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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

6. 8. 2014 - 18:37

Der Feind: Das System

Im niederösterreichischen Hollenbach wollten AnhängerInnen des "Naturrechts" eigenmächtig eine Gerichtsverhandlung abhalten. Sie sagen, den Staat Österreich gibt es nicht. Jetzt sitzt ein selbsternannter "Sheriff" und mutmaßlicher Anführer in U-Haft.

Eine Woche lang wurde gehämmert, gesägt und geschraubt am Bauernhof von Michaela W. Die Nachbarn im kleinen Hollenbach beobachteten neugierig das Treiben der fremden Menschen, die bei der Masseurin ein- und ausgingen. Die BesucherInnen halfen einen heruntergekommenen Heustadel herauszuputzen. Für den "WiesenSommer in Hollenbach" wie es auf einer auf Facebook und Flugblättern verbreiteten Einladung zu lesen war. Kaltes Wasser und WC seien vorhanden, von 13. Juli bis 21. September könne man gratis auf dem Bauernhof campen.

Bauernhof Hollenbach Zelt

Radio FM4 / Paul Pant

Zugriff

Zum großen Wiesenfest kam es aber nicht: Sechzig PolizistInnen stürmten am Vormittag des 28. Juli 2014 den Hof und durchkämmten mit Polizeihunden und geschützt durch kugelsichere Westen das Gelände. Dort fanden die BeamtInnen laut Polizeibericht 35 Menschen, die sich zum Teil im Keller und auf dem Dachboden versteckt hatten und sich nicht ausweisen konnten. Vor dem Haus warteten weitere siebzig UnterstützerInnen, die versuchten, die BeamtInnen in Diskussionen zu verwickeln. Ihr Standpunkt: Der Staat Österreich existiere nicht mehr bzw. sei eine Firma und die PolizistInnen hätten keine Befugnis, ihre "natürlichen Rechte" einzuschränken.

Ihre Namen wollten die Gäste von Michaela W. den PolizistInnen entweder gar nicht bekannt geben oder nur mit dem Zusatz, man sei Souverän oder auch Freeman. Es waren Leute von überallher, erzählt Gerhard Kainrath, ein Nachbar von Michaela W. Viele Autos mit deutschem Kennzeichen parkten im ganzen Ort, der nur 343 Einwohner zählt. "Das waren ganz normale Leute quer durch die Schichten. Alte, Junge, Stadt, Land." Es seien auch viele teure Autos vor dem Hof gestanden und Menschen gekommen, die sich sehr gewählt ausgedrückt hätten.

Hollenbach Schild

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Souverän und Freeman

Kainrath hat auch viele TirolerInnen wahrgenommen und einen auffälligen, englischsprachigen Mann. Er trat als Sheriff auf und sei schließlich von der Polizei als Rädelsführer festgenommen worden. Er sei Amerikaner, mehr könne man nicht sagen, sagt Staatsanwältin Susanne Waidecker auf Nachfrage auch eine Woche später. Der Mann gibt selber an, "Souverän Terrence R. O'Connor" zu sein; er sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird unter anderem wegen Verdacht der Nötigung, Amtsanmaßung und Amtsmissbrauch ermittelt, heißt es von der Staatsanwaltschaft Krems. Seine UnterstützerInnen wollen wegen der U-Haft Beschwerde einbringen, allerdings ohne Rechtsanwalt, da sie das österreichische Rechtssystem als ungültig ansehen.

Transparenz Hollenbach

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Zwangsvollstreckt durch stille Zustimmung

Die Ablehnung des österreichischen Rechtssystems wird von den VertreterInnen dieser Gruppe mit einer relativ einfachen Geschichte argumentiert: Der Staat wurde durch den versäumten Einspruch gegen eine Zwangsvollstreckung aufgelöst. Das Mittel zum Zweck sei dabei der Uniform Commercial Code (UCC) gewesen. Dieser hat die Funktion, dem internationalen Handel eine rechtliche Grundlage zu geben und in den USA das Handelsrecht zu vereinheitlichen. Als Begleiterscheinung ist dazu ein Registrierungssystem entstanden, das sämtliche Rechtspersonen weltweit erfasst: Konzerne, Handelsfirmen, aber auch Nationalstaaten.

