsgefühl da, dass wir finanziell über die Runden kommen müssen. Man lebt bescheiden weiter, man hat die gleichen kleinen Wohnungen und leistet sich noch immer kein Auto."

Der Plan scheint für das Team von "Schein" aufzugehen. Die internationale Presse - etwa das renommierte PC-Spiele-Onlinemagazin "Rock, Paper, Shotgun" - zeigt Interesse, immer mehr der sogenannten Let's Player spielen "Schein", und in den Foren der Online-Marktplätze ist viel positives Feedback zu lesen. Auch die finanziell so wichtige Präsenz beim größten digitalen Computerspiel-Marktplatz Steam ist seit kurzem gesichert ("Steam Greenlight").

Das vierköpfige Computerspielentwicklerteam Zeppelin Studio sitzt auf einem Platz in der Stadt am Boden. Vor ihnen stehen zwei Laternen.

Zeppelin Studio

Zeppelin Studio mit zu "Schein" passenden Laternen. Tiare Feuchtner und Michael Benda sitzen an der rechten Seite.

Die Hartnäckigkeit von Zeppelin Studio hat sich bezahlt gemacht. Trotz zwischenzeitigen Rückschlägen, wie einer gescheiterten Crowdfunding-Kampagne, arbeitete man die letzten dreieinhalb Jahre zügig an der Fertigstellung des Spiels, betrieb konsequent PR-Arbeit und nahm an Fachwettbewerben und Ausschreibungen teil. Im Sommer 2013 gewann "Schein" den internationalen "Imagine Cup" von Microsoft für technische Innovation, wo sogar der legendäre "Tetris"-Erfinder Alexey Pajitnow in der Jury saß. Tiare erinnert sich:

Das "Schein"-Team ist bei der Gamescom 2014 in Köln, und zwar gemeinsam mit vielen anderen Spielen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz - beim Stand der Indie Arena, Halle 9, Stand A032.

"Alexey, der netteste Juror vom 'Imagine Cup', hatte während der Präsentation für uns immer ein Lächeln und Daumenhoch parat. Er hat gemeint: 'I like it, when you have to THINK in a game.' Und er hat gewirkt, als würde er sich extrem freuen, uns den Pokal zu überreichen. Und ich hab ein Bussi von ihm bekommen! Der Macher von 'Tetris' - ein großer, lieber Teddybär. Leider haben wir nicht mal unsere alten 'Tetris'-Kassetten zum Unterschreiben dabei gehabt."

Der "Imagine Cup"-Sieg brachte 50.000 US-Dollar und natürlich jede Menge Aufmerksamkeit. A propos Aufmerksamkeit: Youtube bzw. Google war kürzlich von dem rapiden Anstieg der Zugriffszahlen auf eines der "Schein"-Videos so skeptisch, dass es kurzerhand offline genommen wurde - im Glauben, Zeppelin Studio hätte die Zugriffe gekauft. Ärgerlich, aber dann auch wieder eine kuriose Bestätigung des eigenen Erfolgs.