Erzählungen zufolge soll in den USA eine Juristin mit dem Namen Heather Ann Tucci Jarraf mit zwei weiteren Kollegen auf die Idee gekommen sein, den UCC für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. 2012 gründeten sie deswegen den "One People's Public Trust" (OPPT). Nach der Registrierung im UCC als offizieller Trust wurden, laut Angaben der AnhängerInnen dieser Gruppe, an alle gelisteten Rechtspersonen Zwangsvollstreckungen verschickt. Weil das niemand ernst genommen und darauf geantwortet habe, sollen deswegen am 25. Dezember 2012 die Forderungen des OPPT durch "stille Zustimmung" in Kraft getreten sein. Mit der anschließenden Auflösung des Trusts im Jahr 2013 sei schließlich der letzte Rest des "alten Systems" offiziell entsorgt worden.

Dadurch wären unwiderruflich alle Rechtspersonen formal aufgelöst worden, argumentieren die AnhängerInnen von OPPT. Und deshalb lehnen sie nun alle existierenden Rechtsordnungen ab und betrachten sie als ungültig, auch die des Staates Österreich. Ihr einfacher Schluss: Der Staat habe keine (Rechts-)Legitimität mehr, man könne nun einfach selber das Recht in die Hand nehmen.

Hollenbach Tür Bauernhof

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Im Namen der...

Für die Gerichtsbarkeit bedeutet das in dieser Denkweise konkret: der Weg ist frei für selbsternannte Volkstribunale, die durch das "Allgemeingültige Gesetz intuitiv wissen" wollen, "was gerecht ist". Zwölf Geschworene aus einer nicht näher bestimmten Gemeinde, aus der "näheren Umgebung" der Klagspartei und der/des Beklagten sollen dabei einstimmig ein Urteil finden. Freiheitsentzug sei möglich, die Todesstrafe allerdings nicht. Einen festgeschriebenen Gesetzeskanon, der bei der Urteilsfindung den Strafrahmen definiert, sucht man genauso vergebens wie Berufungsmöglichkeiten nach einem Urteil.

Solch ein Prozess hätte am Hof von Michaela W. abgehalten werden sollen. Die Polizisten fanden im Heustadel einen provisorisch eingerichteten Gerichtsaal, sowie Unterlagen, die für eine Gerichtsverhandlung angefertigt wurden. Die Gruppe wollte die Sachwalterin von Michaela W. auf der Anklagebank sehen, weil diese ihr "das Leben zur Hölle gemacht" habe, heißt es in einer Aussendung der AnklägerInnen.

Letzter Ausweg?

Dass Michaela W. schon längere Zeit finanzielle Probleme und Schwierigkeiten mit den Behörden hatte, sei bekannt gewesen in Hollenbach, erzählt eine Nachbarin. Das Ausmaß konnte man aber nicht erahnen. Das Jugendamt hatte sich wegen der zwei Kinder eingeschaltet, weil die Wohnsituation schwierig gewesen sein soll. Eine gerichtliche Sachwalterin wurde bestellt. Als der Strom abgedreht wurde, ist die Situation eskaliert. Die Hollenbacherin macht die Sachwalterin dafür verantwortlich.

Michaela W. wandte sich an Menschen, die ihre Ablehnung gegen Österreich als Staat und das System teilten. Mit UnterstützerInnen wollte sie den Spieß auf eigene Faust umdrehen. Ein Haftbefehl gegen die Sachwalterin wurde verfasst, ein "Gerichtsverfahren nach Naturrecht" sollte den Konflikt lösen. Der "International Common Law Court of Justice, Vienna" schaltete sich ein. Das ist ein selbsternannter "Gerichtshof", der sich auf OPPT und das "Naturrecht" beruft. Zum Prozess kam es allerdings nicht. Michaela W. wurde aufgrund ihres psychischen Zustandes vom Amtsarzt "nach den Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes in das Landesklinikum Waidhofen a. d. Thaya eingewiesen".

Transparenz Hollenbach

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Gerichtshof?

Das "Internationale Gericht für Allgemeingültige Gesetzgebung, Völkerrecht und Naturrecht" das dabei in Erscheinung trat, hat sich laut eigenen Angaben am 19. Juni 2014 "etabliert". Knapp ein Monat später, am 17. Juli 2014 ging die Internetseite iccjv.org online. Also kurz bevor es den Hollenbacher-Prozess geben sollte. Die Domain wurde von Marcus Steiner registriert, zu diesem Zeitpunkt Vorstandsmitglied des BZÖ Wiens (Bündnis Zukunft Österreich Wien). Bei der vergangenen Nationalratswahl hat er auf Platz 34 der Landesliste Josef Bucher (BZÖ) kandidiert.

Über sein Engagement beim selbst gegründeten Gerichtshof sagt Steiner, dass er nur als Pressesprecher fungiere. Bemerkenswert sind dabei die Angaben, die bei der Registrierung des Internetauftritts gemacht wurden. So wurde im Sinne seiner Überzeugungen die Seite auf den Namen "International Common Law Court of Justice Von Der Familie Steiner" angemeldet und die Wohnadresse des Bloggers Wolfgang E. eingetragen, der ebenfalls beim BZÖ aktiv gewesen ist. Er kandidierte in Wien auf Listenplatz 48 bei der vergangenen Nationalratswahl.

Am Tag nach den Vorfällen in Hollenbach wurde Steiner jedenfalls vom BZÖ Wien ausgeschlossen. Landeschef Harald Kalasek sagt, dass es unvereinbar sei, "wenn man einerseits den Rechtsstaat in Frage stellt und auf der anderen Seite im Rechtsstaat arbeiten will". Er habe "Marc Steiner als tüchtiges Vorstandsmitglied erlebt", seine Ansichten hätten aber keinen Platz im BZÖ.

Vom Wutbürger bis zur Zinskritik

Aber nicht nur ehemalige BZÖ-Mitglieder finden sich unter den SympathisantInnen der Gerichtsbarkeit mittels "Naturrechts". Ein anderer "prominenter Zeitgeist", der in diesem Zusammenhang in Erscheinung tritt, ist der Systemkritiker und WU-Professor Franz Hörmann. Er ist außerordentlicher Professor am Institut für Rechnungswesen und Kritiker des Geldsystems. Größere Bekanntheit erlangte er, weil er von Februar 2012 bis März 2013 aufgrund fragwürdiger Aussagen über den Holocaust von der Wirtschaftsuniversität Wien suspendiert war.

Das OPPT-Konzept stellte Hörmann unter anderem im Mai 2013 in einem Okitalk vor - einer Internet-Plattform, wo einschlägige Vorträge und Diskussionsrunden zu dem Thema gestreamt werden. Dabei erörterte Hörmann, wie OPPT helfen könne, "eine völlig neue Gesellschaft zu entwickeln". Das grundlegende Motto und die Leitlinien dabei: Aus der Psychologie und dem technologischen Fortschritt der Kommunikationsmittel solle eine gerechte Gesellschaft mit einem gerechten Zahlungsmittel kreiert werden, natürlich erst nachdem man das aktuelle System abgeschafft hat. In seinen Vorträgen und Diskussionsrunden mit bekannten Freemans und Souveränen spricht Hörmann dazu gerne über Verschwörungstheorien, Außerirdische oder die in Zukunft mögliche Goldproduktion aus Quecksilber.

Nährboden

Die Ablehnung des Rechtssystems und des Staates findet man auch in anderen Bewegungen bzw. Weltbildern, die seit einigen Jahren reüssieren: Sei es Zinskritik, UFO-Gläubige, die Truther-Bewegung, Chemtrail-AktivistInnen, EsoterikerInnen, EnergetikerInnen oder auch bei den Montagsdemos. Einig sind sich die SympathisantInnen und AktivistInnen, dass das etablierte System korrupt sei, seine Legitimität verspielt habe und das man belogen werde von Regierung, Medien und allem Offiziellen. Deswegen müsse man den "Reset"-Knopf drücken, um eine neue Gesellschaft zu ermöglichen.

"New-Age-JuristInnen", die das philosophische Gedankengebäude "Naturrecht" über das positive Recht stellen und das mit juristischen Finten durchsetzen und legitimieren wollen, sind für die Behörden allerdings neu. Auf Nachfrage bei verschiedenen Stellen, heißt es immer wieder, dass man die "Gruppe" noch nicht beobachtet habe und dem Bereich der Sekten zuordne. Ob die Unzufriedenen dort richtig aufgehoben sind, ist allerdings fraglich. Zurück ins Boot Staat und aus dem "Eck" bekommt man sie dadurch sicher nicht